Sonnenuntergang am Meer

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REPowerEU: Krise als Gamechanger?

Anlässlich der 27. UN-Klimakonferenz (COP27) bekräftigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: „Die Europäische Union hält im Kampf gegen den Klimawandel Kurs“. Die globale Krise der fossilen Energien müsse ein Gamechanger sein. Die EU beschleunige den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv und müsse zusehen, dass die europäische Industrie wettbewerbsfähig bleibt.

Im Mai 2022 stellte die Europäische Kommission ihren REPowerEU-Planzur raschen Verringerung der Importabhängigkeit Europas von russischen fossilen Brennstoffen und einen beschleunigten ökologischen Wandel vor. Dieser priorisiert neben Energieeinsparungen und der Diversifizierung der Energieversorgungsrouten den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien.

Darüber hinaus hat die Europäische Kommission zur Abfederung der massiven Störungen des Wirtschaftslebens einen spezifischen Krisenbeihilferahmen erarbeitet und zuletzt im Oktober 2022 aktualisiert. Dieser erlaubt es den Mitgliedstaaten, Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen in der Bewältigung der außerordentlichen Belastungen aufgrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine zu unterstützen.

Schließlich wurden eine Reihe von Energiekrisenmaßnahmen auf den Weg gebracht, um den hohen Strom- und Gaspreisen entgegenzuwirken, die Versorgungssicherheit sicherzustellen und die europäischen Gasspeicher rechtzeitig für den Winter zu befüllen. Dazu zählen neben der überarbeiteten EU-Gasspeicherverordnung, koordinierte Maßnahmen zur Senkung der Gas- und Stromnachfrage, Maßnahmen zur Abschöpfung von Überschussgewinnen aus der Stromerzeugung oder die Einführung eines Solidaritätsbeitrages von fossilen Brennstoff- und Raffinerieunternehmen.

Das jüngste Notfallpaket der Kommission vom Oktober 2022 setzt auf weitere Gaseinsparmaßnahmen und schlägt die europaweite Bündelung der Gasnachfrage sowie Operationalisierung gemeinsamer Gaseinkäufe vor. Außerdem sollen neue Solidaritätsmechanismen und Preisbegrenzungsmaßnahmen eingeführt werden. Das Paket steht auf der nächsten außerordentlichen Energieministerratstagung Ende November 2022 zur Verabschiedung an.

Es besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf

Seit Beginn des Russland-Krieges hat Russland seine Pipelinegas-Ausfuhren nach Europa im Vergleich zum Vorjahr einseitig um 80 Prozent reduziert. In nur acht Monaten konnte der größte Teil davon über alternative Versorgungswege ersetzt werden. Die LNG-Einfuhren aus den USA in die EU haben sich von 22 Milliarden Kubikmeter im vergangenen Jahr auf bisher 48 Milliarden Kubikmeter in diesem Jahr mehr als verdoppelt. Neue Energiepartnerschaften wurden geschlossen, Es ist gelungen, die Gasspeicher vorzeitig zu 95 Prozent zu befüllen und gleichzeitig den Gasverbrauch in der EU um 15 Prozent zu senken. Dennoch besteht das Risiko, dass Europa am Ende des kommenden Sommers etwa dreißig Milliarden Kubikmeter Flüssiggas fehlen werden.

Darüber hinaus geht es jedoch um nicht weniger als den Erhalt der industriellen Stärke Europas, den Wohlstand seiner Bürgerinnen und Bürger und den sozialen Zusammenhalt, ohne die erfolgreicher Klimaschutz nicht möglich ist.

Erst Carbon Leakage, jetzt Green Leakage?

Die USA haben im August 2022 ihr bislang größtes Investitionspaket für Energiewende und Klimaschutz beschlossen: Der „Inflation Reduction Act“ sieht ein umfassendes Investitionsprogramm von 369 Milliarden US-Dollar über die kommenden zehn Jahre für erneuerbare Energien und Energiesicherheit vor. Davon sind 60 Milliarden für den Aufbau der Infrastruktur für die Erzeugung erneuerbarer Energien bestimmt. 7,5 Milliarden US-Dollar sollen in Kaufprämien von elektrischen Fahrzeugen fließen. Ein Programm im Wert von 1,5 Milliarden soll Unternehmen dabei unterstützen, ihre Methanemissionen zu reduzieren.

In der EU wird hingegen überwiegend auf Ordnungsrecht und marktwirtschaftliche Instrumente gesetzt. Mit steigenden Klimaschutzambitionen in der EU ohne gleichwertige Ambitionen in anderen Ländern der Welt nimmt nicht nur das Carbon Leakage Risiko aufgrund ungleicher Wettbewerbsbedingungen weiter zu. Hinzu kommt nunmehr auch die Gefahr von „Green Leakage“ – d. h., dass Investitionen in modernste CO2-freie Anlagen und Produkte außerhalb der EU, anstatt innerhalb der EU stattfinden. Damit unweigerlich verbunden wären Wohlstandsverlust und Innovationsverlust – ein an Attraktivität verlierender Wirtschaftsstandort.

Krise als Gamechanger?

Angesichts der neuen geo- und energiepolitischen Realitäten bestätigt sich einmal mehr die Notwendigkeit, dass die Dekarbonisierung zur Erneuerung des Industriestandorts Europa beitragen muss.

Es ist zu wenig, Ziele anzuheben und Klimaschutzgelder umzuverteilen. Die Industrie braucht angesichts der multiplen Krisen mehr denn je verlässliche, investitionsfreundliche Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit. Eine technologieoffene Transformation aller Sektoren und eine drastische Beschleunigung des Übergangs zu sauberer Energie und alternativen Kraftstoffen sind dabei von zentraler Bedeutung.

Den Weg aus der Krise als klimaneutraler Industriekontinent finden ist alternativlos: die Krise kann nicht nur zum Gamechanger werden, sie muss es auch. Denn nur als attraktiver Industriestandort kann Europa seine friedens- und wirtschaftspolitische Erfolgsgeschichte fortsetzen, seine Industrie auch für nachfolgende Generationen Wohlstandsgarant und Innovationstreiber bleiben und die Klimaneutralität Realität werden.