Spanische EU-Ratspräsidentschaft: „Die EU braucht eine starke mittel- bis langfristige Wettbewerbsagenda“
In Spanien stehen Parlamentswahlen an. Welchen Einfluss werden die Wahlen auf die spanische EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 haben?
Die Ausrufung vorgezogener Wahlen durch Premierminister Pedro Sánchez hat alle Akteure überrascht. Wir wissen jedoch, dass sich die beteiligten Ministerien gründlich auf die spanische Ratspräsidentschaft vorbereitet haben. Daher sind wir überzeugt, dass die reibungslose Verhandlung der wichtigsten Dossiers im Rat gewährleistet ist. Es ist jedoch noch unklar, wie die Präsidentschaft die bereits angekündigten politischen Prioritäten, z. B. im sozialpolitischen Bereich, vorantreiben, nuancieren bzw. überarbeiten wird.
In diesem neuen politischen Umfeld hoffen wir, dass die nächste Regierung gleich nach dem Sommer vollständig im Amt sein und die zweite Hälfte der Präsidentschaft optimal nutzen wird. In jedem Fall wird die sehr interessante Agenda der informellen Ministertreffen in ganz Spanien beibehalten und – wie unsere Regierung wiederholt betont – der spanische Ratsvorsitz wird als "nationales Projekt" betrachtet, das auf dem starken Engagement der Zivilgesellschaft beruht. Die vorgezogenen Wahlen dürften daher weder die Steuerung der anstehenden Legislativdossiers noch den Erfolg all dessen beeinträchtigen, was bereits erfolgreich geplant wurde.
Was ist das wirtschaftspolitische Programm der spanischen Ratspräsidentschaft?
Die spanische Ratspräsidentschaft hat große wirtschaftspolitische Ambitionen. Sie muss die Verhandlungen zur Überarbeitung der wirtschaftspolitischen Steuerung und des mehrjährigen EU-Haushalts, zur Reform der Fiskalregeln und der Steuerharmonisierung, zu den EU-Eigenmitteln und zu Themen wie der nachhaltigen Finanzierung führen. Zudem will die Regierung die Debatte über ein europäisches Modell für die neue digitale Wirtschaft mitgestalten und relevante EU-Gesetzgebungsverfahren wie das EU-Gesetz zur Künstlichen Intelligenz abschließen. Zuletzt hat die spanische Regierung die Debatte über die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der strategischen Autonomie Europas begrüßt. Schließlich will sie einen Fokus auf die Vertiefung der Beziehungen zu Lateinamerika und der Karibik legen.
Was sind die drei wichtigsten Prioritäten Ihrer Organisation im Hinblick auf die Ratspräsidentschaft?
Unsere erste Priorität, die wir natürlich mit dem europäischen Industrie- und Arbeitgeberverband BusinessEurope teilen, lautet: Die EU braucht eine starke mittel- bis langfristige Wettbewerbsagenda. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft sollte zu einer Wettbewerbsagenda beitragen, die auf einen vertieften Binnenmarkt und eine regulatorische Atempause für Unternehmen zielt.
Zweitens muss der Ratsvorsitz die Einbeziehung der Sozialpartner in den politischen Entscheidungsprozess der EU fördern und die Ergebnisse des sozialen Dialogs stärken. Die spanische Regierung hat eine ehrgeizige Sozialagenda angekündigt. Zudem ist 2023 das Europäische Jahr der Kompetenzen, was eine Gelegenheit bietet, das derzeitige Missverhältnis zwischen Arbeitsangebot und -nachfrage sowie den Arbeitskräftemangel anzugehen.
Drittens muss der Ratsvorsitz eine EU-Handels- und Investitionspolitik unterstützen, die auf die Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit zielt. Im Bereich Handelspolitik will die Präsidentschaft den Fokus auf Lateinamerika und die Karibik legen. Es sind ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs sowie ein Business-Forum zwischen der EU und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten geplant. Die Ratspräsidentschaft sollte dabei auf die Öffnung der EU-Märkte hinarbeiten und gleichzeitig unsere strategischen Abhängigkeiten angehen. Zudem will der spanische Ratsvorsitz eine Debatte über die Definition des Begriffs der offenen strategischen Autonomie Europas führen. Das Thema soll im Mittelpunkt der Tagung des Europäischen Rates am 6. Oktober stehen. Wir sind der Meinung, dass die offene strategische Autonomie Europas auf wettbewerbsfähigen und starken Industrien und Unternehmen basieren muss.
Was sind Ihre Erwartung an Deutschland in Bezug auf die EU-Politik?
Deutschland spielt eine starke Rolle im EU-Integrationsprozess und in der EU-Politik. Auch wenn es unterschiedliche Auffassungen darüber geben mag, wie die grüne Transformation gelingen kann, ist Deutschland ein wichtiger und vertrauenswürdiger Partner in allen Bereichen. Wie bereits erwähnt, sind die Einheit der EU-Mitgliedstaaten und die Stärkung des Binnenmarktes für ein stärkeres und wettbewerbsfähigeres Europa entscheidend. Bei CEOE sind wir besonders glücklich über unsere starke bilaterale Zusammenarbeit mit dem BDI.
Was ist Ihre persönliche Vision für die Zukunft der EU?
CEOE steht vollkommen hinter dem europäischen Projekt und unterstützt eine starke Rolle Spaniens in den europäischen Debatten. Im Kern sind wir überzeugt, dass stärkere Unternehmen ein stärkeres Europa bedeuten. Ich persönlich kann mich mit diesem Ansatz sehr gut identifizieren. Ich glaube, dass nur eine starke und wettbewerbsfähige Wirtschaft hochwertige Arbeitsplätze schaffen kann. Europa ist einer der besten Orte zum Leben und Wachsen. Wir sollten stolz darauf sein und uns dafür einsetzen, dass dies auch so bleibt. Die EU ist – wie das Brüsseler Europaviertel – eine permanente Baustelle, in ständiger Entwicklung und wir haben in der Coronakrise gemeinsam viel erreicht. Durch unsere Organisationen, die auf nationaler und europäischer Ebene eine Schlüsselrolle spielen, haben wir das Privileg, zur Vertiefung des Integrationsprozesses beitragen zu können.