Transformationspfade: Energiewende auf Kurs bringen

Deutschland muss dringend strukturelle Reformen umsetzen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu sichern. Hohe Energiekosten und die Energiewende stellen große Herausforderungen dar. Unsere jüngste Studie „Energiewende auf Kurs bringen“, die BCG gemeinsam mit uns erstellt hat, setzt genau hier an und deckt eine Vielzahl von Hebeln auf.

Deutschland steht vor einer Vielzahl großer Herausforderungen, die die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes akut gefährden. Um sie zu lösen, braucht es jetzt eine Reihe struktureller Reformen, die die Voraussetzungen dafür schaffen, die private und öffentliche Investitionstätigkeit in Deutschland zu steigern. Eine umfassende Analyse dieser Herausforderungen und konkrete Lösungsansätze dazu hat der BDI mit seiner Studie „Transformationspfade für das Industrieland Deutschland“ im Herbst 2024 vorgelegt. 

Eine der zentralen Herausforderungen für die Industrie sind die im internationalen Vergleich hohen Energiekosten. Besonders die energieintensiven Branchen spüren die Auswirkungen der Energiekrise der letzten Jahre, doch auch nicht-energieintensive Wirtschaftszweige leiden unter zu hohen Energiekosten. Diese Situation bedroht Deutschlands Wertschöpfungsstruktur. Der relative Rückgang der Energiepreise im Vergleich zur Hochpreisphase in 2022 ist ein schwacher Trost – denn für deutsche Industrieverbraucher liegen die Gaspreise weiterhin um bis zu dem Faktor 5 und die Strompreise um den Faktor 1,5 bis 2,5 über denen großer geopolitischer Wettbewerber.

Neben den externen Schocks ist aber auch die Energiewende mitverantwortlich für Teile des Preisanstieges – und droht ohne Kurskorrektur zu weiter steigenden Preisen zu führen. Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist unbestritten, darf dabei aber nicht die Industrie als Rückgrat des deutschen Wohlstandsmodells riskieren. Es gilt also, Fehlsteuerungen zu vermeiden und eine allgemeine Kurskorrektur einzuleiten. Die neue Studie „Energiewende auf Kurs bringen – Impulse für eine wettbewerbsfähigere Energiepolitik“ setzt genau hier an, schlägt eine Brücke zur Studie „Transformationspfade für das Industrieland Deutschland“ und führt die Analyse des Wirtschaftsstandorts Deutschland mit Fokus auf Strom- und Molekülwende nahtlos fort.

Die Energiewende wird nicht zuletzt dadurch teuer, dass in den letzten Jahren zu wenige der prognostizierten Investitionsentscheidungen in grüne Technologien umgesetzt wurden. Da die Stromnachfrage entgegen den Prognosen in den letzten Jahren kaum gewachsen ist, besteht aktuell die Gefahr, mit den alten Plänen zu schnell zu große Investitionen in die neuen Infrastrukturen zu stecken, die dann bei zu wenigen Verbrauchern zu höheren Kosten führen. Die Elektrifizierung der Nachfrageseite (durch mehr E-Mobilität, Wärmepumpen, etc.) muss daher beschleunigt werden, während gleichzeitig der Ausbau von Stromnetzen, erneuerbaren Energien und der Wasserstoffinfrastruktur an die tatsächlich zu erwartende Nachfrage angepasst werden muss.

Auch geplante teure Lösungen wie die Verstromung von grünem Wasserstoff in Gaskraftwerken müssen überdacht werden, um Kostenrisiken zu senken. Doch es gibt auch Chancen: Eine kosteneffizientere Stromwende könnte die spezifischen Stromsystemkosten sogar senken. Eine bessere Koordination von Elektrifizierung, Erneuerbaren- und Infrastrukturausbau und der Nachfrage sowie ein stärkerer Fokus auf Kosteneffizienz sind hier wichtige Schlüssel. Eine kosteneffizientere Stromwende könnte bis 2035 mehr als 300 Milliarden Euro an Investitionen einsparen und die Stromkosten für Industrie und Haushalte um bis zu einem Fünftel senken.

Noch größer ist die Kostendifferenz zu ausländischen Wettbewerbern bei Erdgas, dem bislang wichtigsten Energieträger für die Industrie. Solange sich CO2 Preise international so stark von denen in der Europäischen Union unterscheiden und die Produktionskosten von Gas so verschieden sind, gibt es hier weniger Hebel, diese Lücke zu schließen. Diese Hebel, wie eine verursachungsgerechte Differenzierung der Gasspeicherumlage sowie eine Stärkung der heimischen Gasförderung sollten aber genutzt werden. 

Wasserstoff wird voraussichtlich vergleichsweise teuer bleiben, kann aber günstiger beschafft werden als derzeit geplant. Die deutsche Industrie benötigt grüne Moleküle zur Erreichung von Nullemissionen, doch Wasserstoff ist in vielen Anwendungen teurer als seine Alternativen. Um unnötige Kosten zu vermeiden, sollten die Pläne zum Aufbau der Wasserstoffwirtschaft an die ökonomischen Realitäten angepasst und Infrastrukturen zeitnah, aber in angepasstem Umfang aufgebaut werden. Parallel sollte die Verfügbarkeit günstiger Alternativen maximiert werden, wie durch Wasserstoffimporte, blauen Wasserstoff und den Einsatz biogener Energieträger sowie den Aufbau einer CCS Infrastruktur.

Trotzdem drohen für manche Industriezweige Mehrbelastungen. Selbst bei einer kosteneffizienteren Umsetzung der Energiewende sind für stromintensive Branchen dauerhafte Entlastungen erforderlich, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Elektrifizierung industrieller Wärmeanwendungen müsste stärker unterstützt werden, um Strom gegenüber Erdgas wettbewerbsfähig zu machen. Zudem würde der nötige Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft nicht ohne öffentliche Unterstützung erfolgen.

Die Studie identifiziert insgesamt 20 Hebel für eine bezahlbare Energiewende, welche eine klare Richtung vorgeben, was in den nächsten Jahren passieren muss, um wieder auf Kurs zu kommen. Es braucht mehr als ein Konjunkturprogramm, es braucht strukturelle Reformen. Diese Studie möchte hierzu einen Beitrag leisten.

Carsten Rolle und Holger Lösch zur Studie von BDI & BCG