Transformationspfade in die Zukunft

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich zum Klimakongress des BDI unter dem Motto „Transformationspfade in die Zukunft“. 
Darum soll es gehen heute, Klimaschutz, Wachstum und die Transformation der Industrie in eine bessere Balance zu bringen. 
Wir müssen umdenken.

Wenn es ein Wort des Jahrzehnts gäbe, wäre dies vermutlich das Wort „Transformation“.
Auf die Industrie bezogen bedeutet dies im Kontext des Klimawandels die Veränderung sowohl von Produktion als auch Produkten für das Ziel Klimaneutralität.
Wenn man den gegenwärtigen, aus meiner Sicht sehr kritischen Zustand unserer Industrie betrachtet, stellt sich sofort die Frage, ob wir zu dieser Transformation in der Lage sind.
Grundsätzlich beantworte ich diese Frage positiv, die deutsche Industrie ist stark, weil sie sich immer wieder neu erfunden hat – über Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte hinweg. Ich würde behaupten, die Fähigkeit zur Transformation ist Teil unserer DNA.
Übrigens gibt es hier einen fundamentalen Unterschied zu den USA, hier sehe ich mehr Schumpeter: kreative Zerstörung, radikale Skalierung, Kapital, das Risiken trägt. Die Namensliste der wichtigsten US-Firmen im Laufe der Zeit liefert hierfür den Beweis. Sie ist ständig im Wandel. 
In Deutschland dagegen setzen wir traditionell auf Transformation im laufenden Betrieb: Wir perfektionieren, integrieren, industrialisieren. Beides hat Wert. Entscheidend wird sein, dass wir das Beste aus beiden Welten verbinden – den Mut zum Neuanfang und die Stärke zur präzisen Umsetzung.
Transformation ist gefordert, Transformation können wir. Warum aber sind wir dann jetzt in der Krise? Und was sollten wir tun? Diese Frage möchte ich in den nächsten Minuten ein wenig nachspüren. 


II. Wir müssen umdenken

Ich sagte eingangs, die deutsche Industrie befindet sich in einer Krise. Diese ist nicht nur einer – wie ich finde – schlecht gemachten Transformation geschuldet, sondern sie ist multikausal.
Von 2003 bis 2018 profitierte unser Wirtschaftssystem von den "Glorious Five": niedrigen Zinsen, einem billigen Euro, den Babyboomern auf dem Höhepunkt ihrer Arbeitsproduktivität, günstiger Energie und der Friedensdividende. In dieser Zeit haben wir uns in Deutschland Kostenstrukturen aufgebaut, die heute nicht mehr tragbar sind. Wir haben uns an ein Leben in Verhältnissen gewöhnt, die wir nicht mehr haben. Darum müssen wir uns umstellen, unser Land neu aufstellen.
Hinzu kommt eine neue weltpolitische Lage, die uns als deutsche Industrie und als Exportnation ins Mark trifft. 
Wir erleben einen fundamentalen Systemwechsel: von liberalen zu illiberalen Demokratien, von einem ordnungspolitisch-regelbasierten Welthandel zum Merkantilismus, von einer multilateralen, oft wertebasierten und fairen Außenpolitik zu reiner Machtpolitik.
Die US-Zölle und die Auseinandersetzung zwischen den USA und Chinas zeigen dies auf eindrückliche Weise.
Unser historisches Erfolgsmodell – großzügiger Wohlfahrtsstaat innen, strategische Souveränität außen, finanziert aus Exportüberschüssen – gerät unter Druck.
Dies sind die Ursachen unserer Situation, die Deutschlands hausgemachte Standortschwäche massiv verschärfen.
Dazu kommt eine in Brüssel und Berlin erdachte Klimapolitik, die im Ansatz mit dem Europäischen Emissionshandel gut gedacht ist, durch einen fundamentalen Fehler aber untauglich ist.
Dieser Fehler ist die Überzeugung, kleinteilige staatliche Lenkung und die detaillierte Vorgabe des Weges zum Ziel sei die Lösung.
Der richtige Ansatz ist die Vorgabe des Ziels, sprich die CO2-Reduktion durch das ETS, in Kombination mit freier Innovation und freiem Markt.
Das Ergebnis dieses fundamental falschen Ansatzes hat dann viele Gesichter.
Der breite Protest gegen das Heizungsgesetz in Deutschland ist ein Beispiel.
Die detaillierte Vorgabe von Ausbauzielen für die Energieerzeugung entlang unrealistischer Planungen, ist ein aktuelles Beispiel.
Die Fokussierung in Brüssel auf einen einzigen technischen Weg – die Elektrifizierung von allem – und das de facto Verbot von anderen technischen Lösungen, die die gleiche Wirkung hätten, ist ein anderes verhängnisvolles Beispiel.
Die Liste an Fehlern, die aus dem Grundirrtum der staatlichen Feinsteuerung entsteht, könnte ich beliebig fortsetzen.
Im Ergebnis bedeutet dies für die Industrie eine enorm hohe Belastung durch groteske Bürokratie, die aus dem weiterhin richtigen Ziel des Klimaschutzes entsteht.
Und es bedeutet auch um Faktoren gesteigerte Energiekosten, die teilweise auch durch schlechte Planung entstanden sind.
Ein weiterer unerwarteter Punkt sind fehlgeleitete Produktstrategien der Unternehmen selbst, die aus Vorgaben entstehen, die am Markt vorbeigehen.

All dies ist nicht mehr tragbar aus zwei Gründen:
Erstens: Wenn unsere Industrie scheitert, verlieren wir nicht nur Wohlstand, vielmehr ist die Basis unseres Wohlfahrtsstaates und unserer Souveränität als Ganzes gefährdet.
Zweitens und besonders tragisch: Unsere eigentliche Chance durch die Transformation liegt nicht vorrangig in der Reduktion des eigenen CO2-Ausstoßes – sie ist mit unter 2% Anteil im Weltmaßstab überschaubar – sondern in der Führungsrolle, die wir einnehmen könnten.

Vorbild für eine weltweite Transformation werden wir nur durch ein erfolgreiches und gelungenes Vorleben des richtigen Weges und durch die Innovationen, die dann anderen zugänglich werden.
Das erfolgreiche und gelungene Vorleben beinhaltet aber als notwendige Bedingungen den wirtschaftlichen Erfolg.

Dieser bleibt beim gewählten Ansatz aus. Das ist der Grund, weshalb wir umdenken müssen.
Umdenken bedeutet: Die Wettbewerbsfähigkeit muss in unseren Fokus rücken. Mario Draghi hat dies vor einem Jahr präzise beschrieben. Auch unsere eigenen BDI-Studien haben die Defizite des Standortes detailliert analysiert.
Gut ist, Draghi bleibt nicht ohne Wirkung: Brüssel und Berlin haben die Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt ihrer Reden und Ankündigungen gestellt. Was aber bisher fehlt, ist die konsequente Umsetzung!


III.    Wir brauchen intelligente Strategien

Um umzudenken, müssen wir Fragen stellen. Fragen zur Wirtschaftlichkeit von Klima-Maßnahmen, zur Technologieoffenheit und zu Chancen und zu Grenzen der Flexibilisierung von Regeln.

Wann erreichen wir realistisch welche Ziele?
Welche Kosten sind damit realistisch verbunden?
Mit welchen anderen Herausforderungen steht das Klimaziel im Wettbewerb? Klimaschutz steht in den nächsten Jahren in finanzieller Konkurrenz zu vielen anderen Anforderungen: sozialer Sicherheit, Verteidigung, besserer Bildung. Deshalb muss Klimaschutz so sparsam und effizient wie möglich sein, vulgo: So wenig kosten und so viel leisten wie möglich.
Welche Opfer wird der eingeschlagene Weg fordern? Gibt es energieintensive Industrien, die keine Chance haben zu überleben?
Welche anderen übergeordneten Ziele werden nicht mehr realistisch sein?

Das Zulassen dieser unangenehmen Fragen im politischen Diskurs ist der erste Schritt des Umdenkens. Dies allein wäre schon ein wichtiger und großer Schritt.
Ich bin immer noch jeden Tag aufs Neue erstaunt über den perfekten Dreiklang aus Ritualisierung, Kodifizierung und Tabuisierung in Berlin und Brüssel. Dieses System verhindert das Erkennen der anstehenden Aufgaben wirkungsvoll. Denn dieses System verhindert das Stellen von Fragen, wie die, die ich oben stelle.
Wir brauchen Offenheit für Technologien und für abweichende Meinungen. Sie könnten berechtigt sein. Tabuisierung hält den Wandel nicht auf. Mein Wunsch für uns alle ist das Finden der richtigen Balance. Dies ist auch die Voraussetzung für innovative Strategien.

Gerade im klimapolitischen Bereich stößt man auf viele Regulierungen, starre Pläne, fixe Ziele, festgelegte Zahlen. 
Fast alle Regelungen erfüllen wichtige Funktionen. Aber zu viele sind unflexibel, praxisuntauglich und, besonders schlimm: innovationshemmend. In Anbetracht des stetigen technologischen Fortschritts gibt es nicht den einen, den linearen Pfad. Wir brauchen also mehr Flexibilität, mehr Agilität.

Der Monitoringbericht zur Energiewende, den Ministerin Reiche vor kurzem veröffentlicht hat, geht in die richtige Richtung. Er liefert eine sachliche und realistische Analyse, ohne dogmatischen Eifer.
Dabei gefällt mir der Fokus auf die nächsten zehn Jahre besonders.
Mein Hintergrund ist Technologieentwicklung, das habe ich im eigenen Unternehmen in den letzten 25 Jahren sehr erfolgreich gemacht – bitte entschuldigen Sie die Unbescheidenheit dieser Aussage!
Aus dieser Erfahrung sage ich, niemand kann heute mit Sicherheit sagen, welche neue Technologie in zehn Jahren die tonangebende für ein bestimmtes Problem sein wird. Dies gilt auch für neue Technologien für den Klimaschutz.
Hinzu kommt, dass die geopolitischen Rahmenbedingungen oder gesellschaftlichen Dynamiken in zehn Jahren werden dies maßgeblich beeinflussen. Auch diese sind unvorhersehbar.
Da das immer so ist, verfolgen wir bei der Entwicklung neuer Technologien sowohl in meinem Unternehmen als auch in der Technologieentwicklung allgemein immer den Grundsatz „Bet on a Race, not on a Horse“.
Kleinteilige, spezifische Vorgaben für den Weg zum Ziel sind Gift.

Ich habe zu Beginn über die Fähigkeit der Industrie zum kontinuierlichen Wandel gesprochen. Der entscheidende Faktor ist dabei die Innovation, sie ist der Schlüssel zum Erfolg.
Wir verfügen nach meiner Überzeugung immer noch über eines der besten Innovationssysteme weltweit.
Es liegt am Ökosystem selbst, dieser Kombination aus mittelständischen, agilen, hochinnovativen Unternehmen, den Großunternehmen, der Kombination aus Grundlagenforschung und angewandter Forschung und vor allem der Tatsache, dass wir ein Land sind, dass über eine hohe Wertschöpfung verfügt.
Am Ende, davon bin ich überzeugt, können die am besten innovieren, die auch selbst produzieren. Dies ist aus meiner Sicht – diese Nebenbemerkung sei mir erlaubt – ein Grund für die hohe Innovationskraft von China.


IV. Konkrete Forderungen für die Politik

Wir haben drei konkrete Forderungen, auf die ich im Folgenden eingehen werde: 
Erstens: Effizienz muss die entscheidende Messgröße für den Erfolg der Transformation werden.
Ich gebe ein Beispiel: Hohe Energiekosten sind eine der größten Sorgen der deutschen Industrieunternehmen. 
Die neue Bundesregierung hat nun kurzfristige Entlastungen bei Stromsteuer und den Netzentgelten auf den Weg gebracht hat. Doch helfen sie gerade nicht den energieintensiven Industriezweigen, da diese hier bereits entlastet waren. Für diese braucht es zusätzliche Entlastungsmaßnahmen – für die sich die Bundesregierung auch einsetzt. Aber: diese Entlastungen simulieren mit Steuergeld ein wettbewerbsfähiges Energiesystem. Subventionierte Energiepreise gibt es nur so lange, wie das Geld reicht. Das ist das Gegenteil von nachhaltig.
Wir brauchen daher zugleich eine strukturelle Reform der Energiewende für einen effizienten Umbau des Energiesystems. Wir vom BDI haben in einer Studie dargestellt, dass wir bis zu 300 Milliarden Euro mit einer effizienten Energiewende in den nächsten 10 Jahren einsparen lassen.
Dies muss einhergehen mit dem bedarfsgerechten Umbau. Wenn der Stromverbrauch in den nächsten Jahren weniger wächst als bisher geplant, müssen auch Netzausbau und Erzeugungskapazitäten an dieses neue, geringere Wachstum angepasst werden.

Zweitens: Die EU als Chance nutzen.
Dazu zählt die Vollendung des EU-Energiebinnenmarktes.
Ein echter Energiebinnenmarkt würde Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz stärken, ich denke, das muss nicht erklärt werden.
Hinzu kommt, die Umsetzung einer Kapitalmarktunion.
Die Transformation wird aber erheblich privates Kapital benötigen. Das Kapital ist vorhanden in Europa, es kommt aber durch das Fehlen einer Kapitalmarktunion nicht hier zum Einsatz – wir investieren in amerikanische Rentenfonds anstatt in die deutsche oder europäische Transformation. Bei der Aufgabe, die vor uns liegt, werden wir uns dies nicht mehr leisten können.
Die EU als Chance wird nur gelingen mit echter Simplification.
Das, was heute als Simplification bezeichnet wird, und in Form von Omnibussen in Brüssel die Gemüter erregt, ist keine Simplification, sondern tatsächlich nur eine Reduktion von zusätzlichen Lasten.
Was wir aber brauchen, ist eine echte und starke Vereinfachungen, z.B. bei der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und der Energieeffizienzrichtlinie oder z.B. Technologieoffenheit bei der Wasserstoff-Produktion. Dies ist die Simplification, die wirkungsvoll wäre fürs Klima. 
Es geht um echten Bürokratieabbau, auch und gerade in Deutschland.

Drittens: Leadership
Diese Forderung richtet sich an die gesamte Bundesregierung: Ich appelliere an Sie, handeln Sie einheitlich. Führung entsteht durch die Klarheit der Botschaft. Eine Führungsmannschaft, die sich gegenseitig widerspricht, verhindert Führung. Wiederholen Sie nicht die Fehler der letzten Regierung. Verlieren Sie sich nicht in politischen Grabenkämpfen. Die nächsten Jahre werden wir in Deutschland und Europa nur gemeinsam bestehen und gestalten, und das muss oben beginnen. Wenn Sie geschlossen auftreten, können Sie Wichtiges erreichen. 

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich sagte am Anfang meiner Rede, unsere eigentliche Chance durch die Transformation liegt nicht in der Reduktion des eigenen CO2-Ausstoßes allein, sondern in der Führungsrolle, die wir einnehmen könnten.
Vorbild für eine weltweite Transformation werden wir nur durch ein erfolgreiches und gelungenes Vorleben des richtigen Weges. Dieses erfolgreiche und gelungene Vorleben erfordert aber den wirtschaftlichen Erfolg. 
Dass dies gelingen kann, erfordert eine Haltungsänderung. Wir müssen kleinteiliges, misstrauisches und ineffizientes zentrales Lenken durch die Vorgabe von Zielen und die freie Innovation in freien Märkten ersetzen. Nur so können wir wirtschaftlich erfolgreich sein.
Wir müssen uns jetzt ehrlich machen, damit die Klimatransformation nicht scheitert. 
Und wir müssen die Chance Europa ergreifen, indem wir den Binnenmarkt vollenden, für Energie und Kapital. 
So kann aus unserem großen Transformations-Projekt am Ende ein großer Erfolg werden, der andere inspiriert.
Herzlichen Dank.