Verbrenner-Aus 2035? – Politik muss technologieoffen Elektromobilität und E-Fuels absichern
Ziel der Regulierung ist mehr Tempo beim Klimaschutz im Verkehr. Laut EU-Kommission und EU-Parlament soll dies über das faktische Verbot der Neuzulassung von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen mit Verbrennungsmotor in der Europäischen Union ab 2035 erreicht werden. Aus Sicht der Industrie wäre das eine folgenschwere Entscheidung gegen Innovationen, Technologieoffenheit und letztlich auch gegen den Standort Europa dar – und ohne nachhaltige Wirkung für mehr Klimaschutz. Die EU-Kommission muss schnellstens klären, wie sie die unklare Formulierung des EU-Rates zur Verwendung von E-Fuels interpretiert. Der technologieoffene Einsatz von Elektromobilität und E-Fuels muss sich jetzt auch in EU-Parlament und EU-Kommission durchsetzen.
Die EU-Umweltministerinnen und -minister haben sich Ende Juni im Rahmen der französischen Ratspräsidentschaft für einen vermeintlich technologieoffenen Ansatz ausgesprochen. Es bleibt beim gemeinsamen Ziel der Brüsseler Institutionen, ab 2035 eine 100-prozentige Reduktion der CO2-Emissionen von neu zugelassenen PKW und leichten Nutzfahrzeugen umzusetzen. Abweichend von EU-Kommission und -Parlament will der EU-Rat auch den Einsatz von Verbrennerfahrzeugen ermöglichen, die ausschließlich mit CO2-neutralen Kraftstoffen – so genannten E-Fuels – betrieben werden. Der Ministerrat hat die EU-Kommission aufgefordert, dazu einen Vorschlag vorzulegen. Die konkrete Umsetzung, eine verbindliche Verknüpfung mit der CO2-Flottenregulierung, der Umfang der einbezogenen Fahrzeuge sowie der weitere Zeitrahmen im Trilogverfahren sind noch völlig ungeklärt.
Künftigen Lösungsraum nicht durch Technologievorgaben beschränken
Aktuell muss die Industrie deshalb davon ausgehen, dass die Politik weiterhin für einen Großteil der Neuzulassungen von Pkw und leichten Nutzfahrzeuge ein faktisches Verbrenner-Aus vorgeben wird. Dann würde einseitig der Technologiepfad Elektromobilität gesetzlich festgelegt. Das wäre eine hochproblematische Entscheidung und nur ein vermeintlicher Sieg für Technologieoffenheit. Der Transformationsprozess der gesamten automobilen Wertschöpfungskette in Europa läuft bereits auf Hochtouren in Richtung Elektromobilität. Die Politik greift aber durch ihre Entscheidungen massiv in diesen Zukunftsprozess ein. Gleichzeitig versäumt sie, ihre Hausaufgaben zu erfüllen. Zentrale Voraussetzungen für den Erfolg von Elektromobilität sind bislang ungeklärt. Wichtigstes Beispiel: Es fehlen echte Ambitionen für einen raschen und flächendeckende Aufbau von Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.
Aufgabe der Politik ist es, die richtigen Rahmenbedingungen für Innovationen und Technologiehochlauf zu stellen. Die Politik irrt, wenn sie meint, Innovationen für Klimaschutz per staatlicher Technologievorgabe „herbeiregulieren“ zu können. Zum heutigen Zeitpunkt lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, welche technologischen Möglichkeiten es im Jahre 2035 und darüber hinaus geben wird. Aktuelle Herausforderungen wie die weitere Digitalisierung sowie die Verfügbarkeiten von Rohstoffen, Halbleitern sowie erneuerbarer Energien verdeutlichen, dass auch künftig ein Lösungsraum für alternative Antriebe und Kraftstoffe neben direkter Elektrifizierung sinnvoll sein kann. Deshalb könnte sich der Rats-Kompromiss auf Vorschlag Deutschlands, E-Fuels außerhalb der Flottenregulierung einzusetzen, nur als politischer Scheinriese erweisen. Ohne eine verbindliche Verankerung der E-Fuels in der CO2-Flottenregulierung entsteht kein entscheidender zusätzlicher Impuls für den dringend erforderlichen Hochlauf einer europäischen Wasserstoff- und PtX-Wirtschaft.
Revision der CO2-Flottenregulierung stellt Industrie vor enorme Herausforderungen
Durch eine einseitig auf Elektromobilität fokussierte und beschleunigte Transformation drohen erhebliche Verluste an Arbeitsplätzen für die beschäftigten Menschen insbesondere in kleineren und mittelständischen Unternehmen der europäischen Zulieferindustrie. Die Entscheidung der EU stellt die deutsche und europäische Industrie daher vor sehr hohe Herausforderungen. Eine vollständige Analyse von sozialen und ökonomischen Folgen wird unterlassen. Dabei ergeben sich auch hinsichtlich einer Erneuerung von Fahrzeugflotten in Mitgliedsaaten mit niedrigeren Durchschnittseinkommen weitere Fragen. Diese könnte ins Stocken geraten: Sie erfolgt in diesen Ländern vor allem durch Gebrauchtwagen aus den größeren Industrieländern. Aber weder neue noch gebrauchte Elektroautos können in Ländern wie Bulgarien, Ungarn, Polen oder Malta und Griechenland absehbar auf ein flächendeckendes Ladenetz zugreifen. Somit ist die voraussichtliche Brüsseler Entscheidung für ein Verbrenner-Aus auch eine Entscheidung gegen Kundeninteressen und eine soziale Balance.
EU-Institutionen müssen jetzt ihre Hausaufgaben erledigen
Unabhängig vom weiteren Verlauf der Diskussionen über ein faktisches Verbrenner-Aus oder den künftigen Einsatz von E-Fuels: Die Herausforderungen beim Klimaschutz erlauben der Politik kein Zögern mehr. Wenn sie Technologien und äußerst ambitionierte Flottengrenzwerte vorgibt, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Daran mangelt es bislang. Die Politik ist deshalb aufgefordert, ihre Hausaufgaben zu erledigen: Die offenen Fragen für einen Einsatz von E-Fuels im Straßenverkehr muss sie rasch klären. Den Hochlauf der Elektromobilität gilt es abzusichern. Das heißt vor allem, den Aufbau der Ladeinfrastruktur verbindlich voranzutreiben. Zusätzlich braucht es Sicherheit bei Rohstoffen, Halbleitern sowie erneuerbarer Energie und flankierend eine CO2-Bepreisung. Außerdem muss die Politik den notwendigen Transformationspfad insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen unterstützen.