Vom Green Deal zum „Smart Deal“
Der 2019 verkündete European Green Deal rief eine neue Agenda auf den Plan. Bis 2050 soll Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt werden. Gleichzeitig soll der Green Deal die neue Wachstumsstrategie der Europäischen Union sein. 2020 kam die Corona-Pandemie und stellte plötzlich unseren ganzen Alltag sowie die Wirtschaft und funktionierenden Wertschöpfungsketten auf den Kopf. Das ganze Ausmaß der Krise und die Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft werden wohl erst nach und nach sichtbar werden. Ein Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland um mehr als sechs Prozent ist nicht mehr zu vermeiden sein. Auch auf die Energiemärkte hat die Pandemie drastische Auswirkung. Aufgrund des hohen Nachfragerückgangs sind fossile Energiepreise und der CO2-Preis derzeit im starken Abwärtstrend und setzen somit die auf langer Strecke entwickelten klimapolitischen Steuerungsinstrumente unter Druck. Der kurzfristige Einbruch der CO2-Emissionen wird wirtschaftlich und gesellschaftlich teuer bezahlt und er führt eben nicht zu den notwendigen massiven strukturellen Veränderungen, durch die ökonomisches Wachstum und Emissionen langfristig entkoppelt werden können.
„Recovery”-Maßnahmen und Zukunftsinvestitionen kombinieren
In Zeiten der Krise stehen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vor einem Dilemma. Wollen wir möglichst schnell das Wohlstandsniveau Prä-Corona auch mit bestehenden Technologien wiederherstellen oder wollen wir den disruptiven Schock zu einem radikalen technologischen Sprung nutzen? Sinnvoll und realistisch erscheint allerdings eher, unsere Pfade flexibel an die neuen Gegebenheiten anzupassen und genau darauf zu achten, wo und wie wir unsere nun noch kostbareren, weil knapperen, Ressourcen einsetzen. Die wirtschaftlichen “Recovery”-Maßnahmen und der European Green Deal müssen keinen Gegensatz darstellen, wenn sie intelligent kombiniert und Investitionen strategisch klug eingesetzt werden. Es braucht daher einen „Smart Deal“, der neben Maßnahmen für eine effektive und kosteneffiziente Emissionseinsparung auch die Absorptionsfähigkeit und die Wertschöpfungstiefe von Fördergeldern berücksichtigt. Er setzt auf der einen Seite auf Entlastung bei Kosten und Regulierung, andererseits auch auf die konkrete Förderung von Investitionen. In diesem Zusammenhang setzt auch der von der EU verkündete Recovery Plan, einschließlich des neuen Finanzierungsinstrumentes „Next Generation EU“, grüne Investitionen und den Ausbau des digitalen Wandels hoch auf die Agenda. Wie dies in der konkreten Ausgestaltung aussieht und nach welchen konkreten Kriterien Hilfsmittel vergeben werden sollen ist noch vage. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft sollten folgende Prioritäten bei der Ausgestaltung der Krisenbewältigung und einer zukunftsgerichteten Klimapolitik maßgeblich sein.
Planbarkeit und Sicherheit schaffen als oberstes Gebot
An allererster Stelle muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen, die die Unternehmen dabei unterstützen, die akute Krise zu bewältigen. Zur sicheren Planbarkeit gehört auch, an gesetzten Zielen festzuhalten und geplante Investitionen in Zukunftsprojekte langfristig berechenbar zu machen. Jegliche Zielverschärfung muss sich in dieser schwierigen Phase einem Realitätscheck/Impact Assessment unterziehen, um Annahmen und Parameter realistisch an die veränderte Situation anzupassen. Eine Verschärfung der europäischen Klimaziele für 2030 auf 55 Prozent könnte sich durch das sogenannte effort sharing in der EU in ein 2030-Ziel von annähernd 70 Prozent für Deutschland übersetzen. Für nachhaltige Erfolge bedarf es statt regelmäßig neuer Zieldebatte Planungssicherheit durch ein fein abgestimmtes Instrumentarium. Hierzu gehören unter anderem ein funktionierendes CO2-Preissystem, Forschungs- und Innovationsförderung, eine massive Förderung von Pilotprojekten zur industriellen Skalierung und Instrumente des Carbon-Leakage-Schutzes.
Kurzfristig Entlastungen für Unternehmen schaffen
Zu den größten Belastungen für die Industrie in Deutschland zählen seit langem die hohen Stromkosten. Eine sofortige und drastische Entlastung bei den Abgaben auf Strom ist daher ein mitentscheidend für den Verlauf der ökonomischen Erholung und der nachhaltigen Veränderung. Ebenso müssen die EU-Beihilferichtlinien so angepasst werden, dass sie Unternehmen gezielt bei der nachhaltigen Transformation unterstützen. Es ist in diesem Zusammenhang zu begrüßen, dass die vorgestellten EU-Recovery-Maßnahmen ausdrücklich eine Reform der Beihilferechtlinien vorsehen.
Klimapolitik pragmatischer denken
Die Prioritäten in der Klimapolitik sollten möglichst pragmatisch in den Bereichen gesetzt werden, in denen sich die kostengünstigsten und effektivsten Erfolge in der Emissionsminderung erzielen lassen und die kurzfristig einen effektiven Beitrag zum wirtschaftlichen Wiederaufschwung leisten. Diese Bereiche sollten ein hohes Maß an Absorptionsfähigkeit aufweisen, zur Schaffung neuer Arbeitsplätz und Wertschöpfung beitragen und die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz Europas verbessern. Besonders eignen sich hierfür die geplanten Investitionen aus der Fazilität „Connecting Europe“ und dem „InvestEU-Paket“ in Gebäude- und Energieeffizienz, Infrastrukturmaßnahmen im Bereich Energie und Verkehr, der Ausbau erneuerbarer Energien und Zukunftstechnologien, wie Elektromobilität/Batterien inklusive dem Ausbau von Ladeinfrastruktur und der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Entscheidend wird auch sein, sich einen pragmatischen Blick auf alle technologisch verfügbaren Optionen zu gestatten. Hierzu zählt auch, die Debatte um die Nutzung effizienter Kohlenstoffkreisläufe (CCS/CCU) neu aufzunehmen. Zudem wurden die Potenziale der Offshore-Windenergie bislang in Europa noch nicht ausreichend erschlossen. Dafür bedarf es eines verlässlichen europäischen Regulierungsrahmens. Die EU verfügt insbesondere mit der Nordsee sowie im Mittelmeerraum über ertragreiche Standorte für Offshore-Wind.