Von der Exzellenz zur Wettbewerbsfähigkeit: Deutschlands Agenda als mRNA- und Zelltherapie-Pionier

mRNA-Medikamente sowie Gen- und Zelltherapien sind Gamechanger der Medizin mit kurativem Potenzial und Milliardenmarkt. Deutschland verfügt über exzellente Forschung, doch Translation und Skalierung sind die Achillesferse. Es müssen Strukturen geschaffen werden, um wissenschaftliche Stärke in globale Wettbewerbsfähigkeit zu verwandeln.

mRNA-Medikamente sowie Gen- und Zelltherapien (GCT) markieren einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in der Medizin. Sie eröffnen die Möglichkeit, Krankheiten nicht nur symptomatisch zu behandeln, sondern kausal und in vielen Fällen kurativ anzugehen. Besonders bei bislang schwer oder gar nicht therapierbaren Erkrankungen bieten diese Ansätze enorme Chancen.  

Der globale Markt für GCT befindet sich in einer Phase exponentiellen Wachstums. Von einem heutigen Volumen von rund 20 Milliarden Euro wird ein Anstieg auf rund 95 Milliarden Euro bis 2030 erwartet – ein jährliches Wachstum von mehr als 40 Prozent je Technologie. Für Deutschland, das mit exzellenter Grundlagenforschung, international sichtbaren Erfolgsbeispielen wie BioNTech und starken Universitätskliniken einen hervorragenden Ausgangspunkt besitzt, ergibt sich damit die historische Chance, eine führende Rolle in einem der zentralen Zukunftsmärkte der Gesundheitswirtschaft einzunehmen. 

Hürden für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit in GCT 

Die BCG-Studie „Deep Tech für den Industriestandort Deutschland“, im Auftrag des BDI, zeichnet allerdings gravierende Herausforderungen, die diesen Weg bislang behindern. Der Transfer von der Forschung in die industrielle Produktion und die breite Versorgung gelingt nur unzureichend. Die Förderlandschaft ist fragmentiert, Investitionslücken im Health-Tech-Sektor summieren sich allein für den Zeitraum 2017 bis 2021 auf über 180 Milliarden Euro im Vergleich zu den USA. Hinzu kommen Engpässe bei der GMP-(Good Manufacturing Practice)-nahen Infrastruktur und der Herstellung von Vektoren, die für Gen- und Zelltherapien unverzichtbar sind.  

Auch regulatorische Hürden erschweren den Fortschritt: Zulassungs- und Erstattungsverfahren sind auf klassische Arzneimittel zugeschnitten und berücksichtigen die Besonderheiten von Deep-Tech-Medikamenten nicht. Das AMNOG-Verfahren etwa bietet keine hinreichende Flexibilität für neuartige, personalisierte Therapien. Zudem sind die Prozesse langwierig, was innovative Anwendungen auf Nischenmärkte beschränkt. 

Ein weiteres Hindernis liegt in der Fachkräfteversorgung. Für hochspezialisierte Bereiche wie GMP-konforme Herstellung, Bioprozessentwicklung oder regulatorisches Management fehlen definierte Kompetenzprofile und systematische Weiterbildungsangebote. Gleichzeitig ist die gesellschaftliche Akzeptanz von mRNA-Technologien, nicht zuletzt infolge der kontroversen Debatten während der COVID-19-Pandemie, ambivalent. Ohne eine gezielte Kommunikations- und Dialogstrategie droht die öffentliche Unterstützung für diesen Zukunftssektor zu schwinden. 

Die internationale Wettbewerbsdynamik verschärft diese Herausforderungen. Parallel investieren die USA und China massiv in Infrastruktur, beschleunigte Zulassungen und Wagniskapital. Dort fördern Plattformzentren und adaptive Regulierungen Translation und Skalierung, während Deutschland trotz exzellenter Forschung den Anschluss zu verlieren droht. 

Maßnahmen für ein starkes GCT-Ökosystem und gesellschaftliche Akzeptanz 

Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, sind entschlossene politische und institutionelle Schritte erforderlich. Zentral ist der Aufbau eines leistungsfähigen Translations- und Produktionsökosystems. Öffentliche, GMP-nahe Plattformzentren nach internationalen Vorbildern wie dem britischen Cell and Gene Therapy Catapult könnten den Übergang von der Forschung in die klinische Anwendung beschleunigen. Ebenso braucht es eine nationale Einrichtung für die Vektorproduktion sowie vereinfachte Prozesse für Ausgründungen, die den Zugang zu Kapital und Lizenzrechten erleichtern. Parallel dazu sollte das Gesundheitssystem auf die besonderen Bedingungen von Deep-Tech-Medikamenten vorbereitet werden. Dazu gehören adaptive Zulassungsverfahren, neue Finanzierungs- und Erstattungslogiken sowie Reallabore, die personalisierte Therapien unter realen Versorgungsbedingungen erproben. 

Darüber hinaus ist eine klare Governance-Struktur erforderlich, die die nationale Strategie für GCT koordiniert, Ziele definiert und Fortschritte überwacht. Eine solche Koordinierungsstelle könnte die bislang verstreuten Aktivitäten bündeln und Deutschland im globalen Wettbewerb sichtbarer positionieren. Begleitend dazu sind internationale Kooperationen entscheidend, um Standards und Märkte aktiv mitzugestalten.  

Nicht zuletzt gilt es, Fachkräfte zu qualifizieren und die gesellschaftliche Akzeptanz zu stärken. Nationale Ausbildungs- und Weiterbildungsprogramme sollten spezifische Kompetenzprofile für die Bioprozessentwicklung und regulatorische Expertise entwickeln. Parallel dazu braucht es eine Kommunikationsstrategie, die Chancen und Risiken transparent vermittelt und Dialogformate wie Bürgerräte etabliert, um Vertrauen in die neuen Technologien zu schaffen. 

Fazit: Exzellenz nutzen, Rückstand verhindern 

Deutschland steht an einem entscheidenden Punkt. Die wissenschaftliche Basis ist exzellent, doch ohne entschlossene Investitionen in Translation, Skalierung und Akzeptanz droht der Rückstand im internationalen Wettbewerb. Gelingt es dagegen, diese Herausforderungen zu meistern, kann Deutschland nicht nur seine Position als Innovationsstandort ausbauen, sondern auch die Gesundheitsversorgung nachhaltig transformieren und neue Wertschöpfungsketten in einem globalen Wachstumsmarkt erschließen.