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Welche Zukunft hat der industrielle Mittelstand in Deutschland?

Der deutsche Mittelstand steht unter Druck. Das globale und europäische Umfeld wird immer unübersichtlicher, der Standort zeigt konjunkturelle und strukturelle Schwächen, Märkte und Wertschöpfungsverbünde zeigen sich volatil, Unternehmen sind in der Transformation gefordert. Auf welche Szenarien muss sich der industrielle Mittelstand bis 2030 einstellen? Ein Gespräch mit Familienunternehmer Hans-Toni Junius über seine Zukunftsprognosen für den Standort Deutschland.

Wie steht es um die Welt und um die EU im Herbst 2024?

In globaler Perspektive stelle ich wachsende politische und wirtschaftliche Unsicherheiten fest, die Risiken für Unternehmen bergen. Wie steht es grundsätzlich um offene Märkte und freien Handel? Was geschieht etwa im Indo-Pazifik oder in den USA? Was passiert geopolitisch und wie meistern wir bei uns die direkten und indirekten Effekte von weltweit immer mehr Krisen, Konflikten und Kriegen? In Europa sehe ich gerade eine neue EU-Kommission und ein neues EU-Parlament ins Amt kommen. Welche wirtschaftspolitischen Prioritäten werden in Brüssel nicht nur benannt, sondern in den nächsten Jahren auch umgesetzt? Was kommt davon spürbar in Deutschland an? Viele Fragen und wenig Antworten. Die Wirtschaft muss im Nebel navigieren. Das fordert Unternehmerinnen und Unternehmer stark heraus. Das bindet Kräfte, die wir für die Weiterentwicklung unserer Betriebe benötigen. In jedem Fall macht es unternehmerische Planung für die absehbare Zukunft schwierig.

Dieser Blick auf und in die Welt schmerzt. Wie steht es um Deutschland?

Am Standort Deutschland erleben wir konjunkturelle und strukturelle Schwächen. Die Konjunktur lahmt, Investitionen stocken, klare Perspektiven fehlen. Strukturell belasten vor allem die hohen Energiepreise, die fehlenden Arbeits- und Fachkräfte sowie die defizitären Infrastrukturen. Von der europäischen und nationalen Politik erleben wir bislang keine überzeugenden Schritte zur spürbaren Verbesserung dieses Umfeldes. Auch in der Zusammenarbeit zwischen großen, mittleren und kleinen Unternehmen verschlechtert sich das Klima und in der Zusammenarbeit knirscht es vernehmbar. In vielen Branchen und manchen Regionen drohen flexible und innovative Wertschöpfungsverbünde zu brechen. Im Ergebnis steht das eigentliche Erfolgsrezept für unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit und unseren Wohlstand auf dem Spiel. Das spüren die Belegschaften und ich halte das für einen der Gründe, warum gesellschaftliche Unruhe entsteht. Die entscheidende Frage bleibt: was heißt das alles für unternehmerische Resilienz, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, sozialen Zusammenhalt sowie politische Stabilität in Bund und Ländern?

Der Standort Deutschland ist unter Druck – oder wie würden Sie das beschreiben?

Für mich ist klar: der Rahmen für uns Mittelständler am traditionellen Standort wackelt. Unternehmerisch verändert die digitale und ökologische Transformation – die wir gleichzeitig erfolgreich umsetzen wollen und müssen – viele bisher gültige Regeln. Für einige Branchen und Regionen entstehen zwar interessante Marktchancen, doch es wachsen an anderen Stellen teilweise existenzielle Herausforderungen. Ich erlebe immer wieder Unternehmen, die das Denken in Generationen angesichts wuchernder Regulierung sowie rasender und kostenintensiver Investitions- und Technologiezyklen in Frage stellen. Ein Unternehmen an die nächste Generation erfolgreich zu übergeben, beinhaltet immer große Herausforderungen und derzeit sind sie größer denn je. Übrigens auch, weil „Unternehmertum“ gesellschaftlich und politisch aktuell wenig Wertschätzung findet.

Können Politik und Mittelstand überhaupt noch Zukunft?

Der Mittelstand muss sich immer wieder neu erfinden. Bei vielen industriellen Mittelständlern und auch namhaften Familienunternehmen erlebe ich in der Praxis eine hohe Motivation der nächsten Unternehmer-Generation. Das ist nicht anders als in der Start-Up Szene. Zum Beispiel arbeiten wir in unserem Unternehmen gerade am Übergang von der sechsten auf die siebte Generation. Das fordert alle heraus, macht aber auch Freude und stärkt Zuversicht. Grundsätzlich stelle ich fest: Mit Unternehmergeist, Erfinderlust, Zuverlässigkeit, Geduld, Disziplin, Augenmaß und begründeter Lust auf Zukunft suchen Unternehmerinnen und Unternehmer dauernd tragfähige Wege – oder zumindest weiterführende Pfade – nach vorn. Die Politik ist aufgefordert, dafür geeignete Bedingungen inklusive aller notwendigen Freiräume zu schaffen. Ein Erkenntnisproblem hat die Politik in Bund und Ländern nicht, es hapert meist an der Umsetzung. Wer Pfade und Wege nach vorn sucht, braucht vernünftige Ziele. Sauber entwickelte Zukunftsszenarien können dabei helfen, plausible Handlungsoptionen abzuleiten. Das gilt für die Wirtschaft wie für die Politik. Strategisches Denken auf Vorrat ist mühsame, doch lohnende Arbeit an einer erfolgversprechenden Zukunft. Ein Blick in die 2030er Jahre kann zeigen, was wir heute tun sollten, um das morgen zu gewinnen.