Wie sieht der Zukunftsort Deutschland aus?
„Zukunft passiert nicht. Wir machen sie“, prangt es in großer Schrift von einigen Wahlplakaten zur Bundestagswahl. Wenn wir sie nicht machen, trifft sie uns trotzdem – vielleicht umso härter. Deutschland steht vor einer Richtungswahl und noch ist unklar, wie die nächste Regierung aussieht. Eines ist jedoch sicher: Vor uns stehen riesige Transformationsaufgaben. Klimaneutralität ist sicher die wichtigste – nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch für die Industrie. Wie wir dorthin kommen, stand auch im Fokus des Future Forward Talks. BDI-Präsident Siegfried Russwurm und die Wirtschaftsweise Veronika Grimm haben wenig Zweifel, dass Deutschland zukünftig ein klimaneutrales Industrieland ist. Wolfgang Gründinger, Zukunftslobbyist und Autor, zeichnet zunächst eine eher düstere Vision: Flutkatastrophen, Hitze und Dürre würden uns häufiger weltweit begleiten. Das Ziel von 51 – die Gigatonnen CO2, die die Menschen pro Jahr emittierten – auf 0, das globale Ziel in den nächsten 30 Jahren – zu kommen, sei ein „krasser Wandel“. Gleichwohl macht er Mut, denn es gebe es die großen Zukunftstechnologien zur Lösung bereits: „Wir müssen einfach loslegen.“ Der BDI-Präsident ergänzt, dass wir als klimaneutrales Industrieland weiter an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten müssen. Gut wäre es, unser Knowhow, unsere Technologien in viele Länder zu exportieren, denn der Wandel sei nur gemeinsam zu schaffen.
Stimmen bei den Parteiprogrammen die Prioritäten?
Mit Blick auf die Versprechen der Wahlprogramme zeigen sich alle Diskutanten ein wenig enttäuscht: „Es wird zwar viel über Ziele gesprochen, aber zu wenig über die notwendigen Maßnahmen“, so Russwurm. Es fehle ein Blick auf Deutschland im globalen Kontext. Der BDI-Präsident macht deutlich, dass wir in der Industrie an die unternehmerische Freiheit glauben, nicht an Verbote. Grimm pflichtet bei: „Wir können – insbesondere, wenn es um Klimaschutz geht – nur global agieren“, so die Wirtschaftsweise. Selbst in der EU gebe es unterschiedliche Transformationspfade, daher sei es wichtig, sich pragmatisch zu einigen, damit wir die Transformation schnell voranschieben können. „Technologieentwicklung ist der Schlüssel“, ist Grimm überzeugt. Der Zukunftslobbyist Gründinger konkretisiert, dass alle Parteiprogramme hinter dem 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zurücklägen und wir als Deutschland vorangehen müssten. Wir könnten es uns nicht leisten, die Zukunftstechnologien China und anderen Ländern zu überlassen. Deutschland sei gut im Erfinden, aber schlecht in der Umsetzung. Die Bürokratie halte uns oft zurück und wir stünden uns manchmal selbst im Weg, bilanziert Gründinger.
Sind Wachstum und Nachhaltigkeit ein Widerspruch?
Diese Frage wird von der Wirtschaftsweisen Grimm klar mit „nein überhaupt nicht“ beantwortet. Wenn wir das Ziel, 2050 klimaneutral zu sein, erreichen wollten, fielen viele Geschäftsfelder weg, andere Geschäftsfelder kommen hinzu: „Das wird ein großer Umbruch“. Wir müssen dafür sorgen, dass sich möglichst viele Unternehmen aus den Zukunftsbereichen in Deutschland ansiedeln können. Das gehe nur mit den richtigen Voraussetzungen: Ausbildung, Entbürokratisierung, Beschleunigung der Planungsverfahren, Ausbau der Infrastruktur und Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen stünden ganz oben auf der Liste für einen attraktiven Wirtschaftsstandort, betont Grimm.
Brauchen ein Apollo-Programm für Deutschland
Auf die Frage eines Zuschauers nach der Zukunft der Bundesverwaltungen folgt ein flammendes Plädoyer von Gründinger für eine Innovationskultur, eine neue Fehlerkultur und neue Prozesse. „Diesen Mut zu Visionen hat man selten in Deutschland“. Es brauche analog zum Mondlandeprogramm der USA aus den 1960ern ein „Apollo-Programm“ im Bereich Klimaschutz in Deutschland, so Gründinger. „Wir haben viel Ingenieurskunst, wir haben gute Industrie, wir haben viel Gründerblut“, um diese Mission zu schaffen.
Die Frontenstellung zwischen Klimaschützern und Industrie sei dadurch aufgelöst, dass die Klimaziele klar formuliert seien, so Grimm. Es bestehe Einigkeit, dass wir alle die Erderwärmung stoppen wollen. Es brauche bei den vielen Perspektiven mehr Gemeinschaft. Bei der Diskussion müsse man auf das Ergebnis betrachten, so Russwurm, denn es reiche nicht zu schauen, wie viele Milliarden investiert worden seien. Die bittere Wahrheit sei: „Es wird viel investiert, aber es reicht bei weitem nicht“, so der BDI-Präsident.
Wie passen Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltige Energieversorgung zusammen?
Grimm erklärt bei dieser Frage das Instrument der CO2-Bepreisung. Dieses lenke das wirtschaftliche Verhalten dahin, dass man sich Technologien überlege, die emissionsfrei seien. Wenn alle wüssten, dass Emissionen teurer würden, könne dies helfen, neue Wertschöpfungsketten zu erfinden. „Eine Senkung des Strompreises wäre gut“, das würde die Sektorenkopplung anreizen, stellt Grimm fest. Gründinger unterstützt die Idee und fordert ein neues Energiemarktdesign bei dem Preissignal deutlicher gesetzt werde. Russwurm weist auf die Vorteile des Einspeisevorrangs hin: „Es muss klar sein, C02-freie Technologien haben einen Vorrang“.
Wünsche an die Industrie
Abschließend fragt Moderatorin Sumi Somaskanda nach den Wünschen an die Industrie. Gründinger möchte von Russwurm und Grimm wissen, wie die deutsche Industrie in Zukunft aussieht. Global erfolgreich im Export, verantwortlicher im Ressourcenumgang, digital, CO2-frei und im Kreislauf wirtschaftend, gibt sich der BDI-Präsident zuversichtlich. Ein mutigeres Narrativ wäre hilfreich, ergänzte er. Prof. Grimm führt aus, dass Klimaschützer und Industrie dieselben Ziele verfolgen – sie habe die Hoffnung, dass es zukünftig weniger Beäugen und mehr Dialog gebe.