"Wir betrachten die Transformation als Chance" – Interview mit Felix Faber von Shell
Wie können aus Ihrer Sicht der Um- und Ausbau der Infrastruktur beschleunigt werden?
Als integriertes Energieunternehmen agieren wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Für den Verkehrssektor vom grünen Elektron oder Molekül bis zur Tankstelle oder dort, wo der Kunde es benötigt. Beschleunigung heißt vor allem für alle Stufen der Kette: Vereinfachung, Digitalisierung und das Schaffen von guten Rahmenbedingungen für Investitionen, also der Konzentration auf Leitplanken, statt sich in kleinteiligen, starren Vorgaben zu verlieren im Streben nach einer Perfektion, die in Anbetracht der schieren Komplexität kaum realistisch erscheint und letztlich auch immer im Auge des Betrachters liegt.
Die Wurzeln Ihres Konzerns liegen im Geschäft mit fossilen Energieträgern. Die volkswirtschaftliche Transformation zur klimaneutralen, resilienten Wertschöpfung bedeutet also auch eine grundlegende Transformation Ihres Unternehmens. Ist die Dekarbonisierung mehr Chance oder Bedrohung für Ihren Konzern, und wo steht Ihr Unternehmen in seiner eigenen Veränderung?
Wir betrachten die Transformation als Chance und haben mit dem Umbau des Portfolios bereits vor einigen Jahren begonnen mit dem Ziel, bis 2050 ein Energieunternehmen mit netto Null Emissionen zu werden. Unsere gesetzten globalen Zwischenziele haben wir bislang durchweg erreicht. Unterdessen müssen wir zum Erhalt von Energiesicherheit in dem sich Schritt für Schritt wandelnden Energiesystem beitragen und es auch für uns und unsere Kunden wirtschaftlich gestalten. Die Kunst besteht also darin, die Transformation gut auszubalancieren und mehr Wert mit weniger Emissionen zu schaffen. Unser Ansatz dazu ist unsere Powering Progress Strategie, mit der wir sowohl Netto-Null Emissionen, Energie für das tägliche Leben, respektvollen Umgang mit der Natur als auch Mehrwert für Anleger schaffen wollen.
Auf welche Technologien setzen Sie, um die Transformation zur Klimaneutralität voranzutreiben?
Wir ziehen an mehreren Hebeln. Dazu gehören - was das vorrangig wichtige Vermeiden und Reduzieren von CO2-Emissionen anbetrifft – CO2-arme, bio-basierte Kraftstoffe, dem selektiven Aufbau von Wind- und Solarstrompositionen für Industrie, kommunale Versorger und Dienstleistungsbranchen, sowie dem Ausbau von e-Mobilitätsangeboten für Pkw und Lkw, Wasserstoff für Verkehr und Industrie, um nur einiges zu nennen. Da besonders in schwer zu dekarbonisierenden Bereichen wie Stahl, Zement, Chemie etc. zumindest für noch eine beträchtliche Zeit CO2-Emissionen kaum oder gar nicht zu vermeiden sein werden, widmen wir uns zum Beispiel Lösungen im Bereich Carbon Capture und Storage.
Was erwarten Sie von der Politik, um Technologien für den Wandel auf dem Markt zu etablieren?
Grundsätzlich gesprochen, denke ich, es braucht vor allem Pragmatismus und Konzentration auf Leitplanken mit breiterem Blick auf betriebs- und volkswirtschaftliche Tragfähigkeit. Das heißt zum einen, dass wir bereits ausgereifte alternative und bio-basierte Kraftstoffe stärker nutzen sollten. Zum anderen werden neue Technologien und Infrastruktur da entstehen, wo es einen Markt – sprich Nachfrage – und überschaubare Risiken gibt, damit solide Business Cases entstehen. Das gilt für Wasserstoff genauso wie für e-Ladeinfrastruktur. Zum Beispiel, Ideen wie etwa der verpflichtende Bau von e-Chargern an jeder Tankstelle führen zu Fehlinvestitionen und beschleunigen auch nichts, denn das Problem sind eher die unterschiedlichen und teils langjährigen Netzanschlussverfahren. Im Hinblick auf den stark wachsenden Bedarf an grünen Elektronen für Elektrifizierung und Wasserstoff würde ich mir wünschen, dass zum Beispiel Auktionsdesigns für Windenergie sich künftig stärker auf qualitative Kriterien stützen als rein darauf „Wer bietet am meisten“, um Risiken entlang der gesamten Lieferkette, speziell in diesem inflationären Umfeld und im Rahmen der gestiegenen Kapitalmarktzinsen, deutlich dämpfen könnte.