WTO - Welthandelsorganisation - World Trading Organisation

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WTO: Die multilaterale Handelsordnung wiederhergestellt?

Über Dekaden hat die Welthandelsorganisation (WTO) zusammen mit ihrer Vorgängerin, dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT), zur Marktöffnung und zur Schaffung fairer Regeln für den Handel zwischen den Mitgliedern beigetragen. So hat sie Wirtschaftswachstum und Wohlstand weltweit gefördert. Allerdings steht die multilaterale Handelsordnung auch nach dem unerwarteten Konsens auf der 12. Ministerkonferenz (MK12) weiterhin unter starkem Druck. Was kommt als nächstes?

Unter dem Dach der WTO haben sich ihre Mitglieder auf einen umfassenden Katalog von verbindlichen und diskriminierungsfreien Regeln geeinigt. Bei der Schaffung neuer Regeln hat jedes Mitglied eine Stimme. Entscheidungen werden im Konsens gefällt. Gemeinsames Ziel ist der weltweite Abbau von Handelshemmnissen. Mit ihren Transparenzmechanismen und der verbindlichen Streitbeilegung ist die WTO das Rückgrat der internationalen Handelsordnung. Unternehmen können sich bei internationalen Handelsgeschäften auf ein weltweites, einheitliches Regelwerk verlassen, das ungerechtfertigten Benachteiligungen und Handelsbarrieren entgegenwirkt.

Bis der weltweite Handel aber von allen großen Hindernissen befreit und in jeder Hinsicht klar geregelt ist, müssen die 164 WTO-Mitglieder allerdings noch einen weiten Weg gehen. Viele wichtige Bereiche des Welthandels sind noch gar nicht oder nur in geringem Umfang multilateral geregelt (zum Beispiel Investitionen, Wettbewerb, digitaler Handel, öffentliches Auftragswesen, sowie wichtige Elemente der Wettbewerbsverzerrung). Außerdem berufen sich viele Länder auf zahlreiche Ausnahmen und Sonderregelungen, etwa Indien, Brasilien und China.

Genfer Paket der WTO

Nach zwei Verschiebungen aufgrund der Covid-19-Pandemie fand die MK12 im Juni 2022 in Genf statt. Zwei Tage nach dem ursprünglich geplanten Ende der Konferenz überraschte die neue Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala die Welt mit dem Genfer Paket  – ein unerwartetes Paket von multilateralen Konsensdokumenten zu globalen Notfällen wie Ernährungsunsicherheit, dem Welternährungsprogramm, der Covid-19-Pandemie, TRIPS-Ausnahmen, zum elektronischen Handel und Fischereisubventionen.

Es ist ein symbolischer und öffentlicher Erfolg, dass das Genfer Paket vereinbart wurde. Die WTO kämpft um ihre Legitimität, seit die ehrgeizige Doha-Entwicklungsrunde gescheitert und der vorherige Generaldirektor vor Ablauf seiner Amtszeit zurückgetreten ist. Der multilaterale Konsens ist zunehmend schwieriger geworden, da die Meinungsverschiedenheiten der Mitglieder über die reine Funktion, den Rahmen und die Rolle von Entwicklung das gesamte Konsensprinzip in Frage gestellt haben.

Die deutsche Industrie begrüßt insbesondere, dass die MK12 zu einer Verlängerung des Moratoriums für Zölle auf digital gehandelte Waren und Dienstleistungen, zumindest bis zur 13. Ministerkonferenz, bereit ist. Der Fortschritt im Bereich des elektronischen Handels schützt die Unternehmen vor dem Verwaltungsaufwand, der mit der Erhebung von Zöllen verbunden ist, erkennt die Bedeutung des digitalen Handels an und kann auch einen positiven Beitrag zu stabilen Lieferketten leisten

Positiv ist auch, dass sich die Mitglieder im Abschlussdokument verpflichten, offen und transparent auf die notwendige Reform der WTO in allen Säulen hinzuarbeiten – selbst wenn der Zeithorizont dafür relativ weit ist. So haben sich die Mitglieder verpflichtet, bis 2024 Gespräche zu führen und einen voll funktionsfähigen Streitbeilegungsmechanismus zu schaffen. Der multilaterale Konsens zur Pandemievorsorge und zur Ernährungssicherheit zeigt, dass die WTO immer noch in der Lage ist, sich an aktuelle Herausforderungen relativ zügig anzupassen.

Zugleich ist es bedauerlich, dass auf der MK12 keine nennenswerten Schlussfolgerungen zum plurilateralen Abkommen bekannt gegeben wurden, während Indien und Südafrika dazu aufgerufen hatten. Die technischen Diskussionen zur Streitschlichtung wurden erst im Frühjahr 2022 aufgenommen und es bleibt abzuwarten, wie ernsthaft sich die USA in dieser Frage engagieren werden, um ihre Blockade aufzuheben. Auch wenn der Geltungsbereich der Erklärung zum Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS-Abkommen) enger gefasst ist als ursprünglich befürchtet, droht sie künftige Innovationen zu gefährden. Die wirklichen Probleme bei Impfkampagnen und Logistikketten lassen sich nicht dadurch lösen, dass der Schutz des geistigen Eigentums aufgegeben wird.

Formulierungen und Fortschritte zu Fragen der Wettbewerbsverzerrung, einschließlich Industriesubventionen und staatlicher Unternehmen, fehlen in den Ergebnisdokumenten bedauerlicherweise. Die EU muss weiterhin konkrete und präzise Reformvorschläge vorlegen und mit gleichgesinnten Partnern zusammenarbeiten, um voranzukommen.