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Zwischen Klimazielen und steigendem Energiebedarf – China im Zwiespalt

Der Nationale Volkskongress Chinas hatte im März 2022 ein beherrschendes Thema: die wirtschaftliche Stabilität der Volksrepublik. Dafür scheint Peking ein verlangsamtes Tempo beim Klimaschutz in Kauf zu nehmen. Als größter CO2 Emittent und als größter globaler Investor in grüne Energie bleibt China bei internationalen Klimaschutzbemühungen aber ein integraler Player.

Im Jahr des 20. Parteitags ist die wirtschaftliche Stabilität das allumfassende Thema in Peking. Der Übergang in die historische dritte Amtszeit Xi Jinpings als Staatspräsident Chinas und Generalsekretär der Kommunistischen Partei (KP) soll durch nichts gefährdet werden. Unruhepole gibt es zur Genüge. Die Immobilienkrise schwelt weiter. Die Omikron-Variante stellt Chinas „Zero-Covid“-Strategie in Frage und unvorhersehbare Lockdowns gefährden die ohnehin moderaten Wachstumsziele. Dazu kommt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mit gravierenden negativen Rückwirkungen auf China durch gestiegene Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise. Pekings widersprüchliche Positionierung zwischen strategischer Partnerschaft mit Russland und dem Versuch, Konflikte mit den westlichen Wirtschaftssanktionen zu vermeiden, trägt ebenfalls nicht zu Stabilität bei. All diese Risiken verringern den Spielraum für Peking, der Wirtschaft schmerzhafte, aber notwendige Reformschritte vorzugeben.

Energiesicherheit hat Priorität

Der chinesische Klimaschutz unterliegt ähnlichen Zwängen. Insbesondere die Versorgung der energiehungrigen chinesischen Wirtschaft steht momentan im Fokus Pekings. Mitte letzten Jahres kam es zu Stromknappheit in China. Stark gestiegene Kohlepreise bei gleichzeitig staatlich fixierten Strompreisen machten das Betreiben von Kohlekraftwerken für einige Betreiber unrentabel. Zusätzlich wollten einige Provinzen ihre Klimaschutzziele durch Stromrationierungen einhalten. Beides führte zu Stromausfällen und -abschaltungen – teilweise ohne jegliche Vorwarnung für die betroffenen Betriebe. Produktionsausfälle und ein unsicheres Wirtschaftsklima waren die Folgen. Solche Ereignisse möchte Peking vermeiden. China hat daher Ende 2021 die inländische Fördermenge für Kohle hochgefahren, u. a. durch die Wiedereröffnung zuvor geschlossener Kohleminen. Auch der Ausbau von Kohlekraftwerken ist weiterhin im vollen Gange.

Hier offenbart sich der Zwiespalt, indem sich China befindet. Auf der einen Seite ist es Peking ernst mit dem Klimaschutz. Das zeigen z. B. die Richtlinie und der Aktionsplan zur Erreichung der Dekarbonisierungsziele, die schon letztes Jahr relativ übereilt nach den Stromabschaltungen im Herbst beschlossen wurden. Auf der anderen Seite soll die Wirtschaft weiterhin stark wachsen und braucht dafür sehr viel Energie. Die chinesische Energieversorgung ist mit einem Anteil von ca. 85 Prozent an fossilen Energieträgern aber noch besonders CO2-intensiv, und so landet Peking schnell in einem Zielkonflikt.

Dieser Balanceakt führt immer wieder zu diplomatischen Spannungen. Auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow war China gemeinsam mit Indien dafür verantwortlich, dass in der Abschlusserklärung nicht der globale Ausstieg aus dem Kohleabbau steht, sondern nur eine globale Reduzierung der Kohleverstromung.

China ist ein wichtiger Partner für den Klimaschutz

Auch wenn Klimaschutz derzeit nicht die höchste Priorität in Peking hat, bleibt klar, dass China ein integraler Partner in globalen Klimaschutzbemühungen ist und bleiben muss. Chinas CO2-Emissionen machen laut der Europäischen Kommission über 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus. China stößt damit mehr als doppelt so viel CO2 wie die USA auf Platz zwei aus. Chinas pro Kopf Emissionen liegen zwar noch deutlich unter denen der USA, aber inzwischen über dem EU-Durchschnitt. Die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft wird ohne China nicht zu machen sein.

Chinas Klimaschutzbemühungen sind nicht unambitioniert. Die bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen 2020 von Präsident Xi Jinping verkündeten Ziele, vor 2030 den Höchststand der CO2-Emissionen zu erreichen und 2060 klimaneutral zu wirtschaften, wurden international positiv aufgenommen. Schon im 13. Fünfjahresplan von 2016-2020 wurden viele Umweltziele festgehalten und seitdem auch erreicht. 15 Prozent des Primärenergieverbrauchs geht auf nicht-fossile Brennstoffe zurück, China ist der weltweit größte Produzent von Erneuerbaren Energien, das Schienennetz wurde massiv ausgebaut und die Elektromobilität vorangetrieben. Darüber hinaus wird China im Ausland keine neuen Kohlekraftwerke bauen.

Auch im 14. Fünfjahresplan für 2021-2025 hat der Umweltschutz eine prominente Rolle. So sollen die CO2-Emissionen pro Einheit BIP um 18 Prozent sinken, das CO2-Höchstwertziel für 2030 wurde bestätigt und Recycling soll gestärkt werden. Außerdem werden Parteikader in Zukunft noch stärker an ihren klimapolitischen Leistungen gemessen. Diese Ziele sind kein klimapolitischer Durchbruch, aber dennoch wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Strategische Ziele Chinas im Klimaschutz

Die KP setzt den Klimaschutz aber auch mit strategischen Zielen vor Augen auf die Agenda. Diese stellen in Teilen ein Risiko für die deutsche Industrie und Politik dar.

  • China strebt globale Technologie- und Marktführerschaft an. In den Märkten für saubere Technologien sieht Peking ein besonders Wachstumspotenzial. Beispielhaft hierfür war in der Vergangenheit die Solarbranche. Durch strategische Planung, auch in Chinas Fünfjahresplänen, und gezielten staatlichen Subventionen entwickelte sich China zum weltweit dominanten Player in der Solarbranche. Diese Entwicklung war einerseits schädlich für die Konkurrenz in Europa, aber andererseits sind in dieser Zeit auch die Preise für Solarmodule rapide gefallen, wovon die europäische Energiewende profitiert hat.
    Auf anderen wichtigen Zukunftsmärkten für die grüne Transformation, wie der Verarbeitung seltener Erden und der Produktion von Silizium, hat China bereits heute eine Vormachtstellung. Europa muss sich im Wettbewerb um Klimatechnologien noch besser aufstellen. Höhere Investitionen in die eigene Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft sind ebenso nötig wie effektive Defensivinstrumente zum Schutz vor Marktverzerrungen.
  • Die Stromknappheit 2021 hat verdeutlicht, dass Klimaschutz und der Ausbau der Erneuerbaren für China auch eine Frage der Energiesicherheit sind. China hat den höchsten Energiebedarf weltweit, aber nur sehr begrenzte fossile Rohstoff-Vorkommen. Das schafft Abhängigkeiten vom Ausland, die China abbauen möchte.  Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wie schnell solche Abhängigkeiten auch sicherheitspolitische Relevanz für Staaten gewinnen können.
  • Außenpolitische und geopolitische Erwägungen spielen für Peking ebenfalls eine große Rolle. China weiß, dass es für die Bewältigung der Klimakrise eine Schlüsselstellung hat. Chinesische Diplomaten haben in der Vergangenheit bereits angedeutet, dass Kooperation in Klimafragen auch von Kooperation in anderen Politikfeldern abhängt. Inwiefern Chinas Beitrag zum globalen Klimaschutz genutzt werden kann, um auf anderen Politikfeldern begünstigt zu werden, bleibt abzuwarten.

Klimaschutz bleibt für die politische Führung in Peking eine Priorität, auch wenn aktuell zugunsten wirtschaftlicher Stabilität Einschränkungen im Klimaschutz in Kauf genommen werden. Kooperation mit China bleibt für das Klima fundamental wichtig und bietet der deutschen Industrie weiterhin großes Potential. Gleichzeitig müssen Deutschland und die EU im Wettbewerb um grüne Technologien mit China auch wirtschaftliche Risiken wie Marktverzerrungen oder Abhängigkeiten bei Lieferketten im Blick behalten.