BDI-Präsident Leibinger: Starke Industrie ist Grundlage für Fähigkeit zur Gesamtverteidigung
Auch von meiner Seite aus ein herzliches Willkommen an Sie alle! Und vielen Dank Ihnen, liebe Frau Gönner, für die Einordnung der wirtschaftlichen Lage. Sie sehen: Die Unternehmen agieren verhalten, ihre Produktion ist unterausgelastet. Wir haben noch einen Weg vor uns aus der Rezession.
Im Vergleich zum Jahresanfang bestehen größere Risiken im internationalen Handel, was die weltweit verflochtene deutsche Industrie bremst. Schauen wir nur auf die Rahmenbedingungen in Deutschland, haben sich einige Vorzeichen verbessert. Wenn die neue Bundesregierung den eingeschlagenen Weg entschlossen weiterverfolgt, besteht eine echte Chance für einen Aufschwung im nächsten Jahr: Der Kurs stimmt, jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Die Regierung hat erste wichtige Signale gesendet: mit den verbesserten Abschreibungen, den angekündigten Steuerentlastungen und dem Fokus auf die Energiekosten. Eine verbesserte Steuerpolitik setzt für Unternehmen klare, langfristig nachhaltige Rahmenbedingungen, die Investitionen fördern und Innovationen ermöglichen.
Die Wirtschaft braucht das Signal der Politik: Wir haben verstanden. Das ist entscheidend, um als allererstes die Stimmung zu verbessern. Wir haben ein echtes Stimmungsproblem, das Investitionen und wirtschaftliche Dynamik bremst. Hier gilt es, Vertrauen wieder aufzubauen. Mittelfristig wird dazu auch gehören, dass die Regierung die unbequemen Themen und notwendigen Reformen anpackt. Die brauchen wir, um langfristig die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu sichern.
Mit Blick auf die Energiekosten brauchen wir den Staat – etwas, das Sie von mir selten zu hören bekommen werden. Sowohl, um kurzfristig die Kosten zu senken, durch die angekündigte Senkung der Stromsteuer und die Entlastungen bei den Netzentgelten, als auch um die Strompreise zu dämpfen. Das sind wichtige Signale. Sie lindern die akute Belastung. Doch wir dürfen nicht nur kurzfristig denken: Die Energiewende muss realistisch gestaltet werden. Dass sie deutlich kosteneffizienter umsetzbar ist, haben wir in einer Studie gezeigt. Eine kluge Steuerung der Energiewende kann bis 2035 rund 300 Milliarden Euro einsparen. Wir können Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Klimatransformation zusammenbringen. Dafür muss die Energiewende stärker physikalische Grundlagen berücksichtigen und realistisch entlang des tatsächlichen Bedarfs geplant werden.
Das Potential eines europäischen Energiebinnenmarkts ist noch nicht gehoben. Der Clean Industrial Deal gibt die richtige Richtung vor. Wir brauchen eine Regierung, die den europäischen Energiebinnenmarkt jetzt aktiv in Brüssel vorantreibt. Eine starke Stimme in Brüssel ist auch für den extrem wichtigen Rückbau einer über alle Ebenen hinweg ausufernden Bürokratie unverzichtbar. Kleinteilige Regelungen lähmen Wirtschaft, Gesellschaft und öffentlichen Sektor gleichermaßen. Die angekündigte Streichung unnötiger Berichtspflichten, gerade in der Nachhaltigkeitsberichterstattung, ist ein wichtiger Schritt. Überbordende Dokumentationspflichten blockieren Kapazitäten, mindern Produktivität und behindern Innovation.
Das Ziel sollte eine moderne Regulierung sein, die Freiräume schafft und nicht einschränkt. Sie muss konsequent auf das Ermöglichen ausgerichtet sein: Gesetze überprüfen und Bürokratie zurückbauen – über alle föderalen Ebenen hinweg und auch auf EU-Ebene. Die „One in, one out“-Regel reicht dafür nicht, sie erhält bestenfalls den Status quo. Nötig wäre ein Plan, der konkrete Abbauziele vorgibt. Der Freiheitsgedanke sollte wieder Leitmotiv des Staates sein – weg von Kontrolle, hin zu Vertrauen in Wirtschaft, Unternehmen und Bürger.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Thema treibt die Industrie und auch mich persönlich sehr um: Wirtschaftlicher Erfolg braucht Vertrauen in Freiheit, Stabilität und Sicherheit: In einer Welt geopolitischer und wirtschaftlicher Umbrüche ist dieses wichtigste Fundament unseres Erfolgs heute mehr denn je in Gefahr. Unsere Sicherheit ist jedoch weit mehr als eine Aufgabe nur für unsere Streitkräfte. Wir als Industrie rücken die Gesamtverteidigungsfähigkeit in den Fokus. Der BDI legt heute ein Grundsatzpapier zur Sicherheitspolitik vor mit dem Titel „Gesamtverteidigung stärken“. Das Motto des Tags der Industrie 2025, „Neue Zeiten, neue Antworten“, gilt besonders auch in diesem Feld.
Unternehmen spüren täglich unmittelbar die veränderte Bedrohungslage: Hybride Angriffe auf kritische Infrastrukturen, Cyberattacken auf Produktionsanlagen und gezielte Störungen von Lieferketten sind längst Realität. Innere und äußere Sicherheit sind heute an vielen Stellen verschränkt und müssen viel mehr zusammen gedacht werden. Natürlich eröffnet die Aufgabe ‚Gesamtverteidigung‘ auch kommerzielle Chancen. Aber das ist nicht entscheidend. Unternehmerinnen und Unternehmer wollen Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes übernehmen. Für unser Gemeinwesen und auch für die Sicherheit ihres unmittelbaren Umfelds. Resilienz und Verteidigungsfähigkeit sind ein ureigenes Wirtschaftsinteresse – denn Wirtschaft braucht Sicherheit und Freiheit.
Sicherheit hat nicht nur eine militärische, sondern auch eine wirtschaftliche und technologische Dimension. Verteidigungsfähigkeit muss daher umfassend gedacht werden. Wir haben in der deutschen Industrie ein breites Spektrum an Unternehmen, Knowhow, industrieller Innovationskraft und Produktionsfähigkeiten. Dieses gesamte industrielle Ökosystem ist für die gesamtgesellschaftliche Resilienz ein unverzichtbarer Pfeiler: Es stellt Innovationen und Technologien bereit, produziert kritische Güter – und damit sind auch, aber ausdrücklich nicht nur, die militärischen Güter für unsere Streitkräfte gemeint. Die Verteidigungsindustrie etwa ist auf Vorleistungen zahlreicher ziviler Kernbranchen angewiesen, die elementare Bausteine nicht nur für militärische Systeme bereitstellen. Das reicht, um nur einige zu nennen, vom Maschinen- und Anlagenbau über Elektro- und Automatisierungstechnik, bis zu Optik, Halbleitertechnik und industrieller Softwareentwicklung.
Die Industrieunternehmen und ihren Beschäftigten sind essenziell, um die innere Stabilität und Handlungsfähigkeit im Krisenfall zu gewährleisten: durch die Grundversorgung der Bevölkerung, den Schutz Kritischer Infrastrukturen und die Sicherung kritischer Produktionsprozesse. Wir müssen uns dieser Aufgabe stellen, die strategische Versorgung vorausschauend sichern und rasch widerstandsfähige Strukturen aufbauen. Gerade bei der Sicherung unserer eigenen Infrastrukturen sind Industriebetriebe selbst gefordert – indem sie in physische und digitale Schutzmaßnahmen investieren und sich und ihre Beschäftigten auf Krisen vorbereiten.
Verteidigungsfähigkeit und Resilienz können nur in enger Partnerschaft zwischen Staat und Wirtschaft entstehen. Wir wollen vertrauensvoll mit der Politik und den staatlichen Institutionen zusammenarbeiten. Die Wirtschaft steht im Fokus hybrider Bedrohungen. Sie gehört deshalb an den Tisch, wenn über Verteidigungsfähigkeit gesprochen wird. Nur, wenn Staat und Wirtschaft ihre unterschiedlichen Rollen und Aufgaben für unsere Sicherheit koordinieren, erreichen wir unser gemeinsames Ziel – den Menschen in Deutschland ein Gefühl der Sicherheit zu geben.
Die Initiative für einen Nationalen Sicherheitsrat kann ein wichtiger Schritt sein. Entscheidend ist: Er muss die neue Realität berücksichtigen und Sicherheit und Wirtschaft zusammen denken. Die Perspektive der Wirtschaft sollte im Nationalen Sicherheitsrat Gehör finden. Strategische Entscheidungen für die Sicherheit und Widerstandfähigkeit erfordern die Kenntnis von wirtschaftlichen Interessen, Abhängigkeiten und auch Bedrohungslagen. Diese kann nur die Wirtschaft beisteuern. Für Handlungsfähigkeit und wirksame Steuerung brauchen wir ein umfassendes, aktuelles Lagebild. Die Wirtschaft kann dazu entscheidend beitragen, denn sie steht zunehmend im Zentrum hybrider Angriffe. Ein enger, kontinuierlicher und strukturierter Informationsaustausch zwischen Sicherheitsbehörden und kritischen Wirtschaftssektoren ist deshalb unerlässlich.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass Geld nicht alles ist, sondern Zusammenarbeit, Austausch und Vernetzung entscheidende sind. Zugleich brauchen wir selbstverständlich Investitionen – und es ist gut, dass diese nun möglich sind. Zugleich bringt die Ausnahme der Verteidigungsinvestitionen von der Schuldenbremse eine immense Verantwortung mit sich, diese Mittel klug und effizient einzusetzen. Sie sind eine Chance und können Innovationen antreiben, die weit über den militärischen Bereich hinauswirken. Das erreichen wir nur, wenn wir schneller, agiler und innovativer werden.
Wir brauchen neue Ansätze, Geschwindigkeit und strukturelle Reformen. Langfristig stabile Finanzierungs- und Beschaffungsprozesse, eine verbindliche, mehrjährige Beschaffungsplanung geben unseren Unternehmen die Sicherheit, die sie für Investitionsentscheidungen benötigen.
Der Krieg in der Ukraine zeigt immer wieder, wie wichtig es ist, dass Streitkräfte agil auf neue technologische Entwicklungen reagieren und diese in die Praxis umsetzen können. Dafür brauchen wir innovationsfreundliche Rahmenbedingungen, weniger bürokratische Hürden für neue Technologien und den einfachen Transfer zwischen Forschung, zivilem Sektor und Verteidigungsindustrie.
Gezielte Investitionen in innovative Zukunfts- und digitale Schlüsseltechnologien, die militärisch und zivil genutzt werden, wie Künstliche Intelligenz, Cloud-Systeme, Cybersicherheit, leisten nicht nur einen Beitrag zu unserer Sicherheit. Sie helfen, strategische Abhängigkeiten zu reduzieren und unsere Technologiekompetenz und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Wie gefährlich einseitige Abhängigkeiten in strategisch kritischen Bereichen sind – das führt uns China gerade mit den verstärkten Exportkontrollen für Seltene Erden eindrücklich vor Augen. Seltene Erden sind für zivile High-Tech-Industrien, aber auch für unsere Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und damit für unsere Wehrfähigkeit wesentlich. Wenn hier die Lieferkette gekappt wird, stehen wir wehrlos da – im wahrsten Sinne des Wortes.
An dem Beispiel zeigt sich eindrücklich: Wir sind im geopolitischen Wettbewerb in keiner guten Position. Wir können sie nur verbessern, indem wir unsere Wirtschaft aus kritischen Abhängigkeiten befreien und eigene Stärken fördern.
Für mehr Souveränität und Unabhängigkeit brauchen wir Europa. Eine starke, technologisch souveräne Verteidigungsindustrie und mehr Unabhängigkeit bei kritischen digitalen Schlüsseltechnologien, Raumfahrt und Rohstoffen gelingt nur europäisch. Die Bundesregierung sollte in Brüssel darauf hinwirken, dass die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie durch Investitionen und bessere Rahmenbedingungen gefördert wird. Mehr Armeen müssen die gleichen Geräte nutzen, eine abgestimmte Beschaffung und ein langfristiger „Rüstungs-Bebauungsplan" von 20 Jahren können dazu beitragen, kosteneffizienter zu werden und die Interoperabilität zu verbessern. Um privates Kapital zu mobilisieren, die EU Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit als nachhaltig anerkennen und die relevanten Regularien entsprechend weiterentwickeln.
Meine Damen und Herren, Gesamtverteidigung ist eine gemeinschaftliche Aufgabe für Deutschland und Europa – und dafür ist ein wirtschaftlich starkes Deutschland in einem wettbewerbsfähigen Europa eine Voraussetzung. Eine kluge Wirtschaftspolitik leistet daher einen zentralen Beitrag zu unserer Widerstandfähigkeit. Die deutsche Industrie steht bereit, ihren Beitrag zu leisten – als Partner des Staates, als Innovationstreiber und als Garant der Resilienz. Gemeinsam können wir die Weichen für eine widerstandsfähige und verteidigungsfähige Gesellschaft stellen.