Kollaborative Roboter unterstützen den Menschen bei der Arbeit durch Funktionen wie „Bewegen“, „Greifen“ oder „Vakuum-Sauggreifen". © ABB

Kollaborative Roboter unterstützen den Menschen und die Industrie

Cobot ist eine Abkürzung für Collaborative Robot. Ein Roboter, der sowohl mit Menschen als auch mit anderen Cobots zusammenarbeiten kann. Eine innovative Lösung, um Prozesse zu automatisieren und Mitarbeiter zu unterstützen. Wie die Technologie funktioniert und welchen Mehrwert Cobots für die Industrie haben, erklärt Jörg Rommelfanger, Leiter der Division Robotics von ABB in Deutschland.

Herr Rommelfanger, in welchen Bereichen werden Cobots bereits heute eingesetzt?

Die Einsatzbereiche sind sehr vielschichtig geworden. Ursprünglich waren Cobots für Montage- und Pick-and-Place Aufgaben konzipiert – wo sie wirklich eng mit den Mitarbeitenden zusammenarbeiten, sie unterstützen und wiederholende Aufgaben übernehmen. Mittlerweile zeichnet sich der Trend ab, dass Cobots auch in traditionelle Applikationen immer weiter vordringen, weil sie auch dort ihre Stärken ausspielen können. Eigentlich lässt sich sagen: Immer da, wo der Roboter den Menschen unterstützen kann, ihn aber nicht vollständig ersetzt, handelt es sich um klassische Aufgabenfelder für Cobots. 

Ein schönes Beispiel ist unser Cobot YuMi – der wirklich erste kollaborative Roboter am Markt. YuMi hilft aktuell etwa bei der Analyse von COVID-19-Tests mit und handhabt Teströhrchen. Darüber hinaus haben wir im letzten Jahr unser Portfolio bei ABB um zwei neue Mitglieder der Cobot-Familie erweitert: GoFa und SWIFTI. Im Vergleich zu YuMi haben unsere neuen Cobots in Sachen Geschwindigkeit und Traglast deutlich zugelegt und können so in vielen weiteren Anwendungen eingesetzt werden.  

Welche Vorteile bringt die Kollaborative Automatisierung; also die Unterstützung der Menschen durch Roboter?

Die Vorteile entsprechen denen eines klassischen Anwendungsfalls in der Automatisierung. Unterm Strich wollen wir unseren Kunden helfen, produktiver und wettbewerbsfähiger zu sein. Der Anknüpfungspunkt ist dabei, wie bei jedem Roboter, Prozesse zu identifizieren, die der Cobot schnell und zuverlässig abarbeiten kann. Dies sind in der Regel repetitive Prozesse.

Im kollaborativen Bereich ist es insbesondere so, dass der Cobot mit Menschen zusammenarbeitet und sie von ermüdenden, sich wiederholenden Aufgaben entlastet – beispielsweise von schweren Handlings-Aufgaben, die körperlich anstrengend sind, sowie von risikobehafteten Tätigkeiten. Indem der Cobot diese Aufgaben übernimmt, haben Mitarbeitende Freiraum für höherwertige Tätigkeiten. Sie können sich beispielsweise Gedanken darüber machen, wie Prozesse noch verbessert werden können, ohne aber diese Prozesse und Aufgaben selbst durchführen zu müssen. Einfach ausgedrückt: Mitarbeitende tragen Verantwortung für die interessanten und herausfordernden Aufgaben und überlassen die einfacheren und „ungeliebten“ Tätigkeiten den Robotern.  Ich denke, das passt auch ganz gut in das Umfeld, das wir gerade in Deutschland sehen – Stichwort Fachkräftemangel. Hier bietet die Automatisierung mit Cobots enormes Potenzial. 

Ein weiterer Vorteil, den Cobots mit sich bringen, ist ihre Einfachheit im Vergleich zu klassischen Industrierobotern. Letztere wurden in der Vergangenheit sehr aufwendig programmiert. Daher galt es, viel Programmier-Know-how mitzubringen, um den Industrieroboter in die Automatisierung zu überführen. Das hat sich mit Einführung der Cobots massiv geändert. Diese sind viel leichter zu programmieren. Es gibt mittlerweile verschiedene neue Methodiken, wie sich Roboter programmieren lassen, ohne wirklich tief in das Coding einsteigen zu müssen.

Bei uns gibt es z.B. Wizard Easy Programming, das eine einfache Programmieroberfläche bietet. Die Software deckt wesentliche Roboterfunktionen wie „Bewegen“, „Greifen“ oder „Vakuum-Sauggreifen“ ab. Benutzer können Funktionen einfach per Drag & Drop auf das Bediengerät ziehen. Wizard Easy Programming ist die perfekte Ergänzung zur so genannten Lead-Through-Funktionalität. Dies bedeutet, dass der Mensch dem Roboter handgeführt Bewegungen und Positionen „beibringen“ kann. Bei uns gilt die Devise: „Wer ein Tablet oder Smartphone bedienen kann, der kann auch unsere Cobots programmieren.“

Der kollaborative Roboter SWIFTI von ABB

Wie groß ist der Mehrwert von Cobots für die industrielle Fertigung?

Der Mehrwert ergibt sich tatsächlich aus den genannten Vorteilen – aus der Einfachheit der Programmierung und Bedienung, der Zusammenarbeit mit Menschen, der Entlastung des Personals und natürlich auch der Steigerung von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Aber es gibt auch noch Anwendungsfälle, etwa in hochautomatisierten Branchen wie der Automobilindustrie, wo Cobots diese genannten Vorteile ausspielen können.

Ein interessantes Beispiel ist die Cockpitmontage. Vom Verschrauben bis hin zur Teilepositionierung werden dort viele Tätigkeiten noch manuell durchgeführt. Hier ließe sich z.B. mit unserem Cobot SWIFTI der Grad der Automatisierung weiter erhöhen. Menschen wären immer noch eingebunden, um beispielsweise in sporadischen Abständen Qualitätsüberprüfungen durchzuführen. Es gibt also auch in hochautomatisierten Bereichen noch ganz viele tolle Anwendungsfälle. 

Gerade bei einer so engen Zusammenarbeit mit Menschen spielt die Sicherheit eine große Rolle. Wie sicher sind Cobots?

Sicherheit ist nicht nur bei ABB, sondern allgemein das oberste Gebot bei der Automatisierung. Das gilt für Industrieroboter genauso wie für die kollaborativen Roboter. Letztendlich gelten aber etwas andere Sicherheitsanforderungen an Cobots als an klassische Industrieroboter. Denn Cobots sind oftmals nicht hinter Zäunen eingesperrt, die klassischerweise für Sicherheit sorgen, sondern agieren mit Menschen. Daher werden moderne Sicherheitssysteme benötigt, die den Roboter bei Bedarf – wenn der Mensch sich nähert oder den Cobot berührt – sehr schnell herunterbremsen beziehungsweise ihn extrem schnell in den Stillstand versetzen. 

Unser Cobot GoFa verfügt z.B. in allen Achsen über intelligente Drehmomentsensoren, die ihn bei Berührung im Millisekunden-Bereich stoppen. Beim SWIFTI verhält es sich etwas anders, da der Roboter meist nur sporadisch mit Menschen zusammenarbeitet. Hier sorgen Laserscanner für die notwendige Sicherheit, d.h. wir legen Bereiche um den Roboter herum als Sicherheitszonen fest. Sobald sich der Mensch nähert, verlangsamt der Roboter seine Tätigkeit bis hin zum Stillstand. Sobald sich der Mensch wieder vom Roboter entfernt, kann der Roboter seine Stärke wieder voll ausspielen. 

Übrigens: YuMi war der erste inhärent sichere Cobot. Bei YuMi liegt die Sicherheit im Design, d.h. seine Arme sind weich gepolstert und er besitzt, wie ein menschlicher Arm, keine Quetsch- und Klemmstellen, sodass der Cobot gar nicht in der Lage ist, dem Menschen Schaden zuzufügen.

Die neue Generation kollaborativer Roboter von ABB

Wie reagieren die Mitarbeiter auf ihre robotischen Helfer?

Ich denke ein Cobot kann Mitarbeitende sehr schnell davon überzeugen, dass er ein Kollege ist und keine Arbeit wegnimmt. Mitarbeitende schätzen die Zusammenarbeit sowie die Tatsache, dass der Cobot Entlastung bringt und Freiräume schafft für andere Tätigkeiten.

Hinzu kommt, dass Cobots – im Vergleich zum klassischen Industrieroboter – schon aufgrund ihres Designs zugänglicher sind. Sie erzeugen durch ihre schlanken Arme, durch Farbgebung und Materialien ein anderes Bild als die klassischen Industrieroboter. Auch ihre intuitive Bedienung spielt eine Rolle. Mitarbeitende finden sich schnell zurecht, sodass die Hemmschwelle sinkt. Außerdem schafft ein sicheres Design Vertrauen: Als wir unseren Zweiarm-Cobot YuMi zum ersten Mal auf einer Messe ausstellten, zeigte ein siebenjähriges Mädchen keine Berührungsängste und begann, den Roboter zu berühren und mit ihm zu arbeiten. Niemand musste ihr sagen, dass es sicher ist, weil es sich sicher anfühlte.

Wo geht die Reise hin? Wo werden wir in Zukunft vermehrt auf den Einsatz von Collaborative Robots setzen?

Ich bin überzeugt, dass es noch viele Potenziale gibt, gerade in Branchen, in denen Robotik und Automatisierung noch nicht so weit fortgeschritten sind. Dank ihrer einfachen Bedienbarkeit und Installation ermöglichen Cobots eine schnelle Automatisierung. Dies bietet uns die Chance, in ganz neue Segmente vorzudringen. Dazu gehört zum Beispiel das Gesundheitswesen, wo wir mit YuMi schon große Erfolge erzielen. Weitere große Bereiche sind die Logistik und sogar der Einzelhandel. 

Der Cobot-Markt ist ein schnell wachsender Markt. Auch die Prognosen dahingehend sind weiterhin sehr positiv. Experten prognostizieren ein jährliches Wachstum bis 2025 um die 17 Prozent. Und dieser Trend wird sich fortsetzen. Hier wollen wir natürlich mit unserem Portfolio eine führende Rolle einnehmen.

Jörg Rommelfanger blickt auf mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Robotik- und Automatisierungsbranche zurück. Nach Stationen bei der carat robotic innovation GmbH und der KraussMaffei Technologies GmbH startete er seine Laufbahn bei ABB im Jahr 2012. Anschließend hatte er verschiedene Führungspositionen auf lokaler und globaler Ebene inne. Jörg Rommelfanger verfügt über einen Abschluss als Diplom-Ingenieur (FH) in Mechatronik von der Hochschule Bochum sowie einen postgradualen Abschluss in Betriebswirtschaft von der Fernuniversität Hagen. Seit Januar 2022 ist er der Leiter der Robotics-Division von ABB in Deutschland.