Satellitenbilder, die eindrucksvoll den Zustand der Erdoberfläche zeigen, werden zu Faktoren in Entscheidungen. © LiveEO

Satellitendaten für eine effizientere Ressourcennutzung

Satelliten liefern mehr als die möglichst präzise Aufnahme der Erdoberfläche. Sie sammeln essenzielle Geo-Informationen für Anwendungen auf der Erde. Im Interview spricht Sven Przywarra, Co-Founder des New Space-Unternehmens LiveEO, über Nutzen und Potenziale von Erdbeobachtungen.

Herr Przywarra, warum ist die Raumfahrt für unseren Alltag wichtig?

Es gibt drei größere Trends aus dem All, die das Leben auf der Erde besser machen: Der erste war und ist GPS bzw. Galileo – jeder kann sich auf der Erde geo-positionieren. Dadurch ist es möglich, dass wir uns bewegen, wie wir es tun, mit entsprechenden Tools wie Online-Karten- oder Lieferdienste, die darauf bauen, dass man weiß, an welchem Ort man sich befindet. Das ist die erste Revolution aus dem Weltraum, die zu großen Veränderungen hier auf der Erde geführt hat. Die zweite Revolution, die gerade im Gang ist, ist die Revolution der Satellitendaten. Mit Satellitenbildern aus dem All kann man nicht nur identifizieren, wo man ist, sondern auch was sich um uns tut, was sich auf diesem Planeten verändert. Mit dieser Information können wir gesellschaftliches Verhalten oder Geschäftsprozesse ändern. Die dritte Revolution ist, dass durch das All die Erde verbunden wird. Denn das Netz an Satellitenkonstellationen versorgt die Erde mit Internet und führt dazu, dass all die Leute, die noch keinen Zugang zum Internet und zum Wissen der Menschheit haben, auch vernetzt werden.

Haben Sie deshalb ein New-Space-Unternehmen gegründet?

Raumfahrt hat mich seit jeher begeistert. Sie gibt uns die Möglichkeit drei fundamentale Fragen der Menschheit zu beantworten: woher kommen wir, wohin gehen wir und sind wir allein im Weltall. Das sind die überragenden Themen, die viele Leute in der Raumfahrt antreiben. Ich wollte ein kleines Rad in dieser Unternehmung sein und hatte schon immer einen Drive, etwas selbst zu gründen und meine eigenen Ideen umzusetzen. Ich habe dann in meinem Wirtschaftsingenieurwesen-Studium bei PTScientists gearbeitet, der Firma, die private Mondmission geplant hat, aber wollte an etwas mitwirken, das direkten Impact für die Menschen auf der Erde hat. Schließlich habe ich meinen Mitgründer Daniel Seidel, der eine ähnliche Motivation und auch Raumfahrt-Ingenieurwesen studiert hat, auf einer Konferenz getroffen und es entstand die Idee, Satellitendaten für den Endnutzer zu übersetzen. Wir haben uns 2018 gegründet und sind mittlerweile fast 30 Leute aus zehn Ländern in Berlin.

 

„Durch Satellitendaten können wir frühzeitig und allumfassend globale Fragestellungen bearbeiten“

Wie können uns Satellitendaten helfen, unsere Erde besser zu verstehen?

Satellitendaten können eine reale Abbildung von der gesamten Erdoberfläche geben, sie bilden quasi einen Daten-Layer von jedem Fleck auf der Erde ab. Egal, was sich auf der Erdoberfläche tut, egal welche wirtschaftlichen Unternehmungen getan, welche Naturereignisse oder Umweltveränderungen sich ereignen – all das kann im globalen Ausmaß gemonitort werden. Und das nur mit einer Technologie: Satelliten. Das kann ganz großen Einfluss haben auf die Art und Weise wie wir unsere Arbeitsprozesse gestalten, wie wir Entscheidungen treffen auf politischer als auch auf wirtschaftlicher Ebene. Durch Satellitendaten kann ein sehr gutes Bild darüber gewonnen werden, wie der Zustand auf der Erdoberfläche ist. Sie ermöglichen es uns, viel effizienter mit unseren Ressourcen umzugehen, beispielsweise wenn wir unsere Felder bestellen. Sie helfen uns, Monitoring und Maintenance, also Begutachtungs- und Instandhaltungsprozesse, besser zu gestalten, weil wir für Industrieanlagen und Infrastrukturnetzwerke, z.B. für Brücken oder Dämme, genau identifizieren können, wo es eventuell zu Schäden kommen kann und wo eine Instandhaltung stattfinden muss. Sie zeigen uns, wo es zum Beispiel zu Waldbränden und zu Umweltverschmutzung kommt oder wo welche Folgen des Klimawandels zu sehen sind. Oft nehmen wir eine sehr lokale Perspektive ein und schauen mit einem begrenzten Blick auf die Dinge, durch Satellitendaten können wir frühzeitig und allumfassend globale Fragestellungen bearbeiten. Dabei ist es notwendig, das große, ganze Bild zu sehen und das geht von keiner Position besser als aus dem Orbit.

Können Sie ein konkretes Praxisbeispiel nennen?

Eine Fragestellung könnte sein, wie man Prozesse so gestaltet, dass mehr Menschen auf der Erde von denselben Ressourcen ernährt werden können. Satellitendaten können dazu beitragen, dass zum Beispiel Felder ertragreicher bestellt und abgeerntet werden, indem daraus genau erkannt werden kann, an welchen Orten das Feld gedüngt werden muss und wo vielleicht auch keine Düngung oder keinerlei Einsatz von Pestiziden notwendig ist. Das kann aus dem All für alle Ackerflächen der Welt gemonitort werden. Ein anderes Beispiel: Mit Satellitendaten können Bahngleise, Stromtrassen und Pipelines beobachtet werden, um frühzeitig zu identifizieren, wenn z.B. ein Baum auf die Infrastruktur zu krachen droht. Auch können aus den Daten Risikomodelle erstellt und bewertet werden, wo Vegetation beschnitten werden sollte, um Sturmschäden zu vermeiden. Wir können auch effizient tracken, wie in anderen Ländern Umweltschutz eingehalten wird und wie geschäftliche Prozesse sich entwickeln, z.B. im Rahmen von einer Pandemie, wie wir sie gerade erfahren.

Hunderte von Satelliten scannen täglich die Erde. © ESA

Durch die Daten können Infrastrukturen wie z.B. Stromleitungen besser geplant werden. © LiveEO

Um Geschäftsprozesse zu evaluieren, welche Faktoren könnten wir uns anschauen?

Es kann die Entwicklung von Commodities gemonitort werden, z.B. wie viel Öl oder andere Güter produziert oder transportiert werden, aber auch, wie sich der Output von Fabriken verändert. Gemeinsam mit einem Broker House monitoren wir beispielsweise Autoparkplätze von Autofirmen, um so sehen zu können, wie viele Autos produziert und gelagert werden. Das hilft dabei, früher Schlüsse zum wirtschaftlichen Zustand eines Unternehmens oder einer ganzen Volkwirtschaft zu ziehen.

Welchen Vorteil haben Satellitendaten im Vergleich zu den Daten, die auf der Erde erfasst werden?

Monitoring-Prozesse auf der Erde sind entweder manuell, dann sind sie langsam, oder mit Sensorik, dann sind sie teuer. Oder sie werden gar nicht gemacht, sondern sind hypothesenbasiert und das kann gefährlich werden. Mit Satellitendaten können wir global standardisiert Informationen bekommen und die auch einheitlich zur Verfügung stellen. Das bedeutet nicht, dass man mit Satellitendaten alle Informationen erfassen kann, aber das ist auch gar nicht der Anspruch. Sondern der Anspruch der Satellitendatenanalyse ist es, großflächige Insights zu liefern und auf dieser Basis dann gezielt beispielsweise Sensorik zu verbauen, gezielt Informationen zu erfassen – quasi einen Trichter zu reproduzieren, durch den viele Dinge vorentschieden oder ausgewählt werden können.

Wie funktioniert das genau? Von welchen Satelliten kommen die Daten und wie werden sie ausgewertet?

In den vergangenen Jahren gab es eine Revolution der Erdobservation, hunderte vom Satelliten wurden in den Orbit geschossen, jeden Tag drehen zig Satelliten über den Globus und monitoren die Erde. Das sind Konstellationen vom öffentlichen Sektor, wie beispielsweise der Europäischen Raumfahrtbehörde, oder auch von Privatunternehmen, wie beispielsweise Airbus und Planet. Diese Firmen produzieren Satellitendaten, aber so ein Satellitenbild ist für den Endverbraucher in den Industrien relativ schwer zu handhaben. So müsste jedes Unternehmen erst einmal die Ressourcen und das Verständnis für die Verarbeitung dieser Daten aufbauen. Daher kommen Firmen wie unsere ins Spiel: Wir übersetzen Satellitendaten, erarbeiten „actionable insights“ wie wir es nennen, sodass diese von Personen verstanden werden können, die letztendlich nichts mit Satellitendaten zu tun haben. Wir nutzen direkt oder über Vertriebspartner Daten von Satellitenbetreibern weltweit – koreanische, chinesische, europäische, US-amerikanische – und prozessieren diese in unserer Cloud. In einer Cloud deswegen, weil Satellitendaten extrem groß sind und eine Analyse von z.B. einem gesamten Land wie Deutschland sehr rechneraufwendig wäre. In der Cloud werden die Daten durch Künstliche Intelligenz analysiert, um z.B. Objekte in der Vegetation zu identifizieren, die für Stromtrassen oder den Bau einer Pipeline gefährlich sein könnten. Am Ende stellen wir die Analyseergebnisse im Web oder in unserer mobilen App bereit oder integrieren diese in bestehende Management- oder Maintenance-Systeme von Kunden.

Welche Herausforderungen gibt es bei Ihrer Arbeit?

Eine Herausforderung ist es, dass die Chancen der Digitalisierung manchmal nicht verstanden werden. Es gibt glücklicherweise große Datenpools, die von staatlicher Seite bereits zur Verfügung gestellt werden, aber viele Behörden sitzen weiter auf unglaublichen Datenschätzen, die zum jetzigen Zeitpunkt einfach nicht genutzt werden. Entweder weil sie sehr schwer zu bekommen sind, z.B. aufgrund eines hohen Aufpreises, der zu zahlen wäre, oder gar nicht erst zugänglich gemacht werden. Dabei könnten New Space-Firmen wie wir diese sehr gut dazu nutzen, um unsere Machine-Learning-Algorithmen zu programmieren und so aus Deutschland einen internationalen Weltmarktführer aufzubauen. Eine weitere Herausforderung ist die Definition von Startups und die Bedingungen in der deutschen Förderlandschaft. Wir haben zum Beispiel trotz innovativer Idee und Zuspruch eine Zusage für eine Förderung nicht bekommen, weil wir nicht über drei Jahre unseren Jahresabschluss vorlegen konnten – denn es gab das Unternehmen noch gar nicht so lang. So verbaut man sich viele Chancen, schnell wachsende Startups dabei zu unterstützen, auch international wachsen zu können.

„Eine Stärke Deutschlands ist die große Basis an sehr gut ausgebildeten Leuten.“

Wie steht es um den Markt in Deutschland für New Space-Unternehmen?

Wenn man von dem New Space-Markt spricht, dann muss man differenzieren zwischen dem Erdobservations-Markt und dem größeren New Space-Markt. New Space, private Raumfahrt, erstreckt sich von Raketenbau und -starts, über Satellitenbetreiber bis zu Firmen, die nur Software entwickeln. New Space ist in den vergangenen Jahren im starken Aufwärtstrend und wird auch in Deutschland verstärkt unterstützt. So fördert der Staat mittlerweile gewagtere Raumfahrtprojekte mit einer kommerziellen Ausrichtung. Das war aber lange Zeit nicht so, es war in der Vergangenheit oft schwierig, für Raumfahrtprojekte, die immer mit einem großen Risiko daherkommen, Förderung zu erhalten. Das ändert sich gerade. Zudem gibt es nicht mehr nur die „historischen“ Unternehmen, die schon seit 20, 30 Jahren Raumfahrttechnologien entwickeln oder nutzen, sondern auch junge Unternehmen sind aktiv. Hier gibt es keine Konkurrenz, sondern alle wollen den Markt voranbringen.

Wo sehen Sie die deutsche New Space-Branche in den nächsten fünf bis zehn Jahren?

Ich glaube, Deutschland hat den perfekten Ausgangspunkt, um in Europa der Marktführer und in der westlichen Hemisphäre die Nummer zwei hinter den USA zu werden. Natürlich hat Frankreich auch einen großen Aerospace-Markt, aber Deutschland hat unglaubliches Potenzial, was mittlerweile die Finanzierung und vor allem was den Talent-Pool angeht. Eine Stärke Deutschlands ist die große Basis an sehr gut ausgebildeten Leuten. Es gibt Cluster an Ingenieuren, z.B. in Bremen, in München, in Berlin, die Erfahrungen mit Raumfahrt haben, welche sie bereits an den Universitäten sammeln. Deutsche Universitäten haben eine sehr gut entwickelte Forschung, von der TU Berlin allein wurden bereits 20 Kleinsatelliten gestartet. Standorte wie Berlin haben auch den Vorteil, dass internationale Talente angezogen werden können.

Glauben Sie an ein deutsches Leitunternehmen ähnlich wie Space X in den USA?

Gründerpersönlichkeiten wie Elon Musk mit seinem Unternehmen Space X erhalten im angloamerikanischen Raum eine andere Darstellung wie in Deutschland. Deutschland hat prinzipiell das Potenzial, ein international führendes Raumfahrtunternehmen zu entwickeln, aber keines von der Größe wie Space X. Hier kann man nicht mehr von einem deutschen Unternehmen, sondern muss von einem europäischen Unternehmen sprechen. Space X ist deshalb so groß geworden, weil es ein großes Funding am Anfang gab und weil die NASA als Erstkunde aufgetreten ist. Das heißt, staatlich-private Kooperationen sind wichtig, solche Projekte gibt es auch vermehrt mit der Europäischen Raumfahrtbehörde. Auch wenn wir keine eine schillernde Galionsfigur wie Elon Musk in Deutschland haben, wird es meiner Meinung nach in ein paar Jahren in Deutschland ganz viele Gründer geben, die in ihrem Bereich der Raumfahrt Weltmarktführer gebaut haben.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des New Space in Deutschland?

Vier Dinge: Das eine ist das Encouragement zum Entrepreneurship an den Universitäten. Während des Studiums sollte gefördert werden, selbst etwas zu entwickeln und Projekte oder Unternehmen zu betreiben. Das Projekt WARR an der TU München ist das beste Beispiel: Dort gab es eine Studentengruppe, die sich mit Raumfahrtprojekten befasst haben, und daraus haben sich jetzt verschiedenste Raumfahrt-Startups gegründet. Das zweite ist es, zu motivieren, all die innovativen Technologien und Projektideen, die an den Forschungseinrichtungen und Universitäten in Deutschland entwickelt werden, in die Privatwirtschaft zu überführen. Und das einfach zu machen und den dahinterstehenden Prozess deutlich zu beschleunigen. Das dritte ist, dass der Staat Raumfahrtunternehmen als auch andere Deep-Tech-Forschungsbereiche nicht nur fördern, sondern vielleicht auch als erster Customer auftreten sollte. Mit einem solchen Kunden würden nämlich Investitionen in solche risikoreichen Startups interessant. Es gäbe den Investoren Sicherheit, weil sie wissen, es wird auf jeden Fall einen Abnehmer durch den Staat geben. Und gleichzeitig profitiere der Staat davon, dass die Startups wachsen. Das vierte ist, dass die Investorenlandschaft in Deutschland weiter wachsen muss. So könnte mehr Kapital fließen in wirklich junge und innovative Raumfahrtunternehmen.

Nach seinem Bachelor-Studium des Ingenieurwesens an der Technischen Universität Berlin arbeitete Sven Przywarra bei Raumfahrtunternehmen PTScientists. Dort war er von 2015 bis 2018 verantwortlich für PR und später Business Development. Im August 2018 gründete er zusammen mit Daniel Seidel das Startup LiveEO. Zudem ist er Begründer der Austauschplattform NewSpace Visions. © LiveEO

Beim Tag der deutschen Industrie 2020 sprachen wir mit Anke Pagels-Kerp, Head of Space Science Department beim Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Sie betonte die Bedeutung der Erdbeobachtung durch Satelliten für unser Wissen über den Klimawandel und Ressourcennutzung. © BDI