Russland

Die Corona-Infektionen haben in Russland in den letzten Wochen stark zugenommen. Das Land belegt nach der Zahl der Infektionen mit über 552.500 Infizierten (Stand 17.06.2020) inzwischen hinter den USA und Brasilien weltweit den dritten Rang. Die russische Regierung hat frühzeitig mit Maßnahmen zur Kontaktsperre reagiert.

Seit dem 30. März 2020 bestand in Russland eine landesweite „arbeitsfreie“ Phase, die am 11. Mai 2020 beendet wurde. Da sich die Auswirkungen der Corona-Epidemie in Russland von Region zu Region unterscheiden, sicherte Präsident Putin den Gouverneuren per Dekret zusätzliche Entscheidungshoheit zu, um spezifische Maßnahmen in ihrer Region zu treffen. Um weiterhin unter bestimmten hygienischen Auflagen produzieren zu können, mussten sich Unternehmen um eine Einstufung als systemrelevantes Unternehmen bemühen.
Am 12. Mai 2020 begann die erste Lockerungsphase in Russland. Unternehmen aus zahlreichen Branchen durften ihren Betrieb wieder aufnehmen, darunter Energie-, Bau-, Bergbau-, Landwirtschafts- sowie produzierende Unternehmen. Für alle Unternehmen gelten erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. Die Regionen dürfen individuell entscheiden, welche Beschränkungen zu welchem Zeitpunkt aufgehoben werden. In Moskau wurde ab dem 9. Juni 2020 die Selbstisolation beendet. Auch die digitalen Passierscheine wurden abgeschafft. Bürger über 65 Jahre und chronisch Kranke dürfen ihre Wohnungen wieder verlassen. Die meisten Geschäfte, einschließlich Friseure und Schönheitssalons, dürfen ihre Arbeit wieder aufnehmen. Seit dem 16. Juni 2020 dürfen Cafés und Restaurants stufenweise ihren Betrieb wieder aufnehmen, ab dem 23. Juni auch Fitnessstudios und andere Sporteinrichtungen sowie Kindergärten und Spielplätze.
Die russische Regierung reagierte fortwährend mit zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen auf die neuen Herausforderungen der Corona-Krise. Diese trifft nicht nur die sogenannten Schlüssel-industrien, sondern vor allem kleinere Unternehmer. Rund eine Million kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Russland könnten gezwungen sein, ihren Betrieb wegen der Corona-Krise bis Ende August 2020 einzustellen. Das geht aktuell aus Schätzungen der Wirtschaftsverbände Opora Rossii und Delowaja Rossija sowie der russischen Industrie- und Handelskammer (TPP) hervor. Am stärksten betroffen ist demnach der Dienstleistungssektor, die Hotellerie, die Gastronomie und der Non-Food-Einzelhandel. Bis zu drei Millionen Arbeitnehmer, die bei KMU angestellt sind, könnten ihren Arbeitsplatz verlieren.
Neben der Corona-Krise hat auch der Ölpreisverfall und die Abwertung des Rubel in Russland zu einer Schwächung der Wirtschaftsleistung geführt. Die Zentralbank rechnet mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr von vier bis sechs Prozent. Erwartet wird zudem, dass die Exporte Russlands um zehn bis 15 Prozent einbrechen könnten. Der bilaterale Handelsumsatz zwischen Deutschland und Russland ist im ersten Quartal 2020 um 14,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurückgegangen – dabei gingen die deutschen Einfuhren aus Russland um minus 23,5 Prozent zurück, die Ausfuhren nach Russland um minus 0,6 Prozent.
Am 1. Juni 2020 legte die Regierung von Ministerpräsident Mischustin auf Anweisung von Präsident Putin zusammen mit den Gouverneuren und Vertretern von Unternehmerverbänden einen nationalen Aktionsplan zur langfristigen Entwicklung der Wirtschaft, der Steigerung von Beschäftigung und der Einkommen der Bevölkerung vor. Der Plan zielt auf eine Rückkehr zum Wachstum der Wirtschaft bis Ende 2021 ab. In einer ersten Etappe soll es darum gehen, einen noch tieferen Einbruch zu verhindern (Juni bis September 2020). Danach sollen bis Mitte 2021 die Wirtschaftsleistung und die Einkommen der Bevölkerung auf das Vorkrisenniveau gebracht werden (Ziel soll ein BIP-Wachstum von mindestens 2,5 Prozent sein). In der zweiten Jahreshälfte 2021 soll der Übergang zum „aktiven Wachstum“ der Wirtschaft und der Realeinkommen beginnen. Das Konjunkturprogramm sieht 500 Maßnahmen vor und umfasst ca. 65 Milliarden Euro aus dem Staatshaushalt.

Lieferengpässe: Nicht nur die verordneten Zwangsferien haben Industriebetriebe in Russland gezwungen, ihre Produktion herunterzufahren, sondern vor allem auch Lieferengpässe durch Produktionsstopps in chinesischen und europäischen Zulieferbetrieben. Auf die Folgen ausgesetzter internationaler Lieferketten berufen sich derzeit gern auch diejenigen in Russland, die eine noch stärkere Importsubstitution und Produktionslokalisierung in Russland fordern. Laut einer im April verabschiedeten neuen „Strategie zur Entwicklung der verarbeitenden Industrie bis 2035“ soll der Anteil lokal produzierter Bauteile in 20 Schlüsselbranchen signifikant ansteigen.

Einreisebeschränkungen: Seit Beginn der Corona-Krise besteht ein Einreiseverbot nach Russland für Ausländer, das am 29. April auf unbestimmte Zeit verlängert wurde. Dies stellt viele Unternehmen vor große Schwierigkeiten, dringend benötigte Mitarbeiter nach Russland zu holen. Eine Ausnahmeregelung besteht nur für hochqualifiziertes technisches Personal zur Installation und Wartung von Maschinen und Anlagen. Am 8. Juni 2020 wurde das Ein- und Ausreiseverbot zwar teilweise gelockert. Dies berechtigt aber vorerst Menschen zur einmaligen Einreise, die enge Verwandtschaftsbeziehungen in Russland haben. Am 10. Juni 2020 durfte einmalig ein Lufthansa-Flieger in Russland arbeitende Manager und Fachkräfte von Frankfurt nach Moskau bringen, ein weiterer Flieger ist für den 24./25. Juni 2020 geplant. Die Luftfahrtbranche Russlands geht von weiteren Lockerungen ab Mitte Juli 2020 aus.