Überbordende Bürokratie abbauen!
Frau Herold, wie schätzen Sie die Beeinträchtigung der deutschen Industrie durch Bürokratie und Regulierung insgesamt ein?
Umfragen zeigen, dass überbordende Bürokratie das größte Problem für die deutsche Wirtschaft ist. Dabei ist Bürokratie hausgemacht und kein externer Schock wie die Coronapandemie oder eine geopolitische Krise. Mit dem – inzwischen vierten – Bürokratieentlastungsgesetz will die Bundesregierung ein Zeichen pro Abbau setzen. Aber dieses Klein-Klein zündet nicht, das Gesetz enttäuscht. Für DELO kann ich sagen: Bürokratie bindet personelle und finanzielle Kapazitäten, die wir besser für produktivere Themen einsetzen könnten. Allerhand Beschäftigte arbeiten in der Arbeitszeit Listen ab und dokumentieren dies. Hinzu kommt ein dichtes Beauftragtenwesen mit Rollen wie „Trittleiterbeauftragte“ oder „Elektronischer Türschlussbeauftragte“ – um nur zwei Beispiele zu nennen. Was bei uns alles an unnötiger Bürokratie und überflüssigen Berichtspflichten gemacht werden muss, darüber könnte ich mich täglich ärgern.
Laut Bundesregierung nimmt die Belastung durch Bürokratie stetig ab. Der Bürokratiekostenindex der Bundesregierung sei seit Einführung im Jahre 2012 von 100 auf 95,93 Punkte Ende 2023 abgesunken. Merken Sie das in Ihrer täglichen Unternehmenspraxis?
Für mich ist das Schönrechnerei und widerspricht meiner unternehmerischen Erfahrung völlig. Denn bei diesem Index werden EU-Regularien sowie der einmalige, aber häufig große Umstellungsaufwand bei neuen Gesetzen nicht berücksichtigt. Tatsächlich liegen die Bürokratiekosten für die Wirtschaft bei rund 65 Milliarden Euro pro Jahr – 20 Milliarden mehr im Jahr 2012. In der Unternehmenspraxis ist der bürokratische Aufwand gewachsen statt gesunken. Von daher bleibt meine Forderung: Die Politik muss endlich überbordende Bürokratie abbauen und eine ehrliche Kostenmessung durchführen!
Geben Sie uns einen Einblick, wie Ihr Unternehmen mit bürokratischen Hürden kämpft?
Die Fülle an Regulierungen für einen international tätiges mittelständisches Unternehmen ist grundsätzlich genauso groß wie für Großunternehmen. Der Aufwand beim Aufsetzen interner Prozesse für neue Gesetze ist derselbe – obwohl wir über weniger personelle Kapazitäten verfügen. Hinzu kommen Gesetze wie das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. DELO ist zwar von den Vorgaben – inklusive Berichtspflicht – noch nicht direkt betroffen, aber viele unserer Kunden sind Großkonzerne und reichen die Forderungen durch. Teilweise müssen wir bestätigen, unseren Mitarbeitenden Zugang zu Toiletten und fließendem Wasser zu gewähren.
Auch dass Dienstreisen in die USA unbürokratischer sind als ins EU-Ausland, oder dass wir regelmäßig die Führerscheine vieler Mitarbeitender kontrollieren und sie schulen müssen, worauf sie beim Autofahren achten müssen, passt überhaupt nicht in das Bild des mündigen Bürgers, das die Politik sonst gerne zeichnet.
Es ist einfach die Summe an Maßnahmen mit unglaublich schlechtem Aufwand-Nutzen-Verhältnis, die mich verzweifeln lässt.
Wenn Sie sich drei Dinge in puncto Bürokratieabbau von der Politik wünschen dürften, welche wären das?
- Die Politik erwartet vom Mittelstand, sich bei der Digitalisierung gut aufzustellen – und so kann ich das auch umgekehrt erwarten. Eine voll digitalisierte Verwaltung bis spätestens 2026 muss klares politisches Ziel sein. Zudem würde ich mir wünschen, dass die Länder ihre Interessen etwas zurückstellen. Die Digitalisierung von Prozessen wird nur dann ein Erfolg, wenn sie bundesweit so einheitlich wie möglich erfolgen.
- Ressortübergreifende Praxischecks sind geeignet, um die Anwendung von Recht spürbar zu entschlacken und zu vereinfachen. Das wird besonders spürbar, wenn stets Sachverstand aus der Wirtschaft dabei ist.
- Wenn für den überfälligen Befreiungsschlag offenbar der politische Wille fehlt, dann braucht es zumindest ein Moratorium. Also keine Gesetze mit wenig Wirkung oder weiteren bürokratischen Belastungen verabschieden. Das sollte für Vorgaben aus Brüssel wie für Ideen aus Berlin gelten.