Regal mit Aktenordner

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Konjunkturimpuls? Bürokratieabbau!

In Zeiten von Unsicherheit und Krise diskutiert die Politik zu Recht über gezielte Entlastungen. Das ist richtig und wichtig – auch jenseits des folgenreichen Urteils aus Karlsruhe zum „Klima- und Transformationsfonds“. Wer weniger Bürokratie wagt und besseres Recht setzt, kann allerhand Potenziale heben. Ein politisches Lebenszeichen wäre, das angekündigte Bürokratieentlastungsgesetz zügig und spürbar umzusetzen.

Bürokratie – im Sinne von Regeln in einer Volkswirtschaft – ist grundsätzlich wichtig und auch aus Sicht der Wirtschaft unverzichtbar. Doch seit Jahren ächzen Unternehmen unter immer mehr Vorgaben aus Europa, Bund, Ländern und Gemeinden.

So zeigt eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, dass der Aufwand im Austausch mit der öffentlichen Verwaltung seit 2015 – d. h. seit Einführung der Bürokratiebremse „one in, one out“ – für 65 Prozent der befragten Unternehmen zugenommen hat, trotz drei Bürokratieentlastungsgesetzen. Auch der Nationale Normenkontrollrat (NKR) wirft im NKR-Jahresbericht 2023 ein grelles Licht auf die Lage. Demnach sind allein im Zeitraum von Juli 2022 bis Juni 2023 die Kosten für den bürokratischen Erfüllungsaufwand um 9,3 Milliarden auf insgesamt 26,8 Milliarden Euro pro Jahr gestiegen. „Mit rund 3,8 Milliarden Euro hat sich der laufende Er­füllungsaufwand für die Wirtschaft im zweiten Berichtszeitraum in Folge deutlich erhöht, und ist von rund 10,6 Milliarden Euro auf rund 14,4 Milliarden Euro gestiegen“ zeigt der NKR.

BDI-Präsident Siegfried Russwurm hebt hervor: „Weniger Bürokratie und eine effiziente Regulierung sind ein Konjunkturimpuls zum Nulltarif. Sie helfen Wirtschaft und Verwaltung, ohne die öffentlichen Haushalte weiter zu belasten. Weniger Melde-, Berichts- und Dokumentationspflichten schaffen mehr personelle, finanzielle und sachliche Ressourcen in Unternehmen. Gefragt sind politischer Wille und Pragmatismus.“ Verlässlichen Freiraum zu schaffen und unternehmerisches Luftholen zu erleichtern, hilft gerade in Mittelstand und Familienunternehmen. Es gilt, ein echtes Aufbruchssignal für den Standort zu schaffen.

Allemal in Berlin sollte zwischen den Ministerien und im Bundestag ein echter Wettbewerb um Bürokratieabbau starten. Gleichzeitig ist Brüssel gefordert, entschlossen gegen immer mehr Vorgaben inklusive Berichtspflichten vorzugehen und alte Zöpfe abzuschneiden. Einige Maßnahmen aus dem „KMU-Entlastungspaket“ der EU-Kommission von Mitte September gehen in die richtige Richtung. Wann spürbare Ergebnisse in der Praxis ankommen, bleibt allerdings zu sehen.

…unternehmen, nicht verwalten

„Wir wollen unternehmen, nicht verwalten – dafür sollte uns die Politik auch Freiräume bieten“, betont auch Hans-Toni Junius, Vorsitzender des BDI/BDA-Mittelstandsausschuss. „Im unternehmerischen Alltag spüren wir Mittelständler und Familienunternehmer stets wachsende Belastungen – zum Beispiel durch immer mehr steuer-, sozial- oder umweltrechtliche Vorgaben. Uns demotivieren wuchernder Zettelkram, wachsende Berichtspflichten und ausuferndes Beauftragtenwesen.“

Folgerichtig liefert der BDI immer wieder konkrete Abbau-Anregungen für die nationale und europäische Ebene. Denn das regulatorische System am Standort muss dauerhaft schlanker, effektiver und resilienter werden. Gut ist, dass das Bundesjustizministerium (BMJ) dazu Anfang 2023 eine umfangreiche Verbändeabfrage durchgeführt hat. Natürlich hat sich auch der BDI mit detaillierten Entlastungsvorschlägen beteiligt, mit Schwerpunkt auf Genehmigungsverfahren und Steuern.

Im Auftrag des BMJ hat das Statistische Bundesamt die insgesamt rund 450 Vorschläge aus 57 Verbänden systematisch ausgewertet und priorisiert sowie für den Staatssekretär-Ausschuss „Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau“ aufbereitet. Ende August 2023 hat das Kabinett in Meseberg ein – allzu ambitionsarmes – Eckpunktepapier vorgelegt. Der Referentenentwurf eines Vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) liegt seit Mitte Januar 2024 vor. Es bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. Der Entwurf enthält gerade einmal 11 der insgesamt 442 Vorschläge aus der Verbändeabfrage. Es handelt sich um viele kleinteilige Maßnahmen, die insgesamt nicht den großen Wurf bedeuten. Das Bundesministerium der Justiz legte im Dezember 2023 ein Monitoring zur Umsetzung der Vorschläge vor – eine Vorschau, welche Vorschläge das BEG IV nicht aufgreift. Die Enttäuschung über den Referentenentwurf verdeutlicht der BDI auch in seiner Stellungnahme. Neben Änderungs-, Ergänzungsbedarf und Nachbesserungsbedarf fordert der BDI die Umsetzung von drei Maßnahmen mit Sofortwirkung für Bürokratieabbau und Bessere Rechtsetzung:  

  • Belastungsmoratorium umsetzen
  • Vollzugstauglichkeit von Vorschriften prüfen
  • Verwaltungsmodernisierung voranbringen

Bessere Rechtsetzung durch ganzheitliche Praxischecks

Klar ist aber auch: Einzelmaßnahmen in einem Artikelgesetz können den zu dichten – und weiter wuchernden – Bürokratiedschungel in Deutschland nicht so lichten, wie es im Sinne einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und einer leistungsfähigen Verwaltung erforderlich ist. Aufgabe der Politik ist etwa, den „Digitalcheck“ weiterzuentwickeln und die Bürokratiebremse von dem aktuellen „one in, one out“ auf ein „one in, two out“ auszuweiten.

Zudem sind ganze Gesetzesbereiche ressortübergreifend zu evaluieren, neu zu denken und im Paket zu verbessern. Am besten unter stetiger Einbeziehung betroffener Behörden, Unternehmen und relevanter Stakeholder. Das Mittel der Wahl sind umfassende und systematische Praxischecks beziehungsweise Checks der Vollzugstauglichkeit. Auch hier hat der BDI konkrete Vorschläge gemacht. Wenn etwa Verfahren zu lange dauern oder Fördergelder nicht zeitgerecht abfließen, ist mit den Betroffenen zu prüfen, wie es besser und einfacher gehen kann.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat bereits einen Praxischeck durchgeführt: zur Errichtung und Nutzung von Photovoltaikanlagen. Das ist ein begrüßenswerter erster Schritt. Das Ressort plant weitere Praxischecks, etwa zu Windanlagen, Wärmepumpen sowie zu Berichtspflichten rund um Nachhaltigkeit und Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. Für die unternehmerische Praxis ist es richtig, Regeln zusammenzufassen, zu fokussieren und zu vereinfachen. Hilfreich wäre, wenn sich über das BMWK hinaus weitere Ressorts anschließen.

Gründlichkeit vor Schnelligkeit

Darüber hinaus muss das Prinzip „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ wieder mehr Raum in der Gesetzgebung bekommen. Der Sachverstand der Wirtschaft wird zu wenig einbezogen. Viel zu kurze Fristen bei Stellungnahmen zu Gesetzen sowie intransparente Nachmessungen und Evaluierungen müssen enden. Auch der NKR kritisiert, dass nur 25 Prozent der Gesetzgebungsvorhaben die Mindestfristen zur Anhörung erfüllen. „Die Bundesregierung ignoriert mit wachsender Regelmäßigkeit ihre eigene Geschäftsordnung und die darin enthaltenen Bestimmungen zur Einbindung der Ressorts, des NKR sowie betroffener Länder, Verbände und interessierter Kreise“, moniert das unabhängige Beratungsgremium.

Sinnvolle Vorschläge für grundsätzliche Verbesserungen hat der NKR schon im Herbst 2019 unter dem Motto „Erst der Inhalt, dann die Paragrafen“ vorgestellt. Demnach sollten Ministerien Ideen für Gesetze bereits in einem früh als Eckpunktepapiere teilen, sodass Probleme frühzeitig identifiziert und praxisgerecht gelöst werden können.

 

Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner im SWR Interview der Woche.