Regal mit Aktenordner

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Konjunkturimpuls? Bürokratieabbau!

In Zeiten von Unsicherheit und Krise diskutiert die Politik zu Recht über gezielte Entlastungen. In den Bereichen Bürokratie und Regulierung liegen viele ungenutzte Möglichkeiten. Wer als Regierung „mehr Fortschritt wagen“ will, sollte das im Koalitionsvertrag angekündigte Bürokratieentlastungsgesetz zügig und spürbar umsetzen.

Bürokratie – im Sinne von Regeln in einer Volkswirtschaft – ist grundsätzlich wichtig und auch aus Sicht der Wirtschaft unverzichtbar. Doch seit Jahren ächzen Unternehmen unter immer mehr Vorgaben aus Europa, Bund, Ländern und Gemeinden. So zeigt eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach, dass der Aufwand im Austausch mit der öffentlichen Verwaltung seit 2015 – d. h. seit Einführung der Bürokratiebremse „one in, one out“ – für 65 Prozent der befragten Unternehmen zugenommen hat, trotz drei Bürokratieentlastungsgesetzen.

BDI-Präsident Siegfried Russwurm bringt es auf den Punkt: „Weniger Bürokratie und eine effiziente Regulierung sind ein Konjunkturimpuls zum Nulltarif. Sie helfen Wirtschaft und Verwaltung, ohne die öffentlichen Haushalte weiter zu belasten. Weniger Melde-, Berichts- und Dokumentationspflichten schaffen mehr personelle, finanzielle und sachliche Ressourcen in Unternehmen. Gefragt sind politischer Wille und Pragmatismus.“

Jetzt verlässlichen Freiraum zu schaffen und unternehmerisches Luftholen zu erleichtern, hilft gerade in Mittelstand und Familienunternehmen. Es gilt, ein echtes Aufbruchssignal für den Standort zu schaffen. Zwischen den Ministerien und im Bundestag sollte ein echter Wettbewerb um Bürokratieabbau starten.

…unternehmen, nicht verwalten

„Wir wollen unternehmen, nicht verwalten – dafür sollte uns die Politik auch Freiräume bieten“, betont auch Hans-Toni Junius, Vorsitzender des BDI/BDA-Mittelstandsausschusses. „Im unternehmerischen Alltag spüren wir Mittelständler und Familienunternehmer stets wachsende Belastungen – zum Beispiel durch immer mehr steuer-, sozial- oder umweltrechtliche Vorgaben. Uns demotivieren wuchernder Zettelkram, wachsende Berichtspflichten und ausuferndes Beauftragtenwesen.“

Der BDI liefert regelmäßig konkrete Anregungen für politischen Einsatz auf nationaler und europäischer Ebene. Beispielsweise sollten Zollverfahren deutlich vereinfacht und Genehmigungsverfahren nicht nur im Energiebereich entschlossen beschleunigt werden. Insgesamt muss das regulatorische System am Standort dauerhaft schlanker, effektiver und resilienter werden.

Anfang 2023 hat das Bundesjustizministerium eine umfangreiche Verbändeabfrage durchgeführt, an der sich auch der BDI mit einer Auswahl detaillierter Entlastungsvorschläge – vor allem aus den Bereichen Genehmigungsverfahren und Steuern – beteiligte. Beispielsweise verkomplizieren immissionsschutzrechtliche Vorgaben, Raumordnungsrecht und Bauplanungsrecht weiterhin die Errichtung und Nutzung von Elektrolyseuren so sehr, dass ein flächendeckender Hochlauf der Wasserstoffinfrastruktur am Standort Deutschland schmerzhaft ausgebremst wird. Das Statistische Bundesamt hat die rund 450 Vorschläge aus insgesamt 57 Verbänden systematisch ausgewertet und priorisiert. Geht es nach dem Staatssekretär-Ausschuss „Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau“ folgt bis August 2023 ein Eckpunktepapier und bis Ende des Jahres ein Referentenentwurf für ein viertes Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV). Wichtig ist, alle im Rahmen der Verbändeabfrage eingegangen Entlastungsvorschläge einem transparenten Monitoring-Prozess zu unterziehen.

Bessere Rechtsetzung durch ganzheitliche Praxischecks

Klar ist aber auch: Einzelmaßnahmen in einem Artikelgesetz können den zu dichten – und weiter wuchernden – Bürokratiedschungel in Deutschland nicht so lichten, wie es im Sinne einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und einer leistungsfähigen Verwaltung erforderlich ist. Aufgabe der Politik ist etwa, den „Digitalcheck“ weiterzuentwickeln und die Bürokratiebremse von dem aktuellen „one in, one out“ auf ein „one in, two out“ auszuweiten.

Zudem sind ganze Gesetzesbereiche ressortübergreifend zu evaluieren, neu zu denken und im Paket zu verbessern – unter stetiger Einbeziehung betroffener Behörden, Unternehmen und relevanter Stakeholder. Das Mittel der Wahl sind umfassende und systematische Praxischecks beziehungsweise Checks der Vollzugstauglichkeit. Auch hier macht der BDI konkrete Vorschläge. Wenn etwa Verfahren zu lange dauern oder Fördergelder nicht zeitgerecht abfließen, ist unter Einbindung der Betroffenen zu prüfen, wie es besser und einfacher geht.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat bereits einen ganzheitlichen Praxischeck zur Errichtung und Nutzung von Photovoltaikanlagen durchgeführt – ein begrüßenswerter erster Schritt. Das Ressort plant weitere Praxischecks, etwa zu Berichtspflichten rund um die EU-Taxonomie, Nachhaltigkeitsberichterstattung und Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. Es ist richtig, hier zusammenzufassen, zu fokussieren und zu vereinfachen. Es ist Zeit, dass sich weitere Ressorts anschließen.

Gründlichkeit vor Schnelligkeit

Darüber hinaus muss das Prinzip „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“ wieder mehr Raum in der Gesetzgebung bekommen. Der Sachverstand der Wirtschaft wird zu wenig einbezogen. Viel zu kurze Fristen bei Stellungnahmen zu Gesetzen, intransparente Nachmessungen und Evaluierungen dürfen nicht zur Regel werden. Sinnvolle Vorschläge für grundsätzliche Verbesserungen bietet das Gutachten des Normenkontrollrats „Erst der Inhalt, dann die Paragrafen“ vom Herbst 2019. Dieses sieht u. a. vor, dass Ministerien Ideen für Gesetze bereits in einem sehr frühen Stadium in Form von Eckpunktepapieren teilen, sodass Probleme frühzeitig identifiziert und gelöst werden können.

 

Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner im SWR Interview der Woche.