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Konjunkturimpuls? Bürokratieabbau!
Bürokratie als funktionierender Rechtsrahmen einer Volkswirtschaft ist für Wirtschaft und Gesellschaft unverzichtbar. Doch seit Jahren leiden Unternehmen zunehmend unter Vorgaben aus Europa, Bund, Ländern und Gemeinden. Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach berichten 65 Prozent der Betriebe, dass der Aufwand im Kontakt mit der Verwaltung seit Einführung der Bürokratiebremse „One in, one out“ im Jahr 2015 gestiegen ist – trotz mehrerer Bürokratieentlastungsgesetze.
Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) beziffert den laufenden Erfüllungsaufwand in seinem Jahresbericht 2024 auf 27,1 Milliarden Euro – davon trägt die Wirtschaft mit 14 Milliarden Euro den Löwenanteil. Der Bericht zeigt klar auf, wo bessere Rechtsetzung, weniger Bürokratie und moderne Verwaltung ansetzen müssen. Der BDI unterstützt das differenzierte Bild und teilt zahlreiche Empfehlungen des NKR. BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner bringt es auf den Punkt: „Für weniger Bürokratie und mehr staatliche Effizienz braucht es mehr politische Entschlossenheit und einen Schulterschluss zwischen Bund, Ländern und Kommunen.“
Die deutsche Politik unternimmt zwar punktuelle Entlastungen – etwa mit dem vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) –, doch gleichzeitig wachsen die Belastungen weiter: Neue Pflichten wie die Nachhaltigkeitsberichterstattung oder das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erhöhen den Aufwand. Per Saldo nimmt die Bürokratie zu – eine echte Trendwende bleibt aus.
Das Luftholen erleichtern
Wer Bürokratieabbau in Deutschland ernst meint, muss strukturell ansetzen – auch auf europäischer Ebene. Seit Jahren sind Unternehmen mit immer mehr Regeln, Vorgaben und Berichtspflichten konfrontiert, die durch nationale Übererfüllung oft verschärft werden. Das verursacht Frust und erhebliche Bürokratiekosten. Die Pläne der EU-Kommission zum Bürokratieabbau sind zu begrüßen – jetzt müssen schnell Taten folgen. Die Bundesregierung sollte die EU-Kommission und das EU-Parlament auf diesem Feld eng begleiten sowie im Ministerrat frühzeitig geschlossen und strategisch entschlossen auftreten.
Gerade für den Mittelstand und Familienunternehmen ist verlässlicher Freiraum essenziell, um das Luftholen zu erleichtern. Es gilt, ein echtes Aufbruchssignal für den Standort zu schaffen. Familienunternehmer und BDI-Präsident Peter Leibinger hebt hervor: „Unsere Stärke war und ist es, innovative, kundengerechte Produkte zu bauen. Diese Innovationskraft wird und wurde in den letzten Jahren durch überbordende Bürokratie geradezu erstickt. Die Ressourcen, die unsere Unternehmen für unsinnige Berichtspflichten und das Einhalten sinnloser oder übertriebener Regeln aufwenden müssen, fehlen an anderer Stelle. Wenn Menschen fortwährend mit defensiven Dingen zu tun haben, erstickt die Kreativität.“
Weniger Bürokratie und eine effiziente Regulierung fördern Innovationen – und wirken wie ein Konjunkturimpuls zum Nulltarif. Sie helfen Wirtschaft und Verwaltung, ohne die öffentlichen Haushalte weiter zu belasten. Der Abbau von Melde-, Berichts- und Dokumentationspflichten schafft mehr Freiräume in Unternehmen – personell, finanziell und organisatorisch. Gefragt sind politischer Wille und pragmatisches Handeln.
In Berlin sollte zwischen den Ministerien und im Bundestag ein echter Wettbewerb um Bürokratieabbau bestehen. Gleichzeitig ist Brüssel gefordert, entschlossen gegen immer mehr Vorgaben inklusive Berichtspflichten vorzugehen und alte Zöpfe abzuschneiden. Einige Maßnahmen aus dem „KMU-Entlastungspaket“ der EU-Kommission von September 2023 gehen in die richtige Richtung. Doch jetzt gilt es, das Ziel einer 35-prozentigen Entlastung für kleine und mittlere Unternehmen auch tatsächlich auf europäischer Ebene umzusetzen.
Ein sinnvoller Ansatz bleibt, Rechtsakte mit Hilfe von "Omnibus"-Verordnungen zügig und entschlossen zu straffen und zu vereinfachen.
„Wir wollen unternehmen, nicht verwalten“
Diese Forderung betont auch Hans-Toni Junius, Vorsitzender des BDI/BDA-Mittelstandsausschuss, und fordert mehr unternehmerische Freiräume durch die Politik. „Im unternehmerischen Alltag spüren wir Mittelständler und Familienunternehmer stets wachsende Belastungen – zum Beispiel durch immer mehr steuer-, sozial- oder umweltrechtliche Vorgaben. Uns demotivieren wuchernder Zettelkram, wachsende Berichtspflichten und ausuferndes Beauftragtenwesen.“
Folgerichtig liefert der BDI kontinuierlich konkrete Anregungen zum Bürokratieabbau auf nationaler und europäischer Ebene. Ziel ist ein dauerhaft schlankes, effektives und resilientes Regulierungsumfeld. Gut ist, dass das Bundesjustizministerium (BMJ) dazu Anfang 2023 eine umfangreiche Verbändeabfrage gestartet hat. Daran hat sich auch der BDI mit detaillierten Entlastungsvorschlägen beteiligt – mit einem Schwerpunkt auf Genehmigungsverfahren und steuerliche Entlastungen.
Im Auftrag des BMJ hat das Statistische Bundesamt die insgesamt über 400 Vorschläge aus 57 Verbänden systematisch ausgewertet, priorisiert und für den Staatssekretär-Ausschuss „Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau“ aufbereitet. Doch das Ergebnis blieb enttäuschend: Ende August 2023 legte das Kabinett in Meseberg ein ambitionsloses Eckpunktepapier vor. Das daraus entstandene vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) verfehlt die Erwartungen deutlich – und reicht bei Weitem nicht aus, um die Attraktivität des Standortes zu erhöhen.
Der BDI hat seine Enttäuschung über den Referentenentwurf schon in seiner Stellungnahme klar zum Ausdruck gebracht. Von über 400 konkreten Entlastungsvorschlägen wurde lediglich ein Bruchteil umgesetzt – das zeigt einen mangelnden politischen Gestaltungswillen. Allein Informationspflichten nach nationalem Recht kosteten Unternehmen Anfang 2024 66,5 Milliarden Euro jährlich. Von daher wirken kleinteilige Maßnahmen wie der Verzicht auf Schriftformerfordernisse und eine Reduktion der Aufbewahrungsfristen von zehn auf acht Jahre in der Praxis wie ein Tropfen auf einen inzwischen glühenden Stein.
Bürokratie systematisch abbauen
Einzelmaßnahmen im Rahmen eines Artikelgesetzes können den zu dichten – und weiter wuchernden – Bürokratiedschungel in Deutschland nicht nachhaltig lichten. Für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und eine leistungsfähige Verwaltung braucht es einen strukturellen Ansatz. Daher fordert der BDI einen konsequenten, systematischen Bürokratieabbau – basierend auf sieben zentralen Handlungsfeldern:
- Eigenverantwortung durch vertrauensbasierte Regulierung stärken
- Belastungsmoratorium etablieren – Weiterentwicklung der „One in, one out“-Regel zu einem echten Netto-Abbau
- Bürokratieentlastungspfad verbindlich festlegen
- Nationalen Normenkontrollrat (NKR) stärken
- Besseres Recht setzen – Vorschläge aus Wirtschaft und Praxis konsequent umsetzen
- Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen
- Verwaltung modernisieren
Aufgabe der Politik ist es, eine Wachstumsagenda umzusetzen und damit den dringend benötigten Freiraum für Unternehmen innerhalb eines klaren Rahmens zu schaffen. Dafür braucht es einen mutigen Ordnungsrahmen, getragen von einer Kultur des Vertrauens und Ermöglichens – sowohl in der Gesetzgebung als auch im Verwaltungsvollzug. Anstelle pauschalen Misstrauens sollte dabei das Vertrauen in die Rechtstreue von Betrieben der Regelfall sein.
Ein solcher Kulturwandel eröffnet die Chance, bestehende Gesetze gezielt zu überprüfen, überflüssige Melde- und Berichtspflichten ersatzlos zu streichen und neue unternehmerische Ressourcen freizusetzen. Dazu gehört auch: Die 1:1-Umsetzung von EU-Recht muss zum Standard werden. Ausnahmen bei der Bürokratiebremse – etwa im Rahmen der „One in, one out“-Regel – sind abzuschaffen, um diese zu einem wirksamen Belastungsmoratorium weiterzuentwickeln.
Für einen nachhaltigen und umfassenden Bürokratieabbau braucht es verbindliche Netto-Abbauziele. Ein Jahresbürokratieentlastungsgesetz – analog zum Jahressteuergesetz – wäre ein guter Ansatz. Ebenso notwendig: eine finanzielle und personelle Stärkung des NKR sowie die Ausstattung mit wirksameren Instrumenten zur Durchsetzung besserer Regulierung.
Kulturwandel in der Verwaltung vorantreiben
Um besseres Recht zu setzen, muss Praxiswissen möglichst frühzeitig in den Prozess einfließen. Die Bundesregierung sollte die Fristen in der Geschäftsordnung dahingehend präzisieren und einen systemischen Ansatz etablieren, der die Expertise der Praktiker:innen konsequent einbindet. Flächendeckende und ressortübergreifende Praxis-, Bürger-, KMU- und Digitalchecks sowie der Einsatz von Reallaboren sind dafür bewährte und sinnvolle Instrumente.
Zudem leiden sowohl Projektbetreiber als auch Genehmigungsbehörden unter einem Dickicht aus unbestimmten Rechtsbegriffen, schwer verständlichen komplexen Normen, fehlenden Standards und unüberschaubaren Einzelfallregelungen. Für schnellere Verfahren braucht es eine fundamentale Überarbeitung insbesondere des europäischen und deutschen Umweltrechts – und einen Kulturwandel hin zu einem Entscheidungs- und Ermöglichungswillen in der Verwaltung, der Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt.
Die öffentliche Verwaltung selbst muss ganzheitlich modernisiert werden, um die an sie gestellten Anforderungen erfüllen zu können. Eine moderne, digitale Verwaltung sollte bürokratiearm und wirtschaftsfokussiert sein – nicht zuletzt, weil Unternehmen mit durchschnittlich über 200 Behördenkontakten pro Jahr zu den Powerusern staatlicher Strukturen zählen. Der BDI hat dazu ein Leitbild entwickelt.