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Bewertung des Koalitionsvertrags von CDU, CSU und SPD

Der BDI hat den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Detail bewertet. Das Ergebnis: Der Koalitionsvertrag enthält einige richtige Ansätze für die vom BDI geforderte Wachstumsagenda und Strukturreformen, um den Standort Deutschland aus der Krise zu führen. Jetzt kommt es darauf an, die Überlegungen in echte Taten umzusetzen.

43 Tage nach der Bundestagswahl haben CDU, CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Das Arbeitsprogramm der künftigen Koalition trägt den Titel „Verantwortung für Deutschland“ und setzt so ein Zeichen politischer Stabilität in Zeiten großer Unsicherheit. Der BDI hat für die 21. Legislaturperiode eine neue Agenda für Wachstum gefordert. Dafür sind echte Strukturreformen notwendig, um den Standort Deutschland aus der Krise zu führen. Der Koalitionsvertrag enthält hierfür einige richtige Ansätze, entscheidend wird nun die konsequente Umsetzung sein.

Chancen, das Potenzialwachstum zu steigern

  • Geplante Impulse für Innovationen
  • Anstieg der Infrastrukturinvestitionen
  • Entlastung bei den Energiekosten
  • Stärkung des Arbeitskräftepotenzials und der Arbeitsanreize

Insgesamt kann und sollte durch diese Richtungsentscheidungen das Potenzialwachstum wieder deutlich über ein Prozent angehoben werden.

Haushalts- und Belastungsrisiken sehen wir in den sozialen Sicherungssystemen. Ohne weitere Reformen werden sie sich dämpfend auf die wirtschaftliche Aktivität wegen hoher Lohnnebenkosten bzw. steigender Haushaltszuschüsse auswirken.

Wirtschaft fordert Vertrauenskultur und Unterstützung für unternehmerisches Engagement 

Zentral für die vom BDI geforderte Wachstumsagenda ist eine Vertrauenskultur, die unternehmerisches Engagement aufleben lässt, statt im Keim erstickt. Aus unserer Sicht schafft der Koalitionsvertrag dafür eine gute Ausgangsbasis. Wir begrüßen, dass Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen im Mittelpunkt stehen sollen. Die Verwaltung soll „Ermöglicher“ werden. Es ist gut, dass die Koalitionspartner das Ziel haben, eine „ambitionierte Modernisierungsagenda“ noch in diesem Jahr aufzusetzen. 

Standort Deutschland stärken

Es braucht nicht nur mehr öffentliche Investitionen in die Infrastruktur. Gleichermaßen müssen auch private Investitionen gestärkt werden. Der BDI hatte bereits im vergangenen Jahr die Möglichkeit für ein Sondervermögen aufgezeigt – mit dem Fokus auf dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur, Klimaschutz und Resilienz in der Höhe von etwa 400 Milliarden Euro über zehn Jahre.

Um nachhaltig die öffentliche Investitionsfähigkeit zu stärken, ist jetzt ein Dreischritt aus Strukturreformen, einer effizienteren Mittelverwendung im Haushalt und einer konsequenten Priorisierung von Investitionen geboten. Das Problem: Der Koalitionsvertrag trifft zum Einsatz der Mittel des jetzt beschlossenen Sondervermögens über 500 Milliarden Euro über zwölf Jahre allerdings nur sehr wenige Aussagen, etwa, dass jeweils 100 Milliarden Euro für Länder und Gemeinden sowie für Klimaschutz bereitgestellt werden sollen. Hier sollten die künftigen Koalitionäre rasch Klarheit schaffen. Im Koalitionsvertrag sind für die Legislatur Maßnahmen im Volumen von 150 Milliarden Euro vorgesehen. Dies ist ein angemessenes Volumen. Wie die Mittel konkret verwendet werden sollen, muss die neue Bundesregierung rasch entscheiden.

Digitale und grüne Transformation umsetzen

Und nicht zuletzt kann eine erfolgreiche digitale und grüne Transformation nur durch eine industriepolitische Agenda gelingen. Das Bekenntnis zum Industrieland und der zentralen Rolle der Forschung ist daher richtig und wichtig. Der Kernsatz lautet: „Wir wollen Industrieland bleiben und klimaneutral werden.“ Der BDI unterstützt diese doppelte Zielsetzung mit Nachdruck.

In den übergeordneten Strukturfeldern und Politikbereichen ergeben sich einige Übereinstimmungen mit den vom BDI eingeforderten Prioritäten. Es bleiben aber auch Lücken und offene Fragen:

Einen wettbewerbsfähigen Standort gestalten

Der Koalitionsvertrag benennt entsprechend als große Herausforderung, das Arbeitskräftepotenzial zu mobilisieren, jedoch kommt es nun auf ein schlüssiges Maßnahmenpaket an. Zudem sind die steuerlichen Rahmenbedingungen für die deutschen Unternehmen ein zentraler Standortfaktor. Die angekündigten verbesserten Abschreibungsbedingungen, die schrittweise Senkung der Körperschaftsteuer und die Verbesserung der Besteuerung von Personenunternehmen sind wichtige positive Signale. Schnelle Wachstumsimpulse sind dadurch jedoch nicht zu erwarten, da der Einstieg in die Senkung der Körperschaftsteuer erst ab dem Jahr 2028 erfolgen soll. Es fehlen auch strukturelle Verbesserungen der Unternehmenssteuern wie eine Verbesserung der Verlustverrechnung und eine Beseitigung von steuerlichen Hemmnissen für Umstrukturierungen. 

Für eine Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts bei den Energiepreisen sieht der Koalitionsvertrag wichtige Schritte im Strom- und im Gasbereich vor. Maßnahmen wie die dauerhafte Deckelung der Stromnetzentgelte schaffen Vertrauen auch für internationale Investoren. Auch weitere Energie-Ankündigungen sind begrüßenswert, beispielsweise zu Kraftwerksneubau, Wasserstoff, Kohlenstoffspeicherung (CCS/CCU) oder der einheitlichen Stromgebotszone.  Weiterhin ist das Vorhaben, sowohl dem Glasfaser- als auch dem Mobilfunkausbau das „überragende öffentliche Interesse“ uneingeschränkt einzuräumen, sehr positiv, um das Ausbautempo digitaler Infrastruktur signifikant zu erhöhen und damit die digitale Transformation Deutschlands zu beschleunigen.

Einen modernen Staat schaffen

Die Koalitionspartner streben einen Mentalitätswechsel an. Dieser ist aus Sicht des BDI von hervorgehobener Bedeutung. Denn um die öffentliche Verwaltung grundlegend zu modernisieren, braucht es einen Wandel hin zu einer Vertrauens- und Ermöglichungskultur für alle Sektoren, Branchen und Unternehmensgrößen, nicht zuletzt für den standorttreuen Mittelstand. Wie das konkret ausgestaltet werden soll, lässt der Koalitionsvertrag leider offen - das muss rasch im Rahmen der Modernisierungsagenda erarbeitet werden. Eine umfassende Verwaltungsreform ist richtig, sie muss Entscheidungsbefugnisse der Verwaltung konsequent stärken, Verfahren in allen Bereichen beschleunigen und eine umfangreiche Verwaltungsdigitalisierung vornehmen. Leider versäumt es die Koalition, eine entscheidende Weiche für einfachere Vergaben zu stellen: Nach wie vor fehlt es an einer bundesweiten Vereinheitlichung des Vergaberechts auf Basis der bestehenden Ordnungen. Hingegen setzt sie sich ambitioniert für 25 Prozent weniger Bürokratielast in der Wirtschaft ein. Entsprechend sind etwa eine Umsetzung der „One in, two out“-Regel ohne Ausnahmen sowie weniger Pflichten für Dokumentation, Statistik und Betriebsbeauftragte zu begrüßen. Ganz zu Recht wird auch die Rolle des Nationalen Normenkontrollrats gestärkt und entschlossenes Auftreten in den EU-Institutionen angekündigt.

Erfolgreiche Innovationen ermöglichen

Der Innovationsstandort Deutschland wird zunehmend unattraktiver und leitsungunfähiger – das hat die Koalition erkannt. Die vorgesehene Bündelung der Forschungsfördermaßnahmen des Bundes in Kombination mit dem geplanten Abbau an Bürokratie werden die Attraktivität von Forschungsförderungsprogrammen erhöhen. Das macht sie insbesondere für KMU zugänglicher. Kritisch zu sehen ist jedoch, dass bei der Stärkung und Beschleunigung des Transfers die Industrie nicht hinreichend mitgedacht wird. Der BDI sieht die Gefahr, dass auch zukünftig exzellente Forschung nicht in marktfähige Produkte überführt wird und damit nicht zur Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beiträgt. Die von der Koalition angestrebten verbesserten Bedingungen zur Ansiedlung für Rechenzentren, die innovationsfreundliche Umsetzung des EU-KI-Gesetzes, die Schaffung europäisch integrierter und resilienter Mikroelektronik-Wertschöpfungsketten sowie Fortschritte bei der Wasserstoffwirtschaft haben das Potenzial, die Zukunftsfähigkeit des Innovations- und Industriestandorts Deutschland nachhaltig zu stärken.

Deutschland als starker Partner der Welt platzieren

Für Deutschland als starken Partner in der Welt setzt der Koalitionsvertrag erste gute Impulse. Noch fehlt aber ein kohärenter strategischer Rahmen. In der anstehenden Legislatur muss die Koalition über Bekenntnisse zu Europa, Verteidigung und den transatlantischen Beziehungen hinausgehen. Der BDI erwartet, dass die Koalitionäre vielmehr Bekenntnisse konkret umsetzen, um als gestaltende Kraft geopolitisch wirksam zu werden. In der Europapolitik ist der vereinbarte frühzeitige Abstimmungsmechanismus innerhalb der Bundesregierung zu EU-Vorhaben nur ein erster Schritt, um deutsche Interessen auf europäischer Ebene besser zu vertreten. Darüber hinaus fehlen das zentrale Ziel einer europäisch eingebetteten Industriestrategie ebenso wie konkrete Umsetzungsschritte für einen vertieften Binnenmarkt. In der Verteidigungspolitik sind eine effiziente Mittelverwendung sicherzustellen und die Verwaltungsverfahren signifikant zu straffen und zu vereinfachen. Die Freihandelspolitik ist pragmatisch beschrieben, aber immer noch zu reaktiv. So fehlt dem Verhältnis zu China noch eine entschlossene Balance aus Marktchancen und Risiken. Positiv wiederum ist der Wille, Rohstoffsouveränität durch Diversifikation und europäische Projekte zu stärken. Der Koalitionsvertrag ist damit insgesamt ein Anfang. Nun kommt es darauf an, eine kraftvolle strategische Agenda für Europas Platz in der Welt zu entwickeln.