China – Partner und Systemwettbewerber
Ein Land drängt an die Spitze. China ist seit 2010 nach den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Der chinesische Außenhandel hat sich in den letzten zwanzig Jahren mehr als verzehnfacht, die Wirtschaftsleistung seit 2010 mehr als verdoppelt. Laut Berechnungen der Weltbank rangiert China mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von rund 8.700 Euro (2020) inzwischen unter den Ländern mit einem Einkommensniveau im oberen Mittelfeld. Die Wirtschaftsstruktur der Volksrepublik hat sich seit Beginn der Wirtschaftsreformen vor knapp 45 Jahren rasant verändert: Das Land, in dem der Agrarsektor 1980 noch fast 70 Prozent der Arbeitsplätze stellte, drängt inzwischen in Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz, Elektromobilität und Autonomes Fahren an die Weltspitze.
Die globale ökonomische Entwicklung hängt mittlerweile von Chinas Hybridwirtschaft mit parteistaatlicher Lenkung und Marktelementen ebenso ab wie von den großen traditionellen marktliberalen Wirtschaftsnationen wie den USA, der EU und Japan. Gleichzeitig erhebt die Volksrepublik China einen neuen globalen Gestaltungsanspruch, der sich an Megaprojekten wie der Belt-and-Road-Initiative zeigt.
Größter Handelspartner
Die Wirtschaftsräume China und die EU sind nach Jahren der Zusammenarbeit eng miteinander verflochten. Nicht nur Endprodukte, sondern auch viele benötigte Rohstoffe, Vorprodukte und Werkzeuge stammen aus China. Sie helfen der deutschen Industrie günstig zu produzieren. Das Riesenreich ist aber nicht nur Beschaffungs-, sondern vor allem auch Absatzmarkt für deutsche Unternehmen und wird immer mehr auch zu einem Standort für Forschung und Entwicklung der Unternehmen. Deutschlands schnelle Erholung von der Finanz- und Wirtschaftskrise war nicht zuletzt auch der kräftigen Nachfrage aus China zu verdanken.
Dennoch gehören auch in China zweistellige Wachstumsraten längst der Vergangenheit an. Vor der Corona-Krise lagen die jährlichen Wachstumsraten des chinesischen BIPs bei über 6 Prozent. Im Gegensatz zu westlichen Staaten konnte China eine Rezession 2020 vermeiden und das Wachstum ist 2021 wieder auf 8 Prozent gestiegen. Zuletzt zeigten sich jedoch Zeichen einer konjunkturellen Abkühlung. Die Erholung vom Corona-bedingten Wirtschaftseinbruch 2020 wird auch von strukturellen Trends eingeholt. Es zeigt sich immer deutlicher, dass Chinas Wachstumsmodell, das vor allem auf Infrastruktur-Investitionen und der Exportindustrie beruht, ausgedient hat. Ein neues, von Innovation und Binnenkonsum getriebenes Wachstumsmodell befindet sich noch im Aufbau.
Nach wie vor sind in China innovative und hochwertige Produkte und Dienstleistungen aus Deutschland begehrt. Neue Marktpotenziale eröffnen sich beispielsweise in den Bereichen Umweltschutz, Mobilität und Konsum. Wie wichtig die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen für beide Seiten sind, zeigt ein Blick auf die Im- und Exporte: Seit 2016 ist China für Deutschland der bedeutendste Handelspartner weltweit. So betrug das Handelsvolumen beider Länder im Jahr 2021 über 245 Milliarden Euro – ein kräftiger Zuwachs von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für die Volksrepublik wiederum ist Deutschland der wichtigste Zielmarkt in Europa. Die Bundesrepublik führte 2021 Waren und Dienstleistungen im Wert von über 142 Milliarden Euro aus China ein.
Neue Herausforderungen
Die Corona-Pandemie wirft ihren Schatten auch auf die Beziehungen zu China. Seit März 2020 wurde eine Vielzahl von Einreiserestriktionen für Ausländer verhängt. Aufgrund der eingeschränkten Visavergabe und der langen Dauer von Quarantänen vor Ort ist allgemein sehr schwierig geworden, Zugang zum Land zu bekommen. Diese Einschränkungen belasten deutsche Unternehmen sehr. Gerade für mittelständische Unternehmen ist es aktuell eine der größten Hürden bei der Rückkehr zur normalen Wirtschaftsaktivität. Es fehlen technische Spezialisten und Manager. Investitionen in Millionenhöhe können nicht getätigt werden und Maschinen können aufgrund von fehlenden Experten nicht installiert werden.
Auch die politischen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren verändert. Die Beziehungen zwischen China und den USA haben sich verschlechtert. Und auch in Europa hat ein Umdenken in der Chinapolitik stattgefunden. 2019 bezeichnete die Europäische Kommission China als Verhandlungspartner, wirtschaftlichen Wettbewerber und erstmalig als Systemrivalen. Im Koalitionsvertrag schlägt die Ampel-Regierung ebenfalls einen klareren Kurs gegenüber China ein.
Beim Kernanliegen eines fairen Wettbewerbs sollten eigentlich noch 2021 Fortschritte erzielt werden. Ende des Jahres 2020 war eine Einigung über ein Comprehensive Agreement on Investment (CAI) zwischen der EU und China erzielt worden. An das lange verhandelte Abkommen hatte die Industrie große Erwartungen geknüpft, die mit dem vorliegenden Text nur in Teilen erfüllt wurden. Noch bevor die formaljuristische Prüfung des Abkommens abgeschlossen war, wurde der Prozess durch die politische Realität gestoppt. Die EU verhängt im März 2021 Sanktionen gegen China wegen der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang. Daraufhin beschloss die chinesische Führung Gegensanktionen, auch gegen mehrere Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Die Europäische Kommission und das Parlament sind sich einig, dass dieses Vorgehen inakzeptabel ist und eine weitere Ratifizierung und der Abschluss des Abkommens unter diesen Umständen ausgeschlossen sind.
In anderen Belangen ist China ebenfalls nicht konfliktscheu. Zum Beispiel setzt China seit Ende letzten Jahres gegenüber Litauen einen inoffiziellen Handelsboykott durch, um den EU-Staat für die Eröffnung eines taiwanesischen Verbindungsbüros unter dem Namen „Taiwan“ - und nicht wie in anderen Ländern üblich unter dem Namen „Taipei“ - zu bestrafen. Die inoffiziellen Maßnahmen der chinesischen Zollbehörden richten sich nicht nur gegen litauische Exporte, sondern auch gegen Exporte aus anderen EU-Staaten mit litauischen Komponenten. Mit seinen politisch motivierten inoffiziellen Zwangsmaßnahmen verletzt China nicht nur die Integrität des EU-Binnenmarktes, sondern den internationalen regelbasierten Handel insgesamt.
Der Prozess der politischen Neuausrichtung gegenüber China ist somit eine der großen Herausforderungen für Deutschland und Europa in den kommenden Jahren. Er erfordert ein hohes Maß an Kooperation auf europäischer Ebene und eine große Entschlossenheit der Bundesregierung.
Zwischen Partnerschaft und Systemwettbewerb
Eine solche strategische Neuausrichtung hatte der BDI bereits Anfang 2019 in einem Grundsatzpapier zu China angemahnt. Darin finden sich die wesentlichen Herausforderungen, vor denen Deutschland und Europa durch den Aufstieg des Landes als neue Wirtschaftsmacht gestellt werden. Die Erwartungen, das chinesische Wirtschaftssystem würde sich im Laufe der Zeit westlichen marktliberalen Modellen immer mehr angleichen, werden sich auf absehbare Zeit nicht erfüllen. Vielmehr vertritt Peking sein eigenes Modell einer staatlich gelenkten Wirtschaft immer offensiver – nicht nur im eigenen Land, sondern auch auf den weltweiten Märkten.
China bleibt auch weiterhin einer der wichtigsten Partner, wird jedoch zugleich immer deutlicher zum systemischen Wettbewerber. Auf diese neue Realität muss sich die deutsche Industrie einstellen. Es gilt, die marktwirtschaftliche Ordnung in Deutschland und Europa widerstandsfähiger zu machen. Gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen und das Prinzip der Gegenseitigkeit stehen dabei im Mittelpunkt. Hierfür setzt sich der BDI in Berlin und Brüssel ein.
Engagement für die Zukunft
Auch künftig wird China ein Treiber der Weltwirtschaft und für die deutsche Industrie ein wesentlicher Absatz- und Beschaffungsmarkt sein. Die deutsche Industrie will zu gleichen Bedingungen mit China kooperieren. Die deutschen Unternehmen möchten im fairen Wettbewerb die wirtschaftliche und technologische Entwicklung in beiden Ländern vorantreiben. Für die in China aktiven Firmen aus Deutschland bemüht sich der BDI gemeinsam mit der Bundesregierung, das wirtschaftliche Umfeld zu verbessern. Marktzugangsbeschränkungen abzubauen und geistiges Eigentum effektiv zu schützen, ist ein zentrales Anliegen. Der BDI tritt für fairen Wettbewerb und freiwilligen Technologietransfer ein – in China, der EU und auf Drittmärkten. Der Zwang zur Datenlokalisierung und gleichzeitige Pflichten, den chinesischen Behörden den Zugang zu gespeicherten Daten zu gewähren, belasten den Ausbau der Industrieaktivitäten in Zukunftstechnologien. Neue „Buy Chinese“-Auflagen erschweren den Vertrieb von nicht in China hergestellten Produkten und Technologien und stehen nicht in Einklang mit WTO-Regeln.
Der BDI beteiligt sich über den Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (APA) an der Organisation hochrangiger Wirtschaftsdelegationen bei China-Reisen von Regierungsvertretern. Hierdurch fließen für die deutsche Wirtschaft zentrale Themen in wirtschaftspolitische Gespräche ein.