Der Digitalisierungswettlauf ist noch nicht entschieden

Auf die Rangliste der 200 weltweit größten Digitalfirmen schaffen es nur wenige europäische Unternehmen. Das kann sich aber schnell ändern. “Wir dürfen nur nicht versuchen, die Amerikaner mit ihren Stärken einholen zu wollen”, sagt BDI-Präsident Dieter Kempf. Die Stärke der europäischen und insbesondere deutschen Wirtschaft liegt im B2B-Sektor. Hier gilt es, durch kluge europäische Politik, diese Stärke der Industrie weiter zu stärken.

Auf der Rangliste der weltweit größten Internetunternehmen muss man lange nach europäischen Champions suchen. Insgesamt finden sich in den Top 200 des Rankings aktuell nur acht europäische Firmen. Manche Kritiker warnen deswegen bereits etwas überspitzt vor einem bevorstehenden Techxit, einem Ausstieg Europas aus der digitalen Technologie. Ganz unbegründet ist die Sorge nicht. Zwei Dinge müssen sich dringend ändern, damit die EU im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss verliert.

Die Fragmentierung des Digitalmarktes muss endlich aufgehoben werden. Trotz redlicher Anstrengungen ist es bisher nicht gelungen, einen gemeinsamen Markt für digitale Geschäftsmodelle zu schaffen. So benötigt die europäische Cybersicherheitsindustrie Aufträge und Referenzprojekte öffentlicher Stellen, um ein kritisches Marktvolumen zu erreichen. Die Potenziale sind beträchtlich, sie müssen nur jetzt genutzt werden.

Mehr Investitionen in Schlüsseltechnologien

Die rasante Entwicklung von Schlüsseltechnologien setzt die Europäische Union zudem unter enormen Wettbewerbsdruck. Besonders deutlich wird das im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI). Nach Meinung vieler Experten ist sie die wichtigste Technologie unserer Zeit und vergleichbar mit der Erfindung der Dampfmaschine. Vom autonomen Fahren bis zur individualisierten Medizin ermöglicht KI gänzlich neue Geschäftsfelder.

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz kann heute bereits über das Prinzip des Maschinellen Lernens einen wesentlichen Beitrag zu verbesserten Verfügbarkeit von Flugzeugen, Aufzügen und Maschinen beitragen. Gleichzeitig proklamieren Gegner der KI Schreckensszenarien von Massenentlassungen in Fabriken und dem Einsatz autonomen Kampfdrohnen. Um zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit KI beizutragen, hat sich der BDI gemeinsam mit anderen Stakeholdern aus Zivilgesellschaft, Politik und Industrie an der Ausarbeitung von ethischen Richtlinien für KI beteiligt. Jetzt gilt es, diese in einer Pilotphase zu testen und weiterzuentwickeln.

In den öffentlichen Fördermaßnahmen spiegelt sich das jedoch bisher nicht wider. Die Bundesregierung will im Rahmen ihrer KI-Strategie in den nächsten Jahren drei Milliarden Euro investieren. Die Zusagen der EU bewegen sich in einer ähnlichen Dimension. Um zur Weltspitze aufzuschließen, wird das aber nicht reichen. Nur zum Vergleich: China unterstützt die KI-Forschung in den nächsten elf Jahren mit 150 Milliarden Dollar.

An dieser Summe muss sich Europa messen lassen, wenn es aktuell das Budget für Forschung- und Entwicklungsförderung (Horizon Europe) aushandelt. Neben der Forschung selbst, liegt die größte Hürde im Wissenstransfer zwischen Universitäten und der Privatwirtschaft. Gute Grundlagenforschung mündet viel zu selten in Firmengründungen. Großen Anteil daran haben die Bedingungen für Wagnis- und Wachstumskapital, die in Europa weniger attraktiv sind. Start-ups, die in vielen Bereichen Innovationstreiber sind, bremst das in ihrem Wachstum.

"Die EU sollte trotzdem nicht versuchen, die Amerikaner mit deren Stärken einholen zu wollen", sagt BDI-Präsident Dieter Kempf. Besser sei es stattdessen, Forschungsgelder in die Weiterentwicklung von industriellen Anwendungen zu stecken. Das zeigen auch Erfolge rund um die Industrie 4.0, die vernetzte Produktion: Europäische und insbesondere deutsche Unternehmen sind vielfach sogenannte Hidden Champions – verborgene Spezialisten in ihrer Industrienische. So gilt es: neue datenbasierte Industrieplattformen nicht durch europäische Regulierungen im Keime zu ersticken. Hier dürfen Äpfel nicht mit Birnen über ein und denselben Kamm geschoren werden.

5G könnte Industrierevolution auslösen

Damit solche Vorsprünge dauerhaft bestehen bleiben, braucht es aus Sicht des BDI eine robuste, digitale Infrastruktur. Viel hängt davon ab, ob die Umstellung auf die fünfte Generation des Mobilfunks (5G) in Europa gelingt. Die neue Netzwerktechnik gleicht einer Revolution. Schließlich ermöglicht sie eine nahezu verzögerungsfreie Kommunikation und verbraucht dabei nur einen winzigen Bruchteil der Energie des heutigen Standards. Eine Qualität, die zum Beispiel für das autonome Fahren aber auch die Telemedizin enorm wichtig ist. Um die Sicherheit von Daten, Diensten und Netzen im Bereich der 5G-Technologie sicherzustellen, bedarf es jetzt europaweit-einheitlicher Sicherheitsanforderungen.

Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten ist deshalb dringend notwendig. Das gilt nicht nur im Bereich der Cybersicherheit, sondern für die Digitalisierung insgesamt. Nur so kann Europa zukünftig wettbewerbsfähig bleiben. Das nötige Know-How hierfür wäre vorhanden, wie schon die Vergangenheit bewiesen hat. Der Vordenker des selbstfahrenden Autos und der Erfinder des Deep-Learning Algorithmus haben eines gemeinsam: Sie beide stammen aus Europa.