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Die Energiewende braucht ein stabiles Fundament

Der BDI warnt gemeinsam mit weiteren Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung davor, die deutsche Stromgebotszone aufzuteilen. Das würde die Transformation verlangsamen und unkalkulierbare volkswirtschaftliche Risiken bergen. Es gibt sinnvollere Wege als eine Stromgebotszonenteilung, um die Energiewende voranzutreiben und bundesweit gleichwertige Lebensverhältnisse zu fördern. Der größte Hebel liegt im Netzausbau.

An dieser Stelle haben vor einer Woche 12 Energieökonomen für die Aufteilung der deutschen Stromgebotszone geworben. Hier sprechen sich führende deutsche Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften dafür aus, die unbestrittenen Herausforderung der Transformation der Energiewirtschaft, innerhalb der einheitlichen Gebotszone zu lösen.

Die Transformation eines zentralisierten fossilen in ein dezentrales erneuerbares Energiesystem stellt den Strommarkt vor konzeptionelle und praktische Herausforderungen, die gelöst werden müssen.

Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände warnen gemeinsam vor der Aufteilung der einheitlichen deutschen Stromgebotszone: Die negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind nicht abzusehen und überlagern etwaige Vorteile. Wir sind überzeugt, es gibt bessere Möglichkeiten, um die Energiewende voranzutreiben, gleichwertige Lebensverhältnisse zu fördern und hochwertige Beschäftigung sicherzustellen.

Der europäische Strommarkt baut auf einem stabilen Fundament auf: dem Handel in sogenannten Stromgebotszonen. Innerhalb dieser Gebotszonen gelten für alle Erzeuger und Verbraucher die gleichen Großhandelspreise. Die deutsche Gebotszone umfasst das gesamte Bundesgebiet. Mit dieser Grundsatzentscheidung leistet der Strommarkt seinen Beitrag zur Wahrung der Wirtschaftseinheit.

Eine wesentliche Voraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft ist Planbarkeit: Erzeuger und Verbraucher müssen nicht nur wissen, was Strom morgen kostet, sondern eine belastbare Erwartung für den Strompreis für die kommenden Jahre haben. Das gilt für Industrieunternehmen genauso wie für Privatkunden, die von ihren Versorgern stabile Tarife erwarten. Um diese Planbarkeit herzustellen, gibt es die Möglichkeit, Strommengen langfristig auf dem Terminmarkt zu handeln und Risiken effektiv zu managen. Demgegenüber steht der kurzfristige Einkauf von Strom am so genannten Spotmarkt. Der deutsche Terminmarkt ist einer der weltweit größten Strommärkte. Seine aufgrund der großen Gebotszone hohe Liquidität war einer der Gründe, warum das Land die Energiepreiskrise 2022 vergleichsweise gut überstanden hat.

Die räumliche Distanz zwischen Verbrauchern und Erzeugern stellt das Netz physisch vor Herausforderungen. In Deutschland liegt ein Großteil der Erneuerbaren Erzeugung im Norden und Osten des Landes, während sich die industriellen Zentren im Süden und Westen befinden. Strom muss also über weite Strecken transportiert werden. Dafür ist ein gut ausgebautes Übertragungsnetz nötig. Aber nicht in jeder Stunde und nicht zu jeder Tageszeit reicht die Kapazität für diesen Ausgleich aus. Teilweise müssen überschüssige Erzeugung abgeregelt und an anderen Orten Kraftwerke hochgefahren werden, um Erzeugung und Verbrauch im Gleichgewicht zu halten. Diesen Vorgang nennt man Redispatch.

Hinzu kommen verstärkende negative Effekte auf Erneuerbare Erzeuger: An sonnigen oder windreichen Tagen mit einem Überangebot an grünem Strom würden die Strompreise in Zonen mit hohem Anteil Erneuerbarer Energien drastisch und sprunghaft fallen. Was zunächst wie ein Vorteil für Verbraucher aussieht, wäre allerdings ein Problem: Zum einen führt diese Unsicherheit zu einem höheren finanziellen Absicherungs- und Förderbedarf. Zum anderen stiegen in Gebieten mit geringeren Erneuerbaren Energiemengen die Strompreise deutlich an. Auch das wäre für Verbraucher äußerst negativ.

Schafft nun eine Aufteilung der deutschen Stromgebotszone wenigstens neue Anreize für die Ansiedlungen von Industriebetrieben in Zonen mit dann vermeintlich niedrigeren Strompreisen? Die meisten bestehenden Produktionsstandorte, mit ihren Netzwerken aus verschiedenen Unternehmen und etablierten Wertschöpfungsketten, lassen sich nicht ohne Weiteres verlagern. Eine Gebotszonenteilung ließe gerade im industriestarken Süd- und Westdeutschland die Strompreise steigen. Industrieunternehmen würden deshalb jedoch keine Standortentscheidung für eine Neuansiedlung bzw. Verlagerung innerhalb Deutschlands treffen. Die Strompreise in Deutschland stellen im internationalen Vergleich schon jetzt einen Standortnachteil dar. Größere Neuinvestitionen würden gleich außerhalb Deutschlands oder Europas getätigt. Dadurch droht ein massiver Verlust an industrieller Wertschöpfung und guten Beschäftigungsverhältnissen am Standort Deutschland.

Auch praktische Argumente sprechen gegen die Aufteilung in Gebotszonen: Die Umsetzung wäre hoch komplex. Eine Teilung kann nicht per Knopfdruck umgesetzt werden, sondern würde mehrere Jahre dauern. Für Marktteilnehmer wie Energieerzeuger oder die Industrie entsteht damit zunächst vor allem eins: erhebliche Unsicherheit statt Planbarkeit. Das führt zu Zurückhaltung statt dringend benötigten Investitionen.

Innerhalb einer verkleinerten Stromgebotszone erhöht sich zudem die Unsicherheit über erwartbare Erlöse bzw. Kosten. Die Folge: Dringend erforderliche Investitionen fallen geringer aus, der Ausbau der Erneuerbaren wird gehemmt.

Wenn wir jetzt riskieren, dass der Ausbau der Erneuerbaren in sich zusammenfällt, die Industrie keine Zukunft mehr sieht und dringende Investitionen verschiebt oder gar das Land verlässt, stehen wir vor weit größeren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen.

Die Fokussierung der Diskussion allein auf die Strompreise am kurzfristigen Spotmarkt greift zu kurz. Der Lösungsraum ist deutlich größer. So können z.B. lokale Anreize außerhalb des Spotmarktes zur Lösung beitragen. Die Herausforderungen im Netz können nachhaltig nur durch physischen Ausbau gelöst werden: Es braucht mehr Speicher, mehr Elektrolyse, mehr Direktbelieferung von Gewerbe und industriellem Mittelstand sowie eine bessere Nutzung der vorhandenen Netzinfrastruktur.

Redispatch kostet Geld; Netzausbau kostet Geld. Aber am Ende schaffen wir einen liquiden Strommarkt in Deutschland, der als Vorbild für die Energiewende dienen kann – im Zusammenspiel mit den verschiedenen erneuerbaren Technologien und den verschiedenen regionalen Gegebenheiten. Mit einem guten Rahmen kann die Realwirtschaft privates Kapital für die ambitionierte Fortsetzung der Energiewende mobilisieren, parallel gute Beschäftigung aufbauen und so mehr Wertschöpfung in Deutschland organisieren. Dafür lohnt es sich, die komplexen Aufgaben anzupacken.