Die Nutzungsrate von EU-Freihandelsabkommen
Die Europäische Kommission hat seit vier Jahren Berichte zur praktischen Anwendung der europäischen Freihandelsabkommen (FHA) veröffentlicht. Diese Implementierungsberichte enthalten Daten zu Nutzungsraten für bestimmte Mitgliedsstaaten, Branchen und Handelspartner. Laut dieser Daten beträgt die durchschnittliche Nutzungsrate der durch die FHA möglichen Zollpräferenzen in der EU 67 Prozent (2021). Das bedeutet, dass bei über drei Viertel des Außenhandels mit den Ländern, mit denen Freihandelsabkommen abgeschlossen wurden, die dort vereinbarten guten Handelskonditionen auch tatsächlich zur Anwendung kommen.
Deutschland, das für 29 Prozent der Extra-EU-Exporte (Eurostat) verantwortlich ist, lag im Jahr 2021 mit einer Nutzungsrate seiner Exporte von 60 Prozent knapp über dem europäischen Durchschnitt. Im EU-Vergleich belegt Deutschland damit Platz 20 neben Ungarn und Lettland. Spanien steht mit einer Nutzungsrate von 77 Prozent deutlich besser da und kam auf Platz 2, wobei es für nur 5,6 Prozent der Extra-EU-Exporte verantwortlich ist. Deutsche Unternehmen haben also großes Potenzial, ihre Exportchancen durch eine intensivere Nutzung der in FHA vereinbarten Präferenzzölle zu verbessern.
Nutzung europäischer Freihandelsabkommen durch deutsche Exporteure
Durch eine aktualisierte umfassende Industrieumfrage und Experteninterviews auf europäischer und deutscher Ebene hat der BDI die größten Herausforderungen deutscher Exporteure bei der Nutzung europäischer Freihandelsabkommen untersucht. Die Ergebnisse bilden über 18 Industriebranchen ab.
Laut der Umfrage sind die fünf wichtigsten Faktoren, die deutsche Exporteure von der Nutzung europäischer Freihandelsabkommen abhalten:
- die hohen Kosten durch die Bürokratie beim Nachweis der in den Exportprodukten verarbeiteten Zulieferteile („Ursprungserbringung“);
- die geringen Zollgewinnmargen (Differenz zwischen dem durch das FTA möglichen Präferenzzoll und dem durch die WTO garantierten Zoll, der auch ohne das FTA gilt; sogenannter MFN-Zollsatz);
- unzureichende interne Kapazitäten, um die FTA-Regeln im Blick zu behalten;
- die unterschiedlichen Regeln in den verschiedenen FHA der EU;
- hohe Haftungsrisiken bei Fehlern in der Ursprungserbringung
Mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Unternehmen benannte FHA, die sie nicht nutzen, obwohl sie mit den Partnerländern des Abkommens Handel betreiben. Außerdem schätzen 87 Prozent der befragten Unternehmen und Verbände, dass die Unternehmen in der jeweils eigenen Branche die Freihandelsabkommen der EU nicht vollständig nutzten.
Verbesserung der Nutzungsrate
Die Nutzung von europäischen Freihandelsabkommen im Warenhandel muss attraktiver gestaltet werden. In zukünftigen Abkommen sollten beispielsweise die Ursprungsregeln vereinfacht und harmonisiert werden. Dadurch könnten Verwaltungskosten reduziert und die Umsetzung der Regeln in IT-Systemen erleichtert werden. Die deutsche Industrie setzt sich für einheitliche, industrieübergreifende Wertschöpfungsregeln ein. Darüber hinaus spricht sich der BDI für eine stärkere Kohärenz produktspezifischer Ursprungsregeln aus. Eine einheitliche europäische IT-Benutzeroberfläche würde den Prozess der Sammlung von Lieferantenerklärungen deutlich vereinfachen.
Freihandelsabkommen wenden bislang das Direktbeförderungsprinzip an. Damit eine Ware mit einem Präferenzzoll versehen werden kann, muss sie direkt von einem Partnerland des Abkommens in das andere geliefert werden. In der Konsequenz kommen Unternehmen, die zentrale Umschlag- und Lagerplätze bei langen Lieferwegen nutzen, häufig nicht in den Genuss von Präferenzzöllen. Die mit dem Direktbeförderungsprinzip und der Nutzung regionaler Hubs verbundenen Probleme können durch innovative Technologien, wie die Standardisierung von Prozessen auf der Grundlage der Blockchain, gelöst werden.
Schließlich sollte die Kommunikationskette zwischen Zollbehörden in Partnerländern und in der EU verbessert werden, um mögliche Probleme und Herausforderungen bei der Warenabfertigung schneller zu identifizieren und zu lösen. Der Privatsektor sollte bereits während des Verhandlungsprozesses einbezogen werden, um potenzielle Probleme bei der Nutzung von Freihandelsabkommen schneller und präziser zu erkennen.