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Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit im freien Fall

Nach einer langen wirtschaftlichen Hochphase geriet der Wachstumsmotor bereits 2017 ins Stottern, also vor der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg. Strukturelle Reformen sind viel zu lange liegen geblieben, Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit ist im freien Fall. Im Ergebnis steht der Standort Deutschland heute unter nie dagewesenem Druck. Diese Strukturkrise trifft auf eine Welt im Umbruch, der unser exportorientiertes Geschäftsmodell unmittelbar betrifft: Russland bedroht Europas Sicherheit, die regelbasierte Weltwirtschaftsordnung erodiert und der internationale Handel wird zunehmend durch geopolitisch motivierte Eingriffe beeinträchtigt.

Ruder mit einer zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik rumreißen

Trotz der schwierigen Ausgangslage bieten sich auch Chancen: Mit einer zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik können wir das Ruder rumreißen und Deutschland wieder zu einem attraktiven Ort für Investitionen machen. Denn weltweit entstehen neue Technologien und Märkte. Täglich beweisen deutsche Unternehmen ihre Innovationsstärke und Anpassungsfähigkeit im internationalen Wettbewerb, wie etwa in den Energietechnologien und der Mobilität bis hin zur forschungsintensiven Gesundheitswirtschaft. Bei aller Sorge um die Zukunft des Standorts: Deutschland kann eine führende Industrienation bleiben, wenn es seine Chancen nutzt.

Das Land zehrt von seiner Substanz

Im Moment allerdings fährt Deutschland auf Verschleiß. Ohne eine neue wirtschaftspolitische Agenda zehrt das Land immer weiter seine Substanz auf – mit spürbaren Wohlstandsverlusten für alle. Nur wenn es in den kommenden Jahren gelingt, durch tiefgreifende Strukturreformen einen neuen Kurs einzuschlagen und durch gestärkte Innovationskraft mehr Investitionen anzuziehen, wird Deutschland den Pfad der schleichenden Deindustrialisierung verlassen können. Die nächste Bundesregierung braucht einen zielgerichteten Neustart, der Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit in einer übergreifenden Agenda in den Fokus des Handelns rückt. Deutschlands politische Stärke hängt mehr denn je von seiner wirtschaftlichen Stärke ab. Das gilt sowohl für die Gestaltungskraft im Inneren als auch für die Handlungsfähigkeit nach Außen. Eine neue wirtschaftspolitische Agenda, die deutlich über den Horizont einer Legislaturperiode hinausreicht und durch nachhaltige strukturelle Reformen Wachstum entfesselt, sorgt auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Wohlstand von morgen.

Dazu muss sich die Wirtschaftspolitik der nächsten Bundesregierung auf folgende grundlegende Prinzipien besinnen:

Vertrauen statt Regeln bis ins Kleinste

Seit Jahren wächst der Berg von kleinteiligen Regelungen und Vorschriften, die unternehmerische Freiheiten einschnüren. Daran sind viele Ebenen beteiligt: Europa erschafft immer komplexere Regelwerke. Berlin legt bei der nationalen Umsetzung stets noch mehr obendrauf. Auch die Länder tragen wenig zur Vereinfachung bei. Die kommende Bundesregierung muss gegensteuern, sie sollte eine neue Kultur des Vertrauens in die Verantwortung von Menschen und Unternehmen schaffen. Ebenso entscheidend sind Planbarkeit und Verlässlichkeit. Nur mit langfristig verlässlichen Rahmenbedingungen entsteht ein Klima, in dem Unternehmen zuversichtlich investieren.

Prioritäten im Haushalt statt Abschaffung der Schuldenbremse

Die staatlichen Haushaltsspielräume werden in den kommenden Jahren begrenzt bleiben. Daher ist eine ehrliche Debatte über staatliche Aufgaben und deren Finanzierung unausweichlich. Klar ist, dass ein besonderes Augenmerk auf der Stärkung der Wachstumskräfte liegen muss, weil nur eine erfolgreiche Wirtschaft die finanziellen Grundlagen des Staates dauerhaft sichern kann. Der jahrelange Investitionsstau erfordert zusätzliche öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Transformation und Resilienz. Die Finanzierung der staatlichen Aufgaben muss dem Dreiklang der folgenden Prinzipien folgen: Effizientere staatliche Mittelverwendung, klare Prioritätensetzung und Strukturreformen und nur für verbleibende Investitionsbedarfe klar eingegrenzte Sondervermögen über einen über eine Legislaturperiode hinausgehenden Zeitraum. Eine Abschaffung der im Grundgesetz verankerten
Schuldenbremse ist weiterhin abzulehnen.

Erfolgreiche Transformation statt schleichender Deindustrialisierung

Die deutsche Industrie treibt den grünen und digitalen Wandel voran, doch die Zeit und die Wettbewerber laufen uns davon. Die kommende Bundesregierung muss sich einer industriepolitischen Agenda verschreiben, mit der die Transformation zum Erfolg wird – sonst droht eine schleichende Deindustrialisierung. Im Kern muss diese Agenda mit dem Dreiklang aus ökologischem Fortschritt, ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit und technologischer Offenheit Ernst machen. Bei grünen und digitalen Technologien kann bis 2030 ein Weltmarkt von jährlich mehr als 15 Billionen Euro entstehen. Deutschland hat vor allem bei Klimatechnologien, industrieller Automatisierung und Gesundheit gute Ausgangschancen. Diesen und den vielen weiteren deutschen Zukunftsbranchen mit Wachstumschancen muss der Weg zu einer erfolgreichen Transformation geebnet werden.