Einstimmigkeit in Steuerfragen für zentrale Bereiche beibehalten
In den meisten europäischen Politikbereichen kommt das ordentliche Gesetzgebungsverfahren zur Anwendung, bei dem Beschlüsse im Rat per qualifiziertem Mehrheitsbeschluss gefasst werden. In einigen aus Sicht der Mitgliedsstaaten sensiblen Politikbereichen, wie beispielsweise dem Steuerrecht, kommt hingegen ein anderer – auch außerordentliches Gesetzgebungsverfahren genannter – Modus zur Anwendung. Dabei gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Demzufolge kann der Rat europäische Richtlinien im Bereich des Steuerrechts nur auf Vorschlag der EU-Kommission und nach Anhörung des EU-Parlaments sowie des Wirtschafts- und Sozialausschusses mittels einstimmigen Beschlusses annehmen.
Steuerrecht tangiert zentrale Wirtschafts- und Lebensbereiche von Bürgern wie Unternehmen
Die Voraussetzung einstimmiger Beschlüsse im Steuerrecht hat gute Gründe, zu denen unter anderem die legitimen Interessen der Mitgliedsstaaten zählen. Eine Abkehr von diesem bewährten Prinzip hätte zur Folge, dass diese übergangen werden könnten. Daher spricht sich der BDI dafür aus, das Einstimmigkeitsprinzip in Steuerfragen grundsätzlich beizubehalten. Immerhin tangiert das Steuerrecht zentrale Wirtschafts- und Lebensbereiche von Bürgern wie Unternehmen. Aktuell können die EU-Mitgliedsstaaten ihr Steuersystem an ihren jeweiligen ökonomischen und sozialen Bedürfnissen anpassen. Dies sollte auch künftig möglich sein. Lediglich in ausgewählten Einzelfällen mag eine Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip in Steuerfragen sinnvoll erscheinen.
Neue Wege für die europäische Steuergesetzgebung
Dennoch wird in der jüngsten Zeit das Einstimmigkeitsprinzip gelegentlich infrage gestellt. Insbesondere die EU-Kommission ist der Ansicht, dass damit u. a. die weitere europäische Integration behindert werde. Um dies zu ändern, sollte das ordentliche Gesetzgebungsverfahren auch auf einzelne Bereiche des Steuerrechts ausgeweitet werden.
Die EU-Kommission hat in der Vergangenheit bereits einen möglichen Lösungsweg skizziert. Dazu hat sie im Januar 2019 eine Mitteilung mit dem Titel „Auf dem Weg zu einer effizienteren und demokratischeren Beschlussfassung in der EU-Steuerpolitik“ veröffentlicht. Darin ist ein Fahrplan für einen vierstufigen Übergang hin zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren enthalten. Dieses würde demnach zunächst nur auf ausgewählte Teile des Steuerrechts angewendet werden. Erst im Anschluss sollte der Anwendungsbereich schrittweise auf weitere Bereiche des Steuerrechts ausgedehnt werden.
Viele Hürden für neues Verfahren
Die EU-Kommission verspricht sich von diesem mehrstufigen Übergang bessere Erfolgsaussichten. Dieser Weg geht allerdings nur mit hohen Hürden einher: Erforderlich sind nicht nur die Initiative und ein einstimmiger Beschluss der EU-Mitgliedsstaaten im Rat, sondern auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Letztes Hindernis ist darüber hinaus noch die passive Zustimmung der nationalen Parlamente.
Darüber hinaus kennen die europäischen Verträge noch zwei weitere Bestimmungen, die für einen Übergang zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Anwendung finden können: Voraussetzung dafür wären etwa Wettbewerbsverzerrungen (Art. 116 AEUV), die auf Unterschiede in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten zurückzuführen sind. Dieser Weg ist allerdings mit hohen vertraglichen Hürden verbunden und in Ermangelung der bis dato nicht definierten Form der „Wettbewerbsverzerrung“ noch nie zur Anwendung gekommen. Eine weitere Vertragsvorschrift, Art. 192 Abs. 2 AUEV, zielt auf steuerrechtliche Regelungen im Umweltbereich ab. Für die Änderung des Entscheidungsverfahrens ist ein einstimmiger Beschluss des Rates erforderlich.
Nicht nur aufgrund dieser Hürden sollte eine unmittelbare Beteiligung der Mitgliedsstaaten bei steuerrechtlichen Entscheidungen auf europäischer Ebene weiterhin möglich sein. Die Befürworter einer Änderung des Entscheidungsverfahrens führen zwar einen dadurch besser funktionierenden Binnenmarkt ins Feld. Die weitere Harmonisierung des europäischen Steuerrechts unter Beibehaltung der Mitwirkungsrechte aller Mitgliedsstaaten wäre allerdings der bessere Weg, um dieses Ziel zu erreichen.