Energiekrise und Klimaneutralität: Industrie steht zu Klimazielen
Wo stehen wir in der Klima- und Energiepolitik? Was hat sich seit letztem Jahr verändert?
Die Unternehmen sind derzeit vor allem mit akuter Krisenbewältigung beschäftigt, die das Tagesgeschäft überlagert. Eine aktuelle Umfrage unter 600 mittelständischen Betrieben verdeutlicht die Schwere der Krise: Ein Drittel der befragten KMUs sieht die aktuellen Energiepreise als existenzielle Herausforderung. Doch Krieg und Energiekrise führen nicht dazu, dass der Klimawandel verschwindet. Im Gegenteil: Dieses Jahr gab es wieder einen zu warmen und viel zu trockenen Sommer in Europa. Dadurch wurde auch weniger Energie durch Wasserkraft und Wind erzeugt. Der Klimawandel schreitet spürbar voran. Deshalb muss Klimaschutz unverändert eine Top-Priorität haben.
Die Industrie steht weiterhin zu den Klimazielen für 2030 und 2045. Viele Unternehmen haben bereits massiv in die klimaneutrale Transformation investiert. Dieser Pfad ist unumkehrbar. In Zeiten von Krieg und Krise kann es dennoch kein „Weiter So“ in der Energie- und Klimapolitik geben. Unsere bisherigen Planungen waren zu sehr „Schönwetterpolitik“. Die Maßnahmen waren nicht wetterfest für außenpolitisch herausfordernde Zeiten. Plötzlich bedroht die Energiekrise ganze Industriezweige und Wertschöpfungsketten in Deutschland. Blackouts und die Ausrufung der Gas-Notfallstufe erscheinen als reale Gefahr. Für die Energie- und Klimapolitik heißt das: Nur wenn unsere Industrie intakt durch die Krise kommt, kann Deutschland weiter treibende Kraft, Innovator und Investor beim Klimaschutz sein. Es muss daher um beides gehen: Um die Bewältigung der Energiekrise – ohne Schaden für die Industrie – und gleichermaßen um eine Intensivierung des Klimaschutzes.
Wie schlimm ist die Lage für Unternehmen?
Bei den Unternehmen herrscht allerhöchste Not. Die Gas- und Strompreise haben sich im Vergleich zu dem Durchschnitt der letzten Dekade mehr als verzehnfacht. Damit treffen die hohen Preise nicht nur die energieintensiven Betriebe, sondern die Industrie in ihrer ganzen Breite. Bei einer Verzehnfachung der Energiekosten müssen auch Betriebe um ihre Existenz bangen, bei denen Energie bisher nur einen kleinen Teil der Kosten ausmachte. Gefährlich ist dabei auch, dass sich die Preisschere insbesondere zu den USA immer weiter öffnet, was zu massiven Wettbewerbsnachteilen führt und eine schleichende Abwanderung und Betriebsschließungen beschleunigen kann. Das gilt inzwischen nicht mehr nur für Großkonzerne. Auch standorttreue Familienunternehmer, die seit Generationen erfolgreich in Deutschland produzieren, denken angesichts der explodierenden Energiekosten erstmals über Abwanderung nach – weil sie es sich nicht mehr leisten können in Deutschland zu produzieren.
Worauf kommt es jetzt in der Energiekrise an?
Zunächst brauchen wir sehr rasche Maßnahmen, damit die Unternehmen durch die Krise kommen. Diese Krisenmaßnahmen müssen für gesamte Dauer der Energiekrise gelten. Nicht nur für wenige Monate, sondern mindestens für zwei Jahre. Nur so können die Unternehmen planen – und nur so helfen die Maßnahmen wirklich.
- Strom billiger machen: Die jetzigen Preise sind für viele Unternehmen nicht mehr tragbar. Der Weg in die Klimaneutralität führt häufig über Elektrifizierung. Bei den aktuellen Preisen ist dieser Weg verbaut. Damit Strom billiger wird, muss der Energiesteuer-Spitzenausgleich um mehr als ein Jahr verlängert werden. Es braucht rasch eine staatliche Ko-Finanzierung der explodierenden Übertragungsnetzentgelte. Alle Kraftwerke, die zur Verfügung stehen, müssen wieder ans Netz, um das Angebot zu vergrößern. Unsere europäischen Nachbarn verstehen nicht, warum sie uns im Notfall helfen sollen, wenn wir mitten in der Krise unsere Stromproduktion runterfahren.
- Brennstoffwechsel ermöglichen: Brennstoffwechsel vom Gas auf andere Energieträger wie Öl müssen schnell und unkompliziert möglich sein. Alle rechtlichen Hemmnisse sind rasch aus dem Weg zu räumen.
- Unternehmen entlasten: Wenn sich die Politik für eine Abschöpfung von Zufallsgewinnen entschließt, sollte diese den Privathaushalten und der Wirtschaft zu Gute kommen. Denn beide leiden gleichermaßen unter den hohen Energiepreisen.
Worauf kommt es nun an, um die Klimaziele zu erreichen?
Der Weg in die Klimaneutralität bleibt eine gesamtgesellschaftliche Mammutaufgabe. Für die Transformation sind hohe Investitionen erforderlich, die Unternehmen, Privathaushalte und Staat gemeinsam aufbringen müssen. Diese Transformationsmaßnahmen helfen dabei, um bei den Klimazielen auf Kurs zu kommen:
- Infrastruktur ausbauen: Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netze muss massiv beschleunigt werden. Dieser Infrastruktur-Turbo braucht insbesondere eine Revolution bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren. Die Verkehrsinfrastruktur muss mit starkem Fokus auf Schiene, Binnenwasserstraßen sowie Lade- und TankInfrastruktur ausgebaut werden.
- Wasserstoff fördern: Die Rahmenbedingungen für Wasserstoff müssen so gesetzt werden, dass schnell ein Hochlauf im industriellen Maßstab beginnen kann. Zu einschränkende Bedingungen würgen die H2-Revolution ab, bevor sie begonnen hat.
- Klimaschutzverträge aufsetzen: Für die Transformation der Industrie sind häufig die hohen Betriebskosten klimaneutraler Lösungen ein Hemmnis. Um hier entscheidend voranzukommen, braucht es Klimaschutzverträge (Contracts for Difference), die die hohen Betriebskosten abfedern.
- Gebäudesanierung verlässlich fördern: Im Gebäudesektor kommt es auf eine langfristige und verlässliche Förderkulisse bei der energetischen Sanierung sowie klare Effizienzanforderungen für Gebäude an.
- Zirkular wirtschaften: Die Kreislaufwirtschaft sollte erheblich mehr Gewicht bekommen. Zirkuläres Wirtschaften muss in der Breite etabliert werden, vom Produktdesign über Produktion und Nutzung bis zur Verwertung.
Wir müssen unsere Wirtschaft und Gesellschaft resilient und wetterfest machen. Nur wenn das gelingt, halten wir Investitionen und Industrie-Arbeitsplätze in Deutschland und können auch weiter Motor und Innovator für die Transformation bleiben.