Energiepreise gefährden die Stabilität unserer Lieferketten
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat eine Zeitenwende ausgelöst. Wie wirkt sich das auf Ihr Unternehmen aus und wie reagieren Sie?
Unser Familienunternehmen besteht seit fast 200 Jahren. In der Unternehmensleitung übernimmt gerade die 7. Generation die Verantwortung. Ich kann mich nicht erinnern, vor so vielen – auch ethischen – Herausforderungen gleichzeitig gestanden zu haben. Auch die Unsicherheiten und Spannungen in unseren Wertschöpfungsverbünden und Lieferketten sind aktuell sehr hoch. Bisher können wir gestiegene Preise weitergeben. Durch die Preisexplosion sinkt die Nachfrage nach unseren Produkten und Kosten steigen weiter. Damit kann die Lage schnell schwierig werden.
Uns hilft aktuell, dass wir in den letzten Jahren Risiken und Chancen gestreut haben. Mit Blick auf nachhaltigen Geschäftserfolg haben wir Lieferketten diversifiziert und das Geld möglichst beieinander gehalten. Zudem sind wir international aufgestellt. Das hilft jetzt, alle betrieblichen Möglichkeiten zu nutzen, damit wir die Beschäftigung unserer rund 2.500 Mitarbeitenden in Deutschland und weltweit sichern.
Zudem sind wir schon länger dabei, alle Prozesse – vom Einkauf über Produktion bis zum Vertrieb – ressourcenschonend und energieeffizient zu gestalten. Nicht vermeidbare Produktionsabfälle führen wir der Wertstoffkette zu und verwerten sie weiter. Zur vollständigen Klimaneutralität brauchen wir grünen Wasserstoff und grünen Strom in ausreichenden Mengen. Auch wenn eine umfassende Wasserstoffversorgung an unseren Standorten noch nicht absehbar ist, haben wir uns technisch bereits auf eine mögliche Umstellung vorbereitet und möchten diese Technologie in Deutschland entwickeln und vorantreiben.
In Krisenzeiten hilft uns auch das Zusammengehörigkeitsgefühl mit unseren Beschäftigten, die wir sehr wertschätzen. Wir pflegen einen offenen, fairen und kollegialen Umgang im Unternehmen, der uns gerade in schwierigen und herausfordernden Situationen konstruktiv zusammenarbeiten lässt – klassisch mittelständisch eben.
Wie schätzen Sie insgesamt die Lage im industriellen Mittelstand ein?
Eine aktuelle BDI-Blitzumfrage zeichnet dazu ein düsteres Bild: Mehr als 90 Prozent der Unternehmen geben an, dass die aktuelle Lage sie stark (58 Prozent) oder existenziell (34 Prozent) herausfordert. Gerade die existenzielle Bedrohung ist seit Februar 2022 um 11 Prozentpunkte gestiegen. Die Entwicklung macht Sorgen für den Standort Deutschland, kommt aber nicht ganz überraschend. Die Herausforderungen stellen sich für uns täglich neu.
Unternehmen müssen gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten, angespannten Lieferketten, dem Fachkräftemangel, noch immer wirksamen Corona-Effekten in der Belegschaft, der digitalen und ökologischen Transformation sowie mangelhaften Infrastrukturen in ländlichen Räumen gleichzeitig begegnen. Die Mischung ist toxisch und kann zu dramatische Folgen führen. Gerade die vielen kleinen Betriebe haben keine Option, neue Standorte im Ausland zu suchen. Aber wer kann, schaut sich nach Alternativen um. Der Standort steht im Stresstest. Das sollte auch die Politik wissen.
Fühlen Sie sich in der Krise von der Politik gehört und verstanden?
Mittelständler setzen auf unternehmerische Lösungen und eigene Mittel. Sie brauchen unternehmerische Unabhängigkeit und wollen sie behalten. Wenn aber im akuten Krisenfall Liquidität und Solvenz bedroht sind, müssen gezielte politische Entlastungsmaßnahmen her. Die fehlen bisher. Es gilt, weitere wirtschaftliche und soziale Verwerfungen zu verhindern.
Dabei darf der ordnungspolitische Rahmen – offener Markt und fairer Wettbewerb – nicht beschädigt werden. BDI-Präsident Siegfried Russwurm hat Recht, wenn er sagt: „Wir können mit allen Steuergeldern es nicht schaffen, diese Kostenlawine hinten auszugleichen, wenn die Kosten schon entstanden sind.“ Die hohen Gas- und Strompreise sind Hauptursache für aktuelle Betriebsschließungen oder Produktionsunterbrechungen. Hier muss schnell angepackt werden. Energie muss billiger werden, etwa indem Steuern und Abgaben reduziert und alle verfügbaren Stromproduktionsquellen genutzt werden.
Welche Maßnahmen würden Sie zusätzlich entlasten?
Die Politik sollte in aller Krisenbewältigung nicht den Blick nach vorn verlieren und den Standort wieder auf Vordermann bringen. Schon seit drei Jahren werbe ich dafür, dass die Politik in Europa, Bund und Ländern auf sieben Handlungsfeldern „Mehr Mittelstand wagen“ sollte. Die Forderungen sind bekannt – sie stehen in neuer Aktualität auf der politischen Tagesordnung.
Als Top-Priorität ergibt die aktuelle BDI-Umfrage wenig überraschend „Energiekosten begrenzen“ (64 Prozent). Dahinter folgen „Bürokratie abbauen und besseres Recht setzen“ sowie „Fachkräftemangel begegnen“ (je 58 Prozent). Gerade entschlossener Bürokratieabbau inklusive schneller Genehmigungsverfahren könnte dringend benötigte Ressourcen in Unternehmen freisetzen, ohne die öffentlichen Haushalte zusätzlich zu belasten. Wenn nicht jetzt die Zeit dafür ist, wann dann? Übrigens sollten auch Förderprogramme so aufgelegt sein, dass der Mittelstand sie ohne große bürokratische Hürden nutzen kann.
Sie schreiben der Politik allerhand ins Pflichtenheft. Sehen Sie Verantwortung auch in der Wirtschaft selber?
Natürlich müssen Unternehmen klar Verantwortung übernehmen als Geschäftspartner, Zulieferer und Kunde. Solidarität über Größen, Branchen und Regionen hinweg hilft weiter.
Unternehmen dürfen nicht nur auf die Politik warten, sondern müssen auch vor der eigenen Türe kehren. Zu hören ist schon seit längerem, dass Unternehmen Zahlungsziele strecken, Finanzierungssysteme hinterfragen oder begonnene Neuprojekte verzögern. Das sind alles Verhaltensweisen, die für mittelständische Familienunternehmen schnell existenzielle Fragen aufwerfen können. Rund 90 Prozent der Unternehmen bewerten die Zusammenarbeit im Wertschöpfungsverbund aktuell als angespannt.
Auch hier schlummert also Potenzial zur Unterstützung in der Krise: Fairness üben und sich auf erfolgreiche Zusammenarbeit als ehrbare Kaufleute besinnen – das können wir ganz ohne staatliches Zutun. Am Ende sind wir nur gemeinsam wettbewerbsfähig auf den internationalen Märkten. Das galt vor der Krise, das gilt auch in der Krise.