Baum neben der Straße

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EU-Klimapolitik 2023: Von Energiekrisenmaßnahmen zu strukturellen Reformen

Energie war für die Europäische Union (EU) das beherrschende Thema im Krisenjahr 2022: Acht Mal tagte der Energieministerrat, drei Energienotfallpaketen verabschiedete er. Für 2023 stehen in der EU grundsätzliche strukturelle Reformen an, von der Finalisierung der Fit-for-55 Gesetzgebungspakete, über die Reform des EU-Strommarktdesigns hin zum Green Deal Industrial Act als europäische Antwort auf den US-Inflation Reduction Act (IRA).

In weniger als einem Jahr hat Europa seine Abhängigkeit von russischen Energieimporten drastisch reduziert: Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben rund 80 Prozent des russischen Pipelinegases durch andere Importe ersetzt, alternative Lieferwege aufgebaut und neue REPowerEU-Energiepartnerschaften geschlossen. Die Gasspeicher sind auf Rekordniveau befüllt. Deutschland konnte seine russischen Erdgasimporte, die sich im September 2021 noch auf rund 50 Prozent beliefen, sogar auf null setzen und einen derzeit 90-prozentigen Füllstand seiner Gasspeicher sicherstellen. 

Im Dezember 2022 verständigten sich die europäischen Energieminister auf das dritte Energie-Notfallpaket.  Zentrale Maßnahmen sind die Stärkung der Solidarität durch eine bessere Koordinierung der Gasbeschaffung und des grenzüberschreitenden Gashandels in der EU. Neben zuverlässigen Referenzpreisen einigten sich die Minister  nach zähem Ringen auch auf einen Marktkorrekturmechanismus, um Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft vor übermäßig hohen Gaspreisen zu schützen.

Gaspreisdeckel lösen jedoch keine Versorgungskrise. Sie riskieren vielmehr grundsätzlich die Versorgungssicherheit in Europa, denn Gas fließt in die Länder und Regionen, die bereit sind, die aufgerufenen Knappheitspreise zu zahlen.

Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA kommt in ihrem Zwischenbericht vom Januar 2023 zu dem Schluss, dass die EU-Gaspreisobergrenze zu starken Veränderungen auf den Finanzmärkten führen und den Handel von den Börsen vertreiben könnte. Auch die EU-Energieregulierungsbehörde ACER unterstreicht die Risiken der Maßnahme: Größere Preisspannen zwischen den Handelsplätzen oder eine Verlagerung von Handelsaktivitäten in den privaten Handel und außerhalb der EU könnten die Folge sein.

Energiesouveränität und Klimaziele: Ist die EU-Strommarktreform die Lösung?

Der Europäische Rat hat die Kommission aufgefordert, zügig an einer Strukturreform des Strommarktes zu arbeiten. Die Ziele: europäische Energiesouveränität und Klimaneutralität. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die geplante Reform der Strommarktgestaltung bereits 2022  in ihrer jährlichen Rede zur Lage der Union angekündigt und in das Arbeitsprogramm der Kommission für 2023 aufgenommen. Ende März soll der Kommissionsvorschlag folgen.

Grundsätzlich lässt sich die Sinnhaftigkeit hinterfragen, aus dem Krisenmodus heraus ein System zu reformieren, das an sich gut funktioniert. Vielmehr muss die Reform längerfristige Investitionssicherheit für alternative Technologien schaffen und industrielle Verbraucher zuverlässig vor Preisspitzen schützen. Der BDI hält eine Verstetigung des Krisenwerkzeugs „Gewinnabschöpfung über Erlösobergrenzen“ für den falschen Weg. Vielversprechender sind alternative Konzepte, wie etwa Klimaschutzverträge, langfristige Lieferverträge oder Kapazitätsmärkte, um die Vorteiler grüner Technologien an die Verbraucher zu bringen.

Unabdingbar für eine derart tiefgreifende Reform ist eine umfassende Folgenabschätzung und eine breite, öffentliche Konsultation.  Die kurzfristig Ende Januar anberaumte dreiwöchige Stakeholder-Konsultation kann dabei nur der Anfang sein.

2023 muss das Jahr der Industrie werden

Neben der Strommarktreform stehen in diesem Jahr noch weitere Grundlegende Reformen auf der Agenda: das EU-Klimaschutzpaket „Fitfor55“. Dieser soll in 2023 finalisiert werden und Europa auf den Weg in die Klimaneutralität führen. Die Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren und der dazugehörigen Infrastruktur sowie eine technologieoffene Transformation bleiben dabei für die deutsche Industrie von zentraler Bedeutung. Ebenso müssen Energieeffizienzmaßnahmen weiterhin von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen getragen sein.

Europa habe einen Plan, so die Kommissionspräsidenten von der Leyen auf dem Wirtschaftsforum in Davos, „den Industrieplan im Rahmen des Green Deals“, der Europa auf dem Weg zur Klimaneutralität zur Heimat sauberer Technologien und industrieller Innovationen machen soll. Mit seinen vier Säulen – Regelungsumfeld, Finanzierung, Qualifikationen und Handel – soll der Green Deal Industrial Act auch Brüssels Antwort auf das massive US-Klimaschutzinvestitionsprogramm, den Inflation Reduction Act, werden.

Allem voran aber muss 2023 das Jahr der Industrie werden: Der Übergang zur Klimaneutralität führt bereits jetzt zu enormen industriellen, wirtschaftlichen und geopolitischen Verschiebungen. Damit Europa als klimaneutraler Industriekontinent aus der Krise finden und die dafür notwendigen privaten Investitionen generieren kann, braucht die Industrie mehr denn je verlässliche, investitionsfreundliche Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit.

Dazu gehören aus Sicht des BDI eine weitere Flexibilisierung des bestehenden EU-Beihilferechts, einschließlich Nachbesserungen im EU-Krisenbeihilferahmen TCF. Nur so können die deutschen Energiepreisbremsen ihre volle Wirkung entfalten. Nur so kann die industrielle Transformation und Erneuerung des Industriestandorts Deutschland und Europa gelingen.