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Europa braucht endlich eine kohärente wirtschaftspolitische Agenda

Die EU droht weltweit wirtschaftlich abgehängt zu werden: Internationale Wirtschaftsorganisationen rechnen mit einem Wachstum von knapp fünf Prozent für die EU in 2021. Die USA hingegen können mit sieben Prozent und China mit mehr als acht Prozent rechnen. Nun rächt sich, dass die EU für die andauernde Wirtschaftskrise bisher keine kohärente wirtschaftspolitische Agenda entwickelt hat. Diese Lücke sollte dringend geschlossen werden.

Der Fokus der EU-Institutionen liegt vor allem auf dem Green Deal. Im Mittelpunkt der Diskussion standen klima- und umweltpolitische Visionen und immer ambitioniertere Ziele. Die wirtschaftspolitische Agenda der EU-Kommission „Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen“ erschöpfte sich derweil weitgehend in sozialpolpolitischen Initiativen.

Trotz Corona-Krise: Business as usual in Brüssel

Auf die schwerste Wirtschaftskrise seit Beginn der europäischen Integration hat Brüssel bislang keine wirtschaftspolitische Antwort gefunden. Positiv hervorzuheben ist das milliardenschwere europäische Wiederaufbauprogramm NextGenerationEU. Für die entscheidende regulatorische Agenda gilt jedoch Business as usual. Neben den wichtigen Maßnahmen zur Umsetzung der verschärften EU-Klimaziele für 2030 wird die Kommissionsagenda 2021 unter anderem durch die Pläne für eine nachhaltige Unternehmensführung geprägt. Die Forderungen des Europäischen Parlaments und die Ankündigungen von EU-Justizkommissar Didier Reynders lassen erhebliche zusätzliche Belastungen auch für den Mittelstand erwarten. 

Für eine moderne und mutige Industriestrategie

Im Frühjahr 2021 hat die EU-Kommission einen ersten wichtigen Schritt in Richtung einer ambitionierten Wirtschaftsstrategie gemacht. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie legte die Kommission ein Update ihrer enttäuschenden Industriestrategie von 2020 vor. Die neue Strategie verengt die industriepolitischen Herausforderungen nicht länger auf den Green Deal und adressiert die Industrie in ihrer ganzen Breite – kleinere und mittlere Unternehmen, Mid-Caps sowie börsennotierte Konzerne gleichermaßen. Die Kommission kündigt neue konkrete Initiativen zur Stärkung des Binnenmarktes u. a. im Bereich industrienahe Dienstleistungen an und stellt eine hilfreiche Analyse der strategischen Abhängigkeiten Europas von Drittstaaten vor. Unklar bleibt jedoch, wie die EU-Kommission die Industrie konkret bei der ökologischen Transformation unterstützen will.

Der BDI fordert die EU-Institutionen auf, die Industriestrategie zügig in einen  industriepolitischen Plan mit konkreten Maßnahmen zu gießen. Folgende Initiativen sollte die EU vorrangig auf den Weg bringen:

  • Private Investitionen in klimaschützende Technologien ermöglichen; 
  • Emissionsminderungen im Mobilitätssektor unterstützen;
  • Importstrategie für erneuerbare Energieträger entwickeln;
  • Carbon Leakage-Schutz belastbar klären;
  • Rechts- und Finanzrahmen für wichtige Projekte von besonderem europäischen Interesse (IPCEIs) überarbeiten;
  • Zweites IPCEI zu Mikroelektronik zügig in 2021 starten;
  • Wasserstoff entschlossen fördern;
  • Wettbewerbsrecht überarbeiten;
  • 5G für die Industrie anwendbar machen und 6G mitdenken;
  • Rechtssicherheit bei der Datenschutzgrundverordnung schaffen;
  • und europäisches Plattformökosystem fördern und gemeinsame europäische Datenräume zügig vorantreiben.

Strategie für bessere Rechtsetzung zügig umsetzen

Ende April 2021 präsentierte die EU-Kommission ihre längst überfällige Strategie im Bereich der besseren Rechtsetzung und des Bürokratieabbaus. Bereits im Mai 2020 hätte die Kommission diesbezügliche eine Mitteilung vorlegen sollen.

Der BDI erwartet, dass die EU-Kommission die Strategie nun mit Nachdruck in die Tat umsetzt. Europa muss auf Transparenz, eine evidenzbasierte Folgenabschätzung von Gesetzen und eine breite Beteiligung von Interessenträgern setzen. Gerade bei den Maßnahmen zur Erreichung des 55-Prozent-Klimaziels sollte der Gesetzgeber mit einer evidenzbasierten Rechtsetzung für Akzeptanz bei Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern sorgen.

Beim Bürokratieabbau bleibt die EU-Kommission den großen Wurf schuldig. Die Unternehmen leiden unter der ausufernden Bürokratielast. Eine herbe Enttäuschung ist der angekündigte ‚One-in-One-out‘-Mechanismus. Die Industrie hatte erwartet, dass die Kommission die ‚One-in-one-out‘-Regel auch auf alle bisherigen Legislativvorschläge anwendet, nicht erst ab 2022. Brüssel muss sein Versprechen einlösen und für jede zusätzliche Belastung eine bestehende im selben Politikbereich abbauen.

Starkes Europa nur mit starker Industrie möglich

Die EU-Kommission hat sich rund eineinhalb Jahre Zeit gelassen, um mit dem Update ihrer Industriestrategie und ihrem Papier zur besseren Rechtsetzung erste Ansätze einer Wirtschaftsstrategie zu skizzieren. Entscheidend ist, dass die Kommission bei der Umsetzung ihrer Strategien nun deutlich entschlossener und zügiger voranschreitet. Denn die Zukunft Europas ist eng mit der Zukunft der Industrie verknüpft. Eine starke und innovative Industrielandschaft ist Voraussetzung dafür, dass Europa globale Zukunftsthemen wie den Klimawandel oder die Digitalisierung, mit eigenen Technologien und Konzepten auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten und China mitgestalten kann. Ein starkes Europa wird es nur mit einer starken Industrie geben.