Europa im Krisenmodus: Wie bewältigen wir Energiekrise und den Klimawandel?
Preise für Energie und Rohstoffe auf Rekordniveau setzen der Substanz der europäischen Industrie weiterhin dramatisch zu. Damit die Unternehmen durch die Krise kommen, müssen dringend Hebel wie angebotssteigernde Maßnahmen („jede Kilowattstunde zählt“), deutlich vergünstigte Strompreise, verbessertes Nachfragemanagement oder beschleunigter Brennstoffwechsel in Bewegung gesetzt werden.
Auf europäischer Ebene stellte Kommissionspräsidentin von der Leyen im Rahmen ihrer Rede zur Lage der Union die Eckpunkte einer zweiten EU-Notfallverordnung vor, die im Oktober 2022 endgültig verabschiedet wurde. Sie beinhaltet die Einführung einer Erlösobergrenze von 180 Euro pro Megawattstunde Strom, eines Solidaritätsbeitrages von fossilen Brennstoff- und Raffinerieunternehmen und von Maßnahmen zur Senkung des Bruttostromverbrauchs während der Spitzenlastzeiten. Nunmehr ringt Europa um die konkrete Ausgestaltung weiterer Kriseninterventionen. Der Kommissionsvorschlag für ein drittes Notfallpaket für mehr gemeinsame Gaseinkäufe, mehr Solidarität und mehr Gaseinsparungen steht im Rat zur Diskussion, und auf nationaler Ebene hat die ExpertInnen-Kommission für Gas und Wärme ihren Zwischenbericht zur Einführung einer Gaspreisbremse vorgestellt.
Die Industrie temporär zu entlasten ist in der Tat zur kurzfristigen Überlebensfrage geworden. Darüber hinaus geht es jedoch um nicht weniger als die zukünftige Investitionsfähigkeit und globale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie.
Industrie hält trotz Energiekrise an ehrgeizigen Klimaschutzzielen fest
„Auch wenn die Energiekrise so ernst ist, dass es in den kommenden Wochen um nichts weniger geht, als das Überleben der Industrie in Deutschland und Europa zu sichern: Klimaschutz muss hohe Priorität behalten.“ Das sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm auf dem Klimakongress des BDI im September 2022 in Berlin. „In der Klimapolitik dürfe jetzt nicht die Pausentaste gedrückt werden.“
Fit-for-55: Als klimaneutraler Industriekontinent Wege aus der Krise finden
Die neuen geo- und energiepolitischen Realitäten bestätigen einmal mehr die Notwendigkeit einer technologieoffenen Transformation aller Sektoren und einer drastischen Beschleunigung des Übergangs zu sauberer Energie. Dabei darf die Dekarbonisierung nicht zur Deindustrialisierung führen. Sie muss zur Erneuerung des Industriestandorts Europa beitragen und den Weg aus der Krise über die globale Zukunfts-, Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrie ebnen.
Im Juni 2022 haben das Europäische Parlament und der Rat ihre Verhandlungspositionen zu den ersten Maßnahmen des Fit-for-55 Pakets der Europäischen Kommission vom Juli 2021 festgelegt. Der BDI spricht folgende prioritäre Kernempfehlungen für die Trilogverhandlungen aus:
- ETS1: Eine vorwärts gewandte Reform ohne Überlastung der Betroffenen durchführen
- CO2-Grenzausgleichsmechanismus: Anwendungsbereich begrenzen, CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) diplomatisch flankieren und offene Fragen lösen
- EU-ETS Aviation: Den innereuropäischen Geltungsbereich beibehalten und Nicht-CO2-Emissionen ohne pauschalen Faktor ausschließen
- ETS2: Einführung eines neuen ETS für Straßenverkehr und Gebäude unterstützen
- CO2-Flottenregulierung: Technologieoffenen Antriebswechsel sicherstellen und durch Lade- und Tankinfrastrukturaufbau flankieren
- ReFuelEU Aviation: Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Luftverkehrs sichern
- Konsistente Verzahnung mit den weiteren Fit-for-55-Dossiers und REPowerEU-Maßnahmen zu einem schlüssigen Gesamtprogramm sicherstellen
Pragmatische Strombezugskriterien für erneuerbaren Wasserstoff
Ein schneller Hochlauf einer europäischen Wasserstoffwirtschaft ist neben dem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien die Grundlage zur Erreichung der klima-, industrie- und energiepolitischen Ziele der EU.
Auch vor dem Hintergrund der dramatischen Situation in der Ukraine und den damit verbundenen Unsicherheiten hinsichtlich der europäischen Versorgungssicherheit ist es elementar, dass erneuerbarer Wasserstoff möglichst schnell, in möglichst großen Mengen und möglichst günstig zur Verfügung steht.
Auf EU-Ebene formulierte die Europäische Kommission daher mit dem REPowerEU-Paket im Mai erst ein neues, ambitioniertes Wasserstoffziel, bis 2030 zehn Mio. Tonnen erneuerbaren Wasserstoff in der EU zu produzieren. Nun gilt es, ausreichend pragmatische Strombezugskriterien für erneuerbaren Wasserstoff festzulegen, wie vom Europäischen Parlament im Bericht zur Überarbeitung der Erneuerbaren Energien Richtlinie (REDIII) vorgeschlagen. Im Sinne eines schnellen Wasserstoffhochlaufs sollte die deutsche Bundesregierung dieses Vorhaben im Rat der EU nun unterstützen.