Europäische Union im Wettbewerb mit China stärken
Lange sah es so aus, als bewege sich China durch die Integration in globale Handelsstrukturen allmählich auf das „Erfolgsmodell Marktwirtschaft“ zu. In den letzten Jahren wurde jedoch deutlich, dass China vielmehr sein eigenes, staatsgeprägtes Wirtschaftsmodell festigt. Chinesische Unternehmen agieren zunehmend auf globalen Märkten und machen das Land immer mehr zu einer globalen Gestaltungsmacht. Damit erlangt das chinesische Modell weit über Chinas eigene Märkte hinaus Bedeutung. Zwischen Chinas staatlich gelenkter „Hybridökonomie“ und dem Modell der liberalen, offenen und sozialen Marktwirtschaft ist eine Situation des Wettbewerbs der Wirtschaftssysteme entstanden.
China bleibt Treiber der Weltwirtschaft
China ist und bleibt für die deutsche Industrie ein wesentlicher Absatz- und Beschaffungsmarkt. Mit einem deutsch-chinesischen Handelsvolumen von 245 Milliarden Euro im Jahr 2021 ist China bereits das sechste Jahr in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner. Die enge Wirtschaftspartnerschaft behält damit ihren hohen Stellenwert. Trotz der Chancen des wirtschaftlichen Austausches mit China, dürfen die langfristigen Herausforderungen jedoch nicht ausgeblendet werden.
Innovationskraft der EU stärken
Um China zukünftig auf Augenhöhe begegnen zu können, müssen Deutschland und die EU deutlich mehr in Forschung, Entwicklung, Bildung, Infrastruktur und Zukunftstechnologien investieren. Um den Standort Europa und seine Unternehmen zu stärken, braucht die EU eine ehrgeizige Industriepolitik, die Innovation, intelligente Regulierung, Sozialpartnerschaft, Infrastruktur und Freihandel zum Ziel hat.
Instrumente zur Sicherung der marktwirtschaftlichen Ordnung schärfen
Wettbewerbsinstrumente sollen gleiche Wettbewerbsbedingungen für die in der EU ansässigen Hersteller und Importeure sicherstellen. Die deutsche Industrie braucht effektive und ausgewogene Instrumente, um die marktwirtschaftliche Ordnung widerstandsfähiger zu machen. Diese müssen die Auswirkungen marktverzerrender Praktiken und gezielter staatlicher Förderung, die sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen auswirken, zumindest im EU-Binnenmarkt minimieren. Die deutsche Industrie will keine Instrumente, die sich gegen China richten. Sie müssen nach klaren Prinzipien gestaltet sein und sich gleichermaßen gegen alle Akteure richten, die in unserem Markt nicht nach marktwirtschaftlichen Regeln spielen. Im Mai 2021 wurde ein wichtiger Schritt gemacht, um ein neues Anti-Subventionsinstrument auf den Weg zu bringen. Die Europäische Kommission hat einen Entwurf für die Kontrolle von Dritt-Staat-Subventionen vorgelegt. Mit diesem Instrument sollen staatlich finanzierte Übernahmen europäischer Technologieunternehmen besser kontrolliert und notfalls verhindert werden. Außerdem können mit seiner Hilfe Dumping-Preise ausländischer Anbieter bei Vergaben in der EU auf Subventionen untersucht werden. Der Vorschlag der Kommission ist ein Schritt in die richtige Richtung. Im weiteren Gesetzgebungsprozess in Rat und Parlament sollte besonders auf die richtige Balance zwischen effektivem Schutz vor unfairen Subventionen und der Offenheit des EU-Marktes geachtet werden.
Wirtschaftspolitischen Rahmen für den Europäischen Binnenmarkt stärken
Der Europäische Binnenmarkt soll auch Unternehmen aus nicht-marktwirtschaftlichen Ländern an die liberale marktwirtschaftliche Ordnung der EU binden, wenn diese in der EU aktiv sein wollen. Die EU sollte nicht nur nach innen die Bedeutung und bindende Wirkung ihrer Ordnung und Werte verdeutlichen, sondern sie auch offensiv nach außen vertreten.
Für diese offensivere Position wird das International Procurement Instrument (IPI) ein wichtiger Baustein sein. Mit seiner Hilfe soll es der EU künftig möglich werden, ein level-playing-field im Zugang zu staatlichen Ausschreibungen herzustellen. Wenn Drittstaaten europäische Firmen bei staatlichen Ausschreibungen benachteiligen oder ausschließen, soll das IPI es der EU ermöglichen, ebenfalls mit Preisanpassungen oder sogar Ausschluss von Firmen aus diesen Staaten bei europäischen Vergabeverfahren zu reagieren. Im März 2022 konnten Unterhändler der Mitgliedsstaaten, der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments eine Einigung über die Ausgestaltung des IPIs erzielen.
Einen noch breiteren Fokus soll das EU Anti-Coercion Instrument bekommen, das die Kommission im Dezember 2021 vorgeschlagen hat. Mit seiner Hilfe will die EU künftig gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen durch Drittstaaten gewappnet sein. Es richtet sich u. a. gegen einen möglichen Boykott von EU-Waren und illegitime Maßnahmen gegen EU-Firmen im Ausland. Vorhandene Instrumente, wie die WTO-Streitschlichtung, sollen genutzt werden. Das Instrument sieht zunächst Verhandlungen mit dem Drittstaat vor, als weitergehende Maßnahmen aber auch Strafzölle oder sogar komplette Importbeschränkungen aus dem Drittstaat oder andere Beschränkungen für den Zugang des Drittstaats zum EU-Binnenmarkt. Die Ratifizierung des Europäischen Parlaments und des Rats der Europäischen Union steht noch aus.
Internationale Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern fördern
Deutschland und die EU müssen sich noch aktiver mit anderen liberalen marktwirtschaftlichen Staaten abstimmen. Statt individuell nach Antworten zu suchen, sollten sich die Bundesregierung und die EU-Kommission für ein koordiniertes Vorgehen einsetzen. Die EU muss ihr außenpolitisches Profil in der Welt stärken und sowohl auf diplomatische Mittel als auch auf informellen Austausch setzen. Auch mit den USA sollte weiterhin eine Abstimmung in China-bezogenen Fragen angestrebt werden. Die USA bleiben geopolitisch der wichtigste Partner für die EU, obwohl auch unter der Biden-Präsidentschaft nicht alle handelspolitischen Differenzen der Trump-Ära beigelegt werden konnten. Wichtig ist, dass die EU in dieser Partnerschaft für ihre eigenen Interessen eintritt. Die deutsche Industrie will beides: Chancen in der Zusammenarbeit mit China nutzen und negative Auswirkungen im Wettbewerb mit staatlich gelenkten Ökonomien verhindern. Bundesregierung und EU-Institutionen sind gefordert, hier die richtige Balance zu finden.