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Extremszenario: Deutschland in einer sich auflösenden Europäischen Union
Der Weg in das Szenario: Treiber und Weichenstellungen
Zunehmende Dysfunktionalität der europäischen Institutionen durch gezielte Blockadepolitik einzelner Mitgliedstaaten
- Reformbemühungen scheitern, Eskalation politischer Konflikte mündet in Aufhebung der EU-Verträge; der Euro als gemeinsame Währung ist Geschichte
- Neuorientierung von Politik und Unternehmen unter extrem schwierigen Rahmenbedingungen
Szenariowelt 2030
Infolge des steigenden Einflusses euroskeptischer Parteien in den EU-Mitgliedstaaten kommt es vermehrt zu nationalen Alleingängen. Gerichtsurteile des EuGH zur Eindämmung des Verhaltens werden von den entsprechenden Nationalstaaten scharf zurückgewiesen. Die EU-Institutionen agieren zunehmend dysfunktional, heftige Wortgefechte zwischen den Regierungen sind die neue Normalität. Befeuert werden die Auseinandersetzungen durch gezielte Fake News in sozialen Medien, hinter denen die Geheimdienste Regierungen aus Nicht-EU-Drittländern vermuten. Einige EU-Staaten beginnen sogar mit zuvor undenkbaren militärischen Drohgebärden untereinander. Um in dieser aufgeladenen Atmosphäre eine weitere Eskalation zu verhindern, schlägt die EU-Kommission die Aufhebung der EU-Verträge und eine geordnete Auflösung der Europäischen Union und des Euro vor. Dieser Vorschlag wird einstimmig im Europäischen Rat angenommen.
Turbulenzen nach dem Auflösungsbeschluss
Unmittelbar nach der Abstimmung kommt es jedoch zu Auflösungsturbulenzen, die eine geordnete Abwicklung unmöglich machen. Frankreich führt unilateral den Franc ein, woraufhin die Bundesbank gleichsam über Nacht die D-Mark wieder einführt. Die ruckartig vollzogene Wiedereinführung führt dazu, dass die D-Mark direkt um 30 % teurer ist als die südeuropäischen Nachfolgewährungen des Euro. Wie zuvor bei anderen historischen Auflösungen staatenübergreifender Währungsverbünde (z. B. Österreich-Ungarn, Jugoslawien, Sowjetunion), kommt es auch dieses Mal zu einem starken Absinken der Löhne. Um zu vermeiden, dass Waren in Nachbarländern viel teurer oder günstiger werden, gehen die europäischen Regierungen auch dazu über, eine Vielzahl von neuen Handelsbarrieren und Zöllen einzuführen. Begleitet wird dies vielerorts durch eine Wiederbelebung überwunden geglaubter Ressentiments im öffentlichen Diskurs, die von nationalen Presseorganen und den (sozialen) Medien unterfüttert wird. Die deutsche Wirtschaft gleitet in eine Rezessionsspirale mit Rückgängen von bis zu 15 % des BIP ab. Die Steuereinnahmen brechen ein, die Sozialsysteme werden notdürftig über Staatsanleihen aufrechterhalten. Auf geoökonomischer Ebene findet ein Wettlauf um bilaterale Handelsabkommen, insbesondere über Energielieferungen statt. Hierbei besitzt Deutschland aufgrund seiner relativen Größe mehr Verhandlungsmacht als andere europäische Staaten. Zulieferernetze und komplexe Wertschöpfungsketten, die sich in Europa teils über Jahrzehnte herausgebildet, zunehmend ausdifferenziert und so eine große Spezialisierung einzelner Standorte ermöglicht haben, gehen schlagartig verloren.
Versorgungsprobleme und Proteste
Lieferschwierigkeiten und Versorgungsengpässe, Produktivitätsverluste, abnehmende Servicequalität, sinkender Wettbewerb sowie steigende Lager- und Transportkosten sind die Folge. Die Preise für Waren und Dienstleistungen steigen stark an. Es folgen Massenentlassungen, auch im Mittelstand – wobei es zu einem massiven Vertrauensverlust in Unternehmen und das Unternehmertum als solches kommt. Dies führt zu lautstarken Protesten vor Firmensitzen und Produktionsstätten. Unternehmen aller Größen, Regionen und Branchen sehen sich mit einer massiven Rechtsunsicherheit konfrontiert. Um dem zu begegnen, überführt die Bundesregierung – wie andere europäische Staaten auch – einen Großteil des EU-Regelwerks in nationales Recht, um weiter einen stabilen Ordnungsrahmen zu garantieren.
Schneller Abschied von gewachsenen Standorten in Europa
Viele (exportorientierte) Mittelständler denken über Standortverlagerungen ins außereuropäische Ausland oder gar den Verkauf der in Schieflage geratenen Firma nach, da auch viele Banken durch Kreditausfälle ins Wanken geraten sind. Diese schwierige ökonomische Situation machen sich Investoren aus den USA, Kanada, China, Südkorea oder auch den Golf-Staaten zunutze, um industrielle Mittelständler in Deutschland zu übernehmen. Im Zuge dieser Übernahmen kommt es zu einem Austausch der Gesellschafter- und Führungskreise, wodurch in der Folge häufig auch die spezielle Firmenkultur im deutschen Mittelstand verloren geht.