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Forward to the New: Eine klimaneutrale Industrie?

Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mit dem „European Green Deal“ die Themen Klimaschutz, Ökologie und Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt ihres politischen Programms gerückt. „Für die deutsche Industrie ist Nachhaltigkeit schon lange Handlungsmaßstab. Bei den ‚grünen‘ Technologien sind wir bereits Weltspitze – und das seit Langem.

Der „Green Deal“ der EU-Kommission soll den Plan für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel enthalten, durch den die EU bis 2050 klimaneutral werden soll. Dazu sei ein Investitionsprogramm mit einem Umfang von einer Billion Euro über die nächsten zehn Jahre nötig. Investitionen in Klima- und Umweltschutz setzen jedoch eine wettbewerbsfähige Industrie voraus. Ohne sie gibt es keine innovativen technologischen Lösungen, die für die Bewältigung der großen Aufgaben benötigt wird. „Die EU-Kommission sollte daher darauf achten, dass die Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunftsfähigkeit der Industrie in Europa nicht ausschließlich an den Zielen des ‚Green Deal‘ gemessen werden – sie muss ein Ziel an sich sein. Wesentlich dabei wird die angekündigte Industriestrategie sein“, erklärt Kempf.

Umstellung auf grünen Wasserstoff

Die Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft erfordert massive Investitionen. Kosten entstehen vor allem in der Industrie. Beispielsweise im Stahlsektor oder in der Chemie durch die Umstellung auf grünen Wasserstoff, um Prozessemissionen stark zu reduzieren. Für die Elektrolyse braucht die Industrie grünen Strom. „Wenn Strom aber, wie es in Deutschland der Fall ist, mit 50 Prozent Abgaben und Umlagen belastet ist und zum teuersten Strom Europas zählt, dann stellt das eine beträchtliche Hürde für die Umstellung auf grünen Wasserstoff dar“, sagt Kempf.

Zudem ist die Verfügbarkeit grünen Stroms essenziell. Die Chemie meldet allein schon für sich einen Strombedarf von 628 Terawattstunden an, um 2050 klimaneutral zu werden. Das wäre das Niveau der gesamten heutigen Stromproduktion in Deutschland. Die einheimische Erzeugung von Wind- und Solarenergie wird den künftigen Bedarf nicht decken können – eine international ausgerichtete Wasserstoff-/Power-to-X -Strategie der EU ist dringend notwendig. Dazu hat der BDI Anfang November 2019 Maßnahmen und Instrumente vorgestellt, die für einen erfolgreichen Start einer Nationalen Wasserstoffstrategie aus Sicht der deutschen Industrie erforderlich sind.

Energie- und Klimapolitik der Bundesregierung

Die Bundesregierung greift bei der Energie- und Klimapolitik hingegen reflexartig zu planwirtschaftlichen Reduktionsschemata. Stattdessen, so Kempf, bräuchte man Antworten darauf, auf welchen Pfaden die billionenschweren Investitionen für die Zukunft realisiert werden können, ohne den sozialen Frieden und den Wirtschaftsstandort zu gefährden. So bedarf es mehr politischem Einsatz für Forschung und Entwicklung, Demonstrationsprojekte, Reallabore sowie internationale Standortkooperationen. Außerdem gilt es mehr Akzeptanz für die Speicherung und Nutzung von CO2 zu schaffen, denn nach heutigem Stand ist die Klimaneutralität ohne diese Verfahren gar nicht erreichbar. Es liegt zusätzlich an der Bundesregierung Klimaschutzinvestitionen für CO2-Minderungen im Ausland zu ermöglichen. Dafür braucht es eine entsprechende Initiative auf europäischer Ebene und eine Entscheidung zu einem international geltenden Mechanismus auf der UN-Klimakonferenz (COP25) in Madrid, um die Minderungen national anrechenbar zu machen. Laut BDI-Klimapfade Studie sind Klimaziele bis zu einer Netto-Treibhausgasneutralität erst durch solche internationalen Mechanismen erreichbar.

Es ist an der Zeit, Lösungen mit Rücksicht auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu liefern. Ist diese nicht gegeben fehlt die nötige Kraft für ein „Forward to the New“ und die Klimaneutralität bleibt Wunschvorstellung. In der Praxis heißt das, dass die Bezahlbarkeit der Energiewende endlich in den Fokus der Politik rücken muss.