Französische EU-Ratspräsidentschaft © Pexels/Rosivan Morais

Französische Ratspräsidentschaft: Macrons Fahrplan für Europa

Die französische Ratspräsidentschaft hat begonnen. Mit der Veröffentlichung der Agenda ist klar geworden, wie ambitioniert die Pläne von Präsident Emmanuel Macron für die EU sind. Gleichzeitig drohen eine Reihe von Risikofaktoren, diese politischen Pläne zu durchkreuzen. Was ist vom nächsten halben Jahr zu erwarten?

Anfang Januar 2022 hat Frankreich turnusgemäß für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft angetreten. Bereits vor Veröffentlichung der Agenda war klar, dass diese Ratspräsidentschaft eine besondere werden wird. Neben der Virusvariante Omikron und der neuen Bundesregierung fallen die französischen Präsidenten- und Parlamentswahlen in das anstehende Halbjahr. In Brüssel gibt es daher Bedenken, dass der Vorsitz durch den Wahlkampf im Nachbarland beeinflusst wird, wenn Emmanuel Macron seine Kandidatur bekannt gibt. Auch die Wahrscheinlichkeit eines Regierungswechsels ist nicht ausgeschlossen.

Stärkung der Souveränität Europas

Die Ratspräsidentschaft lässt sich in zwei Phasen unterteilen – vor und nach der Wahl. Viele vermuten, dass Präsident Macron eine Agenda für Brüssel gewählt hat, mit der er unter anderem bei den französischen Wählerinnen und Wählern punkten kann. Erste Andeutungen, wie die Prioritäten der Ratspräsidentschaft aussehen werden, waren in einer Rede im Dezember 2021 zu hören und haben sich nun bestätigt. Die drei übergeordneten Vorhaben sind die Stärkung der Souveränität Europas, ein neues Wachstumsmodell für die Staatengemeinschaft und die Schaffung eines humaneren Europas. Konkret möchte Macron die Themen Fiskalregeln, Migration, Klimaschutzmaßnahmen und die Regulierung von Technologiekonzernen inklusive deren Besteuerung angehen. Sozialpolitik, der Wiederaufbaufonds, eine Bankenunion, Rechtstaatlichkeit, Verteidigung und die „Konferenz zur Zukunft Europas“ stehen ebenfalls ganz oben auf der Agenda. Es ist kein Zufall, dass diese Prioritäten die Anliegen und Probleme vieler Franzosen betreffen, denn auch Frankreich bleibt von wachsender Europaskepsis nicht verschont. Beispielhaft ist das Thema Migration, das in Frankreich eines der zentralen Wahlkampfthemen ist.

Frankreichs Pläne

Da Emmanuel Macron aller Voraussicht nach mit einem stark proeuropäischen Wahlprogramm kandidieren wird, muss er seiner Wählerschaft die Stärke Frankreichs in der EU und die damit verbundenen Vorteile für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Union demonstrieren. Das wird voraussichtlich in der ersten Phase geschehen. Die zweite Stufe dürfte eher auf Arbeitsebene stattfinden, auch vor dem Hintergrund eines möglichen Regierungswechsels. Für die deutsche Industrie werden beide Etappen hochrelevant sein, da entscheidende Fragen zu Fiskal-, Klima- und Wirtschaftsthemen geklärt werden sollen.

Neben den Wahlen gibt es auch eine Reihe von externen Faktoren, die die Ratspräsidentschaft beeinflussen können. Zum einen ist noch unklar, wie die neue Bundesregierung sich konkret zu den französischen Vorhaben in der EU positionieren wird. Zum anderen sind die neue Omikron-Variante und die angespannte geopolitische Lage, wie beispielsweise in der Ukraine und an der Grenze von Polen und Belarus, Risikofaktoren für Macrons Pläne. Die schwierigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich und die anstehenden Olympischen Spiele in Peking drohen ebenfalls, sich in den politischen Vordergrund zu schieben.

Die EU-Kommission legt vor

In die Zeitspanne der französischen Ratspräsidentschaft fallen ferner einige Legislativvorschläge der EU-Kommission, die für Frankreich besonders wichtig sind. Dazu zählen der Fahrplan für Sicherheits- und Verteidigungstechnologien, der im Zusammenhang mit Forderungen nach mehr europäischer Souveränität besonders interessant ist. Hinzu kommt der Vorschlag zum Aufbau eines weltraumgestützten Kommunikationssystems der EU, der im Februar erwartet wird und europaweit sichere und stabile Datenübertragungen gewährleisten soll. Dass im Februar auch ein Gipfeltreffen zwischen der EU und der Afrikanischen Union stattfinden wird, kommt Frankreichs außenpolitischen Ambitionen für Europa gelegen. Die europäisch-afrikanische Zusammenarbeit bezeichnete Macron in seiner Rede vom Dezember 2021 als geopolitisches Projekt der nächsten Dekaden. Zuletzt wird auch ein Legislativvorschlag zum „European Chips Act“ erwartet, welcher sowohl sicherheits- als auch industriepolitischer Natur ist. Der Erfolg dieser Strategie ist vor allem für die deutsche Industrie von enormer Wichtigkeit.

Die Erwartungen an die französische Ratspräsidentschaft sind hoch, denn Frankreich ist eine der treibenden politischen Kräfte in der EU mit einem stark pro-europäischen Präsidenten. Ob das Ende April 2022 noch der Fall sein wird, ist unklar. Trotzdem geht das Land grundlegende Fragen in der Europapolitik mit dem Ziel an, den Kurs der EU nachhaltig zu beeinflussen. Wie bei anderen Ratspräsidentschaften hat das hochambitionierte Programm Frankreichs durchaus auch einen deklaratorischen Charakter. Letztlich entscheiden aber vor allem die Ergebnisse der Diskussionen mit den 26 anderen Mitgliedstaaten darüber, wie erfolgreich eine Ratspräsidentschaft tatsächlich ist.