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Großstadtbrille abnehmen, ländliche Räume stärken

Mittelstand und Familienunternehmen wurzeln oft seit Generationen in ländlichen Räumen. Mangelhafte Infrastrukturen und fehlende Fachkräfte setzen Unternehmen, Beschäftigte und deren Familien vor Ort unter Druck. Die Rahmenbedingungen müssen spürbar attraktiver werden – für Arbeiten, Wohnen und Leben. Es lohnt auch gesellschaftlich, ländlichen Räumen neuen Schub zu geben und neue Anreize zum Bleiben und Kommen zu setzen.

Mittelstand und Familienunternehmen in ländlichen Räumen sind wesentliche Erfolgsfaktoren für ihre Regionen: Sie bieten attraktive Arbeitsplätze, sie bilden aus und bilden weiter, zahlen Steuern in die öffentlichen Kassen, sind innovative Gestalter des Standorts, fördern Kunst, Kultur und Sport und engagieren sich für Integration und Inklusion. Für Deutschland bringt das Stärke in der Breite und trägt zu gleichwertigen Lebensverhältnissen bei.

Standorttreue droht zum Wettbewerbsnachteil zu werden

Mangelhafte Verkehrsinfrastrukturen – bei Straße, Schiene, Brücke und Schleuse – setzen den industriellen Mittelstand zunehmend unter Druck. Wer in tief gestaffelten und grenzüberschreitenden Wertschöpfungsverbünden agiert, ist auf effiziente Logistikprozesse von jedem Unternehmensstandort aus angewiesen.

Die Breitbandversorgung reicht in vielen ländlichen Räumen allenfalls aus, um einige Beschäftigte gleichzeitig in Videokonferenzen zu halten. Umfassende digitale Prozesse und Industrie 4.0 sind so nicht gewährleistet. Es gilt, die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen in der Fläche zu sichern und Deutschland endlich flächendeckend an die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts anzukoppeln.

Qualifiziertes Personal ist in vielen ländlichen Räumen kaum zu finden oder schwer zu halten. Die meisten Mittelständler unternehmen viel eigenverantwortlich, um Personal zu gewinnen und zu halten. Sie sind aber auch auf attraktive Bildungsinfrastrukturen in der Region angewiesen. Zu häufig ziehen junge Menschen weg, weil moderne Bildungsmöglichkeiten im ländlichen Raum fehlen. In Kombination mit Effekten des demografischen Wandels und zu wenigen öffentlichen Zukunftsinvestitionen trägt das zur Abkopplung ganzer Landstriche bei. Das gefährdet soziale Stabilität, gesellschaftlichen Zusammenhalt und politische Toleranz.

„Maschinen kann man kaufen, Technologie nicht. Entscheidend ist eine qualifizierte Belegschaft. Deswegen legen wir in unserem eigentümergeführten, mittelständischen Unternehmen großen Wert auf gute Aus- und Weiterbildung. Mit der Erfahrung und den Ideen unserer Mitarbeiter sichern wir die Zukunft unseres Unternehmens und unserer Region. Und das seit 200 Jahren,“ betont Gerd Röders, Geschäftsführender Gesellschafter der G.A.Röders GmbH & Co. KG aus Soltau.

Vorteile ländlicher Räume nutzen, Bürokratie abbauen und Planungsverfahren beschleunigen

Um Infrastrukturen auszubauen, müssen auch Länder und Kommunen finanziell handlungsfähig sein und Verwaltungen unbürokratischer agieren, etwa bei der Ausweisung von Gewerbe- und Wohnungsbauflächen. In den eher übersichtlichen Strukturen ländlicher Regionen liegt das Potenzial, Ideen schneller umzusetzen. Überbordende Regularien von Bundesebene sollten pragmatische Lösungen vor Ort nicht untergraben – auch um die nächste Unternehmensgeneration mit Mut und Lust am Standort zu halten.

Wahlprogramme aller Parteien bleiben zu vage

Fast alle Parteien haben das Thema „ländliche Räume“ in ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021 aufgegriffen, aber die Debatte ist wenig konkret und wird den Herausforderungen nicht gerecht. Es ist überfällig, hier politisch einen stärkeren Fokus zu setzen – ohne ländliches Leben und Wirtschaften zu romantisieren. Schließlich stehen ländliche Regionen für etwa 46 Prozent der Bruttowertschöpfung Deutschlands und sind Heimat für etwa 57 Prozent der Bevölkerung.

Wer den industriellen Mittelstand als wesentlichen Erfolgsfaktor in ländlichen Räumen erhalten will, sollte:

  • flächendeckend modernste Infrastrukturen im Digitalen und im Verkehr schaffen
  • Bildungsmöglichkeiten flächendeckend anbieten und Fachkräfteversorgung sichern
  • das Subsidiaritätsprinzip zum Nutzen einer pragmatischen Lösung vor Ort gelten lassen und überbordende Regularien von Bundesebene verhindern, etwa bei der Ausweisung von Gewerbeflächen
  • noch stärker auf Unternehmerinnen und Unternehmer in ländlichen Räumen zugehen, um Belange von Betrieben vor Ort zu verstehen

Nur 56 Prozent der Gewerbestandorte auf dem Land verfügen über einen Breitbandanschluss.