Halbzeitbilanz der Ampel: Da muss noch mehr gehen
Stets bemüht. Das ist das Zeugnis nach zwei Jahren Ampelregierung. Viel gearbeitet, viel angestoßen, viel diskutiert – von Fachkräfteeinwanderung über Planungsbeschleunigung bis zum Klimaschutzgesetz – und eine erfolgreiche, gemeinsame Krisenbewältigung. Trotzdem reicht’s nicht. Eine Fortschrittskoalition wollte die Regierung sein – doch zur Mitte der Legislaturperiode wirkt das Land in vielerlei Hinsicht kraft- und mutlos. Der Vorteil des Standorts schwindet, Deutschland fällt zurück.
Die Strukturprobleme sind gewaltig, viele davon hausgemacht. Eine hohe Energie- und Steuerlast, Regulierungsdichte, Bürokratieballast sowie mangelnde Planungssicherheit in der Energiewende bremsen die Transformation aus. Dringend notwendige Investitionen in Zukunftstechnologien, wie Batterien oder Wasserstoff, bleiben aus. Zu vieles geht zu langsam in diesem Land – wegen schleppender Genehmigungsverfahren und mangelnder Digitalisierung der Verwaltung. Hohe Energiekosten drängen energieintensive Industrien und Investitionen ins Ausland. Zwar sind die Weichen auf einen zügigeren Ausbau erneuerbarer Energien gestellt, die umfassende Energieversorgung zu langfristig wettbewerbsfähigen Konditionen ist jedoch nicht zu erkennen. Damit fehlt heute eine wesentliche Grundlage für Investitionsentscheidungen.
Ein Blick in andere Wirtschaftsräume wie die USA zeigt vor allem, dass eine Kultur des Vertrauens zwischen Politik und Unternehmen die Grundlage für Wachstum schafft. Hierzulande ist die Wirtschaft hingegen mit einem immer größer werdenden Misstrauen der Politik konfrontiert – wie ausufernde Berichts- und Dokumentationspflichten zeigen.
Hinzukommt, dass die Wirtschaft schwächelt. 2023 wird ein Jahr der Rezession – anders, als noch vor wenigen Monaten erwartet. Der BDI erwartet, dass das BIP um 0,4 Prozent in diesem Jahr schrumpft. Anders ausgedrückt: Deutschland wird nach hinten durchgereicht, wir verlieren Weltmarktanteile. Während die deutsche Wirtschaft schrumpft, wächst, die Weltwirtschaft um etwa 3 Prozent. Es ist höchste Zeit zu handeln, mutig zu führen. Deutschland braucht eine echte Wachstumsagenda, die in den Maschinenräumen und Fabrikhallen dieses Landes ankommt.
Was ist zu tun?
Eine Wachstumsagenda sollte aus Sicht der Industrie insbesondere sieben Punkte in den Fokus nehmen:
- Anreize für private Investitionen schaffen – weit über die geplanten Maßnahmen hinaus. Konkret: Die bisher geplante Investitionsprämie braucht ein höheres Volumen. Die steuerliche Belastung sollte auf maximal 25 Prozent gedrosselt werden.
- Echte Offensive für Entbürokratisierung: Die Politik muss den Schalter endlich umlegen – auf mehr Vertrauen in Unternehmertum und auf eine befreiende Regulierung. Vor allem brauchen wir Geschwindigkeit und sektorübergreifend beschleunigte Genehmigungsverfahren. Auch für den massiven Ausbau der Bahn-Infrastruktur, für leistungsfähige Binnenwasserstraßen und die Abhilfe für überlastete Autobahnen leisten wir uns eine Langsamkeit, die gen Himmel schreit.
- Eine sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung ist die Grundlage für Klimaneutralität und den Erhalt energieintensiver Industriebranchen am Standort: Die staatlichen Abgaben auf Strom müssen noch im Bundeshaushalt 2024 deutlich reduziert und die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß gesenkt werden. Ein schnellerer Erneuerbarer-Ausbau und neue wasserstofffähige Gaskraftwerke durch Maßnahmengesetze im Deutschlandtempo müssen das Angebot ausweiten.
- Mehr Koordination zwischen den Verwaltungsebenen und Bundesressorts für eine modernere Verwaltung: Es braucht eine klare Kompetenzverteilung und ein koordiniertes Zusammenarbeiten, sonst droht der Stillstand - erst recht in der digitalen Transformation der Verwaltung. Alle Leistungen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) müssen bis 2026 volldigital, sicher und nutzerfreundlich angeboten werden.
- Zukunftsstrategie ernst nehmen: Um bei Schlüsseltechnologien international wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es sowohl zielgerichtete Umsetzungsschritte in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmen als auch die Förderung mit Haushaltsmitteln.
- Verfügbarkeit von Arbeits- und Fachkräften sichern: Es braucht ein umfassendes und in sich stimmiges Gesamtkonzept – von der besseren Mobilisierung aller Potenziale im Inland bis zur arbeitsmarktorientierten Zuwanderung mit einer funktionierenden und unterstützenden Migrationsverwaltung.
- Voller Einsatz für ein erfolgreiches Exportland: Deutschland ist Exportland und soll es auch bleiben. Eine Diversifizierung unserer Absatzmärkte ist zentral. Dafür sind neue Freihandelsabkommen notwendig, zum Beispiel mit MERCOSUR, Australien oder Mexiko. Die Bundesregierung sollte sich auf europäischer Ebene für einen pragmatischen Ansatz bei Verhandlungen einsetzen.
Deutschland steht vor Mammutaufgaben. Jetzt muss die Zeit des gemeinsamen, beherzten Handelns anbrechen. In den noch verbleibenden rund 100 Wochen kann die Ampelregierung zeigen, dass sie auch Fortschritt kann.