BDI Jahresauftakt-Pressekonferenz 2025 mit Peter Leibinger

Jetzt dafür arbeiten: Wie Deutschland aus der Krise kommen kann

BDI Präsident Peter Leibinger nennt die aktuelle Situation eine direkte Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Gleichzeitig betont er die hervorragende Basis, um wirtschaftlich wieder erfolgreich zu sein. Was muss passieren?

Guido Warlimont: „Herr Leibinger, der BDI spricht von einer tiefen Krise der deutschen Wirtschaft. Wir betonen, dass die Stärkung der Industrie im politischen Fokus stehen muss. Was treibt Sie persönlich an, sich dieser Herausforderung als BDI-Präsident zu stellen, und welche Rolle spielen Ihre Überzeugung vom freien Unternehmertum dabei?“  

Vielen Dank, Herr Warlimont und guten Morgen in die Runde. Ich freue mich, dass ich heute zu Ihnen, den Medienvertretern hier in Berlin, sprechen und mit Ihnen in Austausch kommen kann. Und ich schildere gerne kurz, was mich umtreibt.  

Seit 28 Tagen bin ich im Amt als Präsident des BDI – nicht erst seitdem habe ich viele Gespräche geführt und Eindrücke gesammelt. Diese Zusammenkünfte mit den Menschen haben mir eines besonders deutlich gemacht: Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist kritisch – die Stimmung ist miserabel, und das ist kein Geschwätz oder Schwarzmalerei. Unsere Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise, und das betrifft vor allem Branchen der Industrie. Hohe Energiepreise, eine immer weiterwachsende Bürokratie trotz Bekenntnissen zum Abbau, hohe Kosten und der zunehmende Fachkräftemangel setzen unseren Unternehmen enorm zu. Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist direkt bedroht. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass wir in Deutschland eine hervorragende Basis haben, um wirtschaftlich – gerade auch als Industrieland – wieder erfolgreich zu sein. Dafür müssen wir jetzt arbeiten.  

Fortschritt entsteht, wenn Menschen die Freiheit haben, neue Ideen zu entwickeln und sie die Möglichkeit haben, diese zur erproben und in die Praxis umzusetzen. Diese Freiheit allein reicht jedoch nicht aus – sie muss mit Verantwortung und Vertrauen einhergehen. Diese Überzeugung ist tief in meiner Familie und meinem unternehmerischen Werdegang verwurzelt. Ich konnte in unserem Familienunternehmen nicht nur am Sitz in Ditzingen, sondern auch in den USA und Asien umfangreiche Erfahrungen sammeln und hatte die Freiheit, das Vertrauen und letztlich auch den Mut, Innovationen aktiv voranzutreiben.   

Den Mut, Risiken einzugehen und Veränderungen zu gestalten, ist für mich das, was Unternehmertum und letztlich den Kern unseres wirtschaftlichen Erfolgs ausmacht. Mut gewinnt man jedoch nur in einer Umgebung, in der Vertrauen herrscht – Vertrauen der Politik in die Wirtschaft, aber auch Vertrauen der Wirtschaft in verlässliche Rahmenbedingungen. Dieses Wechselspiel ist der Schlüssel, um den Industriestandort Deutschland wieder zu stärken und global konkurrenzfähig zu machen.  

Umgekehrt ausgedrückt: Wer handelt, hat immer das Risiko zu scheitern. Wenn wir aber als Staat versuchen, das Scheitern zu verhindern, verhindern wir das Handeln. An diesem Punkt sind wir in Deutschland in unserer Suche nach Sicherheit angelangt.  

Darüber hinaus hat mir unter anderem meine 15-jährige Tätigkeit als Berater der Bundesregierung zu Zukunftsthemen wie Quantencomputern und Start-up-Finanzierung gezeigt, wie wichtig es ist, langfristig und visionär zu denken. Innovationskraft ist das wichtigste Kapital der Industrie in Deutschland. Diese Erkenntnisse bestärken mich in meiner Aufgabe, als BDI-Präsident die Politik mit Expertise zu beraten und die Interessen der deutschen Industrie zu vertreten. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass Unternehmertum und Wirtschaftspolitik durch Kooperationen gestärkt wird und so gute Lösungen für das Land entstehen.   

Eine der zentralen Fragen lautet: Wie stellen wir unsere bestehenden Industrien zukunftsfähig auf und entwickeln gleichzeitig neue, zukunftsträchtige Felder? Meine Antwort lautet: Belastungen für Unternehmen abbauen, Innovationen fördern, mehr Vertrauen in Unternehmertum.    

Guido Warlimont: “Wir wissen, dass Unternehmer von Natur aus ein gewisses Maß an Zuversicht und Optimismus in sich tragen, und das scheint auch auf Sie zuzutreffen. Herr Leibinger, wie glauben Sie, kann sich Deutschland aus dieser Krise befreien und wieder eine führende Rolle in der Welt einnehmen?”  

Deutschland verfügt über eine starke Basis: einen innovativen Mittelstand, weltweit führende Familienunternehmen, kreative Gründer und hochqualifizierte Arbeitskräfte. Die Vielfalt unserer Industrie ermöglicht uns, nicht nur auf einzelnen Feldern erfolgreich zu sein, sondern eine durchgängige Innovations- und Wertschöpfungskette aufzubauen, die weltweit einzigartig ist.  

Hier sehen wir jedoch eine akute Bedrohungslage: Unsere Allensbach-Unternehmensumfrage zum Innovationsstandort Deutschland hat ergeben, dass ein Drittel der befragten großen Unternehmen, bereits dabei ist, seine Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten aufgrund zu hoher Standortkosten zu viel Bürokratie und zu wenig Innovationsoffenheit ins Ausland zu verlagern. Dies bedroht uns im Kern, denn mit den Innovationen geht auch die Voraussetzung für Wertschöpfung in Deutschland verloren. Einmal abgewandertes Wissen und verlorene Innovationskraft lassen sich kaum zurückholen. Leider haben wir uns zu selbstverständlich auf unseren fortgesetzten wirtschaftlichen Erfolg verlassen.   

Um unsere Führungsrolle in der Welt zurückzuerobern muss unser USP wieder zu Geltung kommen:  Technologie-Knowhow, Ingenieurskompetenz und das Zusammenspiel zwischen Großunternehmen und Mittelstand, aus dem robuste, kundengerechte Produkte werden. Dies ist der Kern vom Kern – nicht Technologie als Selbstzweck, sondern Technologie nutzbar gemacht. Das ist unsere Stärke. Doch genau diese Kompetenzen werden momentan durch anmaßend viel Bürokratie und zu hohe Standortkosten ausgebremst. Die Ressourcen, die Unternehmen für unsinnige Berichtspflichten oder aufwendige Genehmigungsverfahren aufbringen müssen, fehlen dort, wo Zukunft gestaltet wird: für Innovationen und strategische Entscheidungen. Was noch schlimmer ist: Die pausenlose Beschäftigung mit diesen defensiven, risikovermeidenden Themen verändert unser Denken, sie schult unsere Menschen defensives Verhalten und Denken. Sie erstickt die Kreativität!  

Das Zurückerobern dieser Führungsrolle fällt in eine Zeit, in der Wirtschaft und Politik in einer zunehmend komplexen geopolitischen Lage agieren müssen. Handelskonflikte, Protektionismus und globale Unsicherheiten fordern uns heraus, wirtschaftliche Stärke mit strategischem Weitblick zu verbinden. Deutschland muss sich als innovationsstarker und verlässlicher Partner positionieren – mit Technologien und Produkten, die weltweit Standards setzen. Dies nicht nur, weil wir hierdurch unseren Wohlstand sichern, sondern weil wir in einer zunehmend transaktionalen Welt hierdurch erst in die Lage kommen, als ernstzunehmender Spieler wahrgenommen zu werden. 

Denn eins ist klar, unser Wohlstand beruht maßgeblich auf unseren Erfolg als Exportnation: Unsere Technologien und Produkte haben weltweit Standards gesetzt – so ist Deutschland zu einem einzigartigen Exportland aufgestiegen. Unser zukünftiger Exporterfolg hängt davon ab, wie stark und innovativ unser Standort sein wird und ob wir es schaffen, uns mit einzigartigen Produkten wieder unentbehrlich zu machen.   

Wenn wir hierfür die richtigen Weichen stellen und strukturelle Veränderungen angehen, dann bin ich überzeugt, dass Deutschland seine Führungsrolle nicht nur zurückerobern, sondern ausbauen kann. Gemeinsam können wir eine Industrie schaffen, die sowohl national als auch international Maßstäbe setzt – für Innovation, Qualität und Zuverlässigkeit.   

Nicht zuletzt mit einer neuen Bundesregierung hat das Land jetzt die Chance, aus dem Verwaltungsmodus in den Gestaltungsmodus zu wechseln – mit einem klaren Fokus auf Zukunft und Innovationen.