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REPowering the EU mit Fit-for-55?

Brüssels energiepolitische Antwort auf Russlands Invasion in der Ukraine nimmt Gestalt an: neben erweiterten EU-Sanktionsmaßnahmen, einschließlich für russische Kohle- und Ölimporte, setzt die EU-Kommission auf eine Beschleunigung des Green Deal. Mitte Mai 2022 stellte sie ihren REPowerEU-Plan zur raschen Verringerung der Importabhängigkeit Europas von russischen fossilen Brennstoffen und für einen beschleunigten ökologischen Wandel vor.

Das europäische Energiesystem soll als Reaktion auf die Belastungen und Störungen, die auf dem globalen Energiemarkt durch die russische Invasion in der Ukraine verursacht wurden, in Rekordgeschwindigkeit umgestaltet werden. Dabei setzt die EU-Kommission vorrangig auf Energieeinsparungen, die Diversifizierung der Energieversorgung und den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Bis Ende 2022 sollen zwei Drittel der russischen Gasimporte in einer Größenordnung von 100 Milliarden Kubikmeter ersetzt werden. Bis 2027 soll die EU nach Vorstellung der Kommission vollständig von russischen Energieimporten abgekoppelt sein. Zur Verwirklichung der REPowerEU-Ziele sind Finanzmittel in der Höhe von 300 Milliarden Euro erforderlich.

Mehr Erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz

Der Einsatz erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung, in der Industrie, im Gebäudesektor und im Verkehrswesen soll massiv angehoben werden. Dazu schlägt die EU-Kommission die Verschärfung des 2030- Gesamtziel für erneuerbare Energien von 40 auf 45 Prozent im Rahmen des Fit für 55-Gesetzgebungspakets vor. Ebenso soll sich dasverbindliche EU-Energieeffizienzziel für 2030 von neun auf 13 Prozent erhöhen.

Eine spezielle EU-Solarstrategie zielt auf die Verdoppelung der Photovoltaikkapazität bis 2025 und auf die Installation von 600 Gigawatt (GW) bis 2030 ab. Zudem fordert eine Solar-Dachinitiative die schrittweise, gesetzliche Verpflichtung, Solarzellen auf neuen öffentlichen und gewerblichen Gebäuden sowie auf neuen Wohngebäuden zu installieren. Auch die Einführungsrate von Wärmepumpen soll verdoppelt werden.

Zentrales Element des Repower-EU-Plans bleiben jedoch Vorschläge zur Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren im Bereich erneuerbarer Energien: über eine gezielte Gesetzesänderung sollen erneuerbare Energien als vorrangiges, öffentliches Interesse anerkannt werden. Die EU-Mitgliedstaaten sollen spezielle Gebiete („go-to-areas“) einrichten, in denen verkürzte und vereinfachte Genehmigungsverfahren Anwendung finden.

Damit setzt die Kommission einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung, darf jedoch nicht auf halbem Wege stehenbleiben. Auch dahinterliegende Energie, Transport- und Digitalinfrastrukturen müssen rasch modernisiert und dürfen nicht von langwierigen, schwerfälligen Verfahren behindert werden.

Ehrgeizige Wasserstoffziele, aber zu starre Grünstromkriterien

REPowerEU stellt das Ziel auf, bis 2030 zehn Millionen erneuerbaren Wasserstoff inländisch zu produzieren und weitere zehn Millionen Tonnen zu importieren. Damit sollen Erdgas, Kohle und Erdöl in schwer zu dekarbonisierenden Industrien und Verkehrssektoren ersetzt werden.

Energieeinsparungen, Effizienz, Brennstoffsubstitution, Elektrifizierung und eine verstärkte Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff, Biogas und Biomethan durch die Industrie könnten bis 2030 bis zu 35 Milliarden Kubikmeter (m3) Erdgas einsparen. Dies ist zusätzlich zu den im Rahmen der Fit for 55-Vorschläge vorgesehenen Einsparungen. Dafür braucht Europa jetzt aber dringend mehr Elektrolysekapazitäten und grenzüberschreitende Wasserstoffinfrastrukturen.

Nur mit Pragmatismus und flexiblen Grünstromkriterien kann es einen Investitionsturbo in heimische Wasserstoffproduktion, Infrastrukturausbau und die Erschließung neuer Märkte geben. Die veröffentlichten Entwürfe der delegierten Rechtsakte zur Definition und Produktion von erneuerbarem Wasserstoff bremsen jedoch weiterhin dringend notwendige Wasserstoffinvestitionen aufgrund zu starrer Kriterien aus – sie müssen dringend nachgebessert werden.

Eine neue Realität braucht neue Lösungen

Die deutsche Industrie steht hinter dem EU-Ziel, schnellstmöglich aus russischen fossilen Brennstoffen auszusteigen. Es ist gut, dass der REPowerEU-Plan auf eine beschleunigte Diversifizierung und mehr erneuerbare Gase, insbesondere Wasserstoff, setzt.

Doch die Fit-for-55-Gesetzgebungsvorschläge müssen im Lichte von REPowerEU neu bewertet werden. Es ist zu wenig, nur Ziele anzuheben und Klimaschutzgelder umzuverteilen. Die Industrie braucht angesichts des Ukraine-Kriegs und seiner ökonomischen Folgen mehr denn je verlässliche, investitionsfreundliche Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit.

Dazu gehören flexible Grünstromkriterien für den Wasserstoffmarkthochlauf ebenso wie verlässliche Carbon Leakage Schutzinstrumente im Übergang und eine rasche Verhandlung des EU-Gaspakets. Auch darf das neue Emissionshandelssystem für Gebäude und Verkehr nicht zum zahnlosen Tiger werden.

Für den Schutz des Weltklimas, den Erhalt von Wohlstand in Europa und seine sicherheitspolitische Resilienz ist eines gleichermaßen relevant: eine starker, zukunftsfähiger, europäischer Industriestandort.