„Oberstes Gebot muss Innovationsoffenheit sein – und eben keine Verbote“
„Die Realität ist alles andere als rosig – auch wenn der Bundeskanzler von einem nahenden Wirtschaftswunder spricht. Die Liste der Herausforderungen ist lang. Es müssen viele mutige Entscheidungen auf vielen Politikfeldern gleichzeitig getroffen werden. Nur dann entsteht auch eine ganzheitliche Industriepolitik. Noch ist Zeit, Versäumnisse für Reformen wettzumachen. Aber die Zeit wird mit jedem Tag des Unfriedens und Streitereien in der Ampelregierung knapper.
So sehr der BDI, so sehr viele Branchen mit ihren Unternehmen diesen Wunsch gerne Realität werden lassen wollen: Die Grundlagen hierzu sehe ich derzeit nicht. Das Investitionsverhalten der Unternehmen zeigt, wie gut oder schlecht es dem Land wirtschaftlich wirklich geht – und wo der Weg hinführt. Echte Neuinvestitionen sehen wir kaum. Offenbar sind andere Wirtschaftsräume attraktiver.
Nun hilft es den Unternehmen und der Industrie in Summe nicht, schwarz zu malen – aber es hilft auch nicht, die Lage schön zu reden.
Ja, nachdem ein Despot den Minimalkonsens der zivilisierten Welt verlassen hat und versucht Grenzen in Europa gewaltsam zu verschieben, ist der Begriff „Zeitenwende“ nicht zu hoch gegriffen.
Zeitenwende – auch für die Unternehmen, die industrielle Basis des Exportlandes Deutschland. 15 Monate Krieg in der Ukraine – EU und NATO stehen geschlossen wie nie zusammen, und die deutsche Industrie steht ebenso geschlossen hinter den Sanktionen gegen Russland.
Eine positive Feststellung vorweg: Das Krisenmanagement hat funktioniert, die befürchteten gravierenden Konsequenzen einer Gasmangellage sind nicht eingetreten.
Dennoch ist der Industriestandort an einem Wendepunkt: Erlahmt die Exportstärke angesichts all der Veränderungen überall in der Welt? Wir legen laut BDI-Prognose um zwei Prozent beim Export in diesem Jahr zu, wir erwarten einen BIP-Anstieg von 0,2 Prozent, während das weltweite BIP in diesem Jahr um rund 2,8 Prozent wächst. Einfache Schlussfolgerung: Wir verlieren Weltmarktanteile. Damit können wir uns nicht zufriedengeben. Es bedarf einer gemeinsamen Antwort von Politik und Wirtschaft.
Im zunehmenden Systemwettbewerb mit dem Wirtschaftsgiganten China, in der Konkurrenz mit dem Partner USA, wo industrielle Stärke gerade wiederentdeckt wird, im Wettbewerb mit aufstrebenden Staaten des globalen Südens, die um die Chance ihrer Rohstoffvorräte und ihrer grünen Energiereserven wissen, kann Europa nur mithalten, wenn die grüne und digitale Transformation ein Mehr an globaler Wettbewerbsfähigkeit bedeutet. Es kommt deshalb auf die Technologie- und Innovationsführerschaft an, damit Produkte und Dienstleistungen entstehen, die von Kunden weltweit nachgefragt werden.
Von den USA hat die Politik lange mehr Anstrengungen zum Klimaschutz eingefordert – und das passiert jetzt. Steuergutschriften, um den Hochlauf neuer Technologien zu begünstigen, weniger Bürokratie, Fokus auf Chancen statt Risiken, weniger Komplexität und vor allem der Tenor der Politik: Was können wir tun, dass du als Unternehmer hier investierst?
Die Fragestellung hierzulande lautet typischerweise anders: Was können wir tun, um genauer Bescheid zu wissen, wie und wo und mit wem du Geschäfte betreibst?
Förderung gibt es bei uns auch, nominell in der Summe auch in der gleichen Größenordnung bezogen auf Einwohner oder Wirtschaftskraft, aber in einem zunehmenden Dickicht von Vorschriften und Regularien. Dazu Berichtspflichten wie in der neuen Rohstoffstrategie – unzählige Daten werden bis auf die Nachkommastelle abgefragt, anstatt einfach einmal bei den Verbänden nachzufragen. Jede Wette: Auf fünf Prozent genau können wir die wesentlichen Fragen zum deutschen Rohstoffbedarf beantworten.
Ein immer größer werdender Bürokratieberg engt die Bewegungsfreiheit der Unternehmen ein. Die gegenwärtige Industrie- und Innovationspolitik versucht, komplexe Probleme durch mehr Komplexität in den Griff zu bekommen. Unternehmer wissen aus eigener Erfahrung: Das kann nicht funktionieren.
Der Industriestandort kann nur wieder Weltmarktanteile gewinnen, wenn wir ganz vorne im Innovationswettbewerb mitspielen. Dafür braucht es Rückenwind, braucht es Unterstützung, um auch hier auf Deutschland-Geschwindigkeit zu kommen, und keine weiteren Handicaps, keine Steine im Rucksack der Unternehmen.
Regulierung muss auf Chancen für den Hochlauf von Innovationen setzen, anstatt erst jedes mögliche Risiko auszuschalten. Mit dieser Strategie igeln wir uns aus Angst vor jeglicher Gefahr ein – das mag die Risiken reduzieren, aber lebt es sich in einer Gummizelle wirklich gut?
Regulierung kann sinnvoll sein, aber durch Zielvorgaben und eben nicht in technologischen Einzelentscheidungen. Anstatt alles daran zu setzen, dass wir im Innovationswettbewerb besser und schneller werden, reden wir über Verbote: Verbot von CCS, Verbot von E-Fuels, Verbot von grüner Gentechnik, Verbot von KI usw.
Anstatt marktwirtschaftliche Prozesse zu behindern, muss oberstes Gebot die Innovationsoffenheit sein – und eben keine Verbote. Nicht der BDI-Präsident, nicht die Politik, nicht die Verwaltung in ihren Amtsstuben, kein Unternehmer und kein Wissenschaftler kann exakt vorhersagen, welche Technologien in 20 Jahren verfügbar sein werden und welche sich durchsetzen werden.
Der Markt ist und bleibt die beste Methode, eine Vielzahl von Akteuren zu koordinieren, um am Ende zu den besten Lösungen zu gelangen. Denn: Auf den Weltmärkten entscheidet der Kunde, von wem er was kauft. Übrigens eine wichtige Lektion auch für alle, die glauben, dass wir entscheiden sollten, wem wir überhaupt gnädigerweise etwas verkaufen wollen.
Die Bundesregierung schreibt dazu zwar eifrig Strategien: die zweite Digitalstrategie innerhalb von zwei Jahren, eine Zukunftsstrategie – sehr richtig, aber ohne die Industrie einzubeziehen und ohne ressortübergreifende Finanzierungsgrundlage. Eine Industriestrategie ist ebenfalls in der Mache – aber in Eigenregie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.
Was uns fehlt? Die Ableitungen, die Umsetzung konsequenter Maßnahmen, um bei konkreten Herausforderungen Lösungen zu finden.
Für die Industrie ist vor allem zentral, dass neue Ideen aus der Forschung schnell in die wirtschaftliche Praxis überführt werden können. Wir haben erstklassige Universitäten und wissenschaftliche Institutionen, um unsere Forschungslandschaft beneidet uns die Welt –aber die Übertragung in die Unternehmen, die Übersetzung in global wettbewerbsfähige und möglichst überlegene Produkte ist kein Automatismus.
Innovationsführerschaft ist unser Hebel, die Dekarbonisierung zu meistern – in Deutschland und bezüglich seines 1,5-Prozent-Anteils an den globalen Treibhausgasemissionen, mehr noch aber weltweit, wenn unsere innovativen Lösungen Akzeptanz finden.
Wir wollen Vorreiter sein – mit sehr ambitionierten Zielen für 2030, mit Klimaneutralität 2045. Aber die Zeit rennt uns davon.
Nochmal: „Deutschland-Tempo“ ist versprochen – und dringend notwendig. Der Ausbau der LNG-Anbindung gelang in sechs Monaten aufgrund einmaliger Ausnahmen im Bundesimmissionsschutzgesetz. Das muss sektorübergreifend zur Regel werden – für Windräder und Solarparks, für elektrische Übertragungs- und Verteilnetze, für Wasserstoff-Pipelines und Elektrolyseure, für Speicher und für wasserstofffähige Gaskraftwerke.
Und nicht nur beim Ausbau der grünen Lieblingstechnologien: auch für den massiven Ausbau der Bahn-Infrastruktur, für Binnenwasserstraßen und überlastete Autobahnen.
Was dabei in der Diskussion immer wieder unter den Tisch fällt:Auch die Industrie steht vor der massiven Herausforderung, bestehende Industrieanlagen umzurüsten – damit durch Innovationen die Nachhaltigkeitswende in der Produktion zügig gelingt.
„There are many ways to screw up a business“ – dieser Spruch gilt auch für die Dekarbonisierung. Die Bundesregierung wird bei der Bewertung ihres Erfolgs in der Klimapolitik auch daran zu messen sein, ob sie die regulatorischen Hürden für die Industrie abgebaut hat, damit die Klimaziele erreichbar sind und nicht theoretische Ambition bleiben. Energiepreis und Energieversorgungssicherheit sind kritische Erfolgsfaktoren für den Standort
Es droht auch der Verlust von Know-how ins Ausland, wenn stromintensive Industrien hier keine Perspektive haben. Wenn wir ständig durch politische Entscheidungen das Energieangebot reduzieren, dürfen wir uns doch über steigende Preise nicht wundern.
Am offensichtlichsten ist das bei dem Anteil elektrischer Energieversorgung. Wir wollen wesentliche Elemente unserer Gesellschaft elektrifizieren – Heizung, Verkehr, industrielle Prozesse. Dafür brauchen wir eingrößeres Angebot an elektrischer Energie –zu global wettbewerbsfähigen Kosten.Eine ganze Reihe von technologischen Optionen steht heute schon bereit, und kontinuierlich kommen neue dazu. Aber wir kommen nicht in die Umsetzung.
Also verfeuern wir weiter Kohle – nicht als sozialer Kompromiss für die wenigen 1000 Bergarbeiter, die wir noch haben, sondern aus schierer Notwendigkeit, mangels Alternativen in der Dunkelflaute, in Zeiten, wo Wind und Sonne eben nicht ausreichen, den Strombedarf zu decken. Die politische Diskussion um ein Ausstiegsjahr ist völlig sinnlos. Bevor wir aus der Kohle aussteigen, muss der Einstieg in die Alternativen gelungen sein – in der notwendigen Menge und zu global wettbewerbsfähigen Kosten.
Eine Option dafür sind wasserstofffähige Gaskraftwerke. Der BDI rechnet mit einem Bedarf von rund 43 Gigawatt zusätzlicher installierter Leistung bis 2030, die Bundesregierung nur mit 24 Gigawatt – abhängig davon, auf wie viel Stromimport von unseren Nachbarn wir uns verlassen können. Bei der konservativen Rechnung des Bundeswirtschaftsministers spielen tschechische und französische Kernkraftwerke keine unbedeutende Rolle – und der Preis dieser Importe offensichtlich auch nicht.
Aber selbst für 24 Gigawatt gilt: „Wir bauen ...“ reicht nicht. Wer plant, wer baut, wer finanziert, wer betreibt? Noch gibt es nicht einmal ein Marktdesign, das darlegt, wie sich diese Investitionen rentieren sollen, wenn sie denn privatwirtschaftlich finanziert werden sollen. Am Ende gibt es nur zwei Kandidaten, die zahlen: Verbraucher oder Steuerzahler. Keine dieser Fragen ist beantwortet – aber bis 2030 sollen diese Kraftwerke am Netz sein.
Wo steht wann zu welchen Kosten eine Infrastruktur bereit? Und wieder die Frage: Wer plant, wer baut, wer finanziert, wer betreibt?
Damit ist die Rede von einer „Strompreisbrücke“ Augenwischerei: Die Strompreise werden trotz allen ambitionierten Ausbaus von Windturbinen und Photovoltaik-Anlagen mittelfristig nicht auf das historische Mittel der vergangenen Dekade zurückgehen. Für Unternehmen, die zwei- bis dreifach höhere Energiepreise als im vergangenen Jahrzehnt stemmen müssen, bedeutet das: Ihre Wettbewerbsfähigkeit und Existenz sind bedroht – jetzt, kurzfristig.
Deshalb ist kurzfristige Unterstützung sinnvoll und notwendig. Aber die Energiepreisbremsen müssen so gestaltet sein, dass sie wirklich bei den Unternehmen ankommen. Das national festgelegte Verbot von Dividenden und variablen Einkommensbestandteilen sowie die europäische EBITDA-Regelung sind völlig praxisfern und verhindern, dass Unternehmen von den Hilfen profitieren.
Mittel- und langfristig müssen die Energieerzeugungskosten sinken. Kurzfristig wirkt nur ein Eingreifen an der Differenz zwischen Erzeugungskosten und Strompreis. Eine Ko-Finanzierung der Netzentgelte ist im Kohleausstieg schon gesetzlich vorgezeichnet, die Verlängerung des Spitzenausgleichs problemlos möglich, und die Senkung der Stromsteuer auf ein EU-Mindestmaß braucht keine Genehmigung aus Brüssel. Wenn sich die Bundesregierung dazu einig ist, kann das blitzschnell gehen – und wenn es dazu 30 Stunden Koalitionsausschuss braucht, akzeptieren wir das gerne.
Es braucht kurz-, mittel- und langfristig Maßnahmen, die Belastung für die Unternehmen zu drücken. Die Debatte über einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis ist deshalb richtig und wichtig.
Aber eine Reparatur von im globalen Wettbewerb zu hohen Erzeugungskosten durch Subventionen hätte gravierende Konsequenzen: Mehr Staat, weniger Markt – das führt einerseits zu Verteilungskonflikten und andererseits zu einer massiven finanziellen Schieflage, die letztlich wieder nur durch Steuererhöhungen zu finanzieren ist. Dabei sind die Unternehmensteuern in Deutschland heute schon mit die höchsten in Europa: 8,6 Prozentpunkte über dem Durchschnitt unserer europäischen Wettbewerber (Deutschland: 29,8 Prozent, EU-Durchschnitt: 21,2 Prozent) – und die Einkommensteuern für die dringend notwendigen Fachkräfte sind ebenfalls auf Rekordniveau.
Die ganz zentralen Forderungen an die Politik, damit wir unsere Stärken ausspielen können, lassen sich einfach zusammenfassen:
- Die ausufernde Selbstbeschäftigung durch immer mehr Bürokratie beenden,
- stattdessen auf die Chancen von Innovationen setzen,
- eine umfassende Beschleunigung sämtlicher Infrastrukturvorhaben – der öffentlichen genauso wie die der Unternehmen,
sowie in enger Zusammenarbeit mit der Industrie eine langfristige Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit bei den Energiepreisen.