Szenario 1: Verschleppte Modernisierung
Der Weg in das Szenario: Treiber und Weichenstellungen
Politische Blockadehaltungen in Deutschland und auf EU-Ebene
- Wachsende Verteilungskonflikte um staatliche Mittel und Aufmerksamkeit
- Unzureichende Investitionsgeschwindigkeit und -höhe
- Festhalten am Status quo in Gesellschaft und Unternehmen
Szenariowelt 2030
Deutschland sieht sich – wie schon in den Vorjahren – mit schwierigen Regierungsbildungen konfrontiert, bedingt durch eine immer stärkere Ausdifferenzierung des parlamentarischen Parteienspektrums und einem höheren Gewicht der politischen Ränder. Hinzu kommen komplizierte föderale und europäische Aushandlungsprozesse. Wechselseitige Vorwürfe in Regierungskoalitionen sind an der Tagesordnung und prägen die politische Kultur. Die daraus resultierende Lähmung und Lethargie des politischen Betriebs verzögern staatliche Zukunftsinvestitionen bezüglich Infrastruktur, Implementierung von E-Government oder der doppelten Transformation hinsichtlich Nachhaltigkeit und Digitalisierung („Twin Transition“). Verschärft wird dies durch fehlende budgetäre Spielräume, wodurch auch kaum politische Bereitschaft für Entlastungen vorhanden ist. Infolge knapper öffentlicher Finanzen und Überlastungen der Sozialsysteme können Kommunen und Staat Leistungen der öffentlichen Hand nur eingeschränkt bereitstellen, wodurch sich die Bedingungen für Gesellschaft und Wirtschaft zusätzlich erschweren.
Stagnation und Stillstand auf vielen Ebenen
Die Wirtschaft in Deutschland tritt auf der Stelle, das Konsum- und Investitionsklima ist durch verfestigte Stagnationserwartungen und langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren am Standort Deutschland eingetrübt. Hinzu kommen die immer spürbareren Auswirkungen des Arbeits- und Fachkräftemangels, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in den Verwaltungen. Auch bleiben echte Produktivitätszuwächse oder Servicegewinne durch Automatisierung aus. Innerhalb Deutschlands gibt es zunehmende Disparitäten zwischen Stadt und Land, zwischen strukturschwachen und strukturstarken Regionen. Zudem geht die Schere zwischen erfolgreichen und kriselnden mittelständischen Firmen auf, etwa mit Blick auf Investitionen in neue Technologien. Äußere Umstände, die außerhalb des direkten Einflussbereichs des Mittelstands liegen, haben diese Entwicklung maßgeblich getrieben (z.B. politische Verzögerungen, gestoppte Förderungen).
Die fehlende Planungssicherheit im industriellen Mittelstand wird immer mehr zu einem Hemmnis. In vielen Branchen ist ein schleichender Verlust der Innovationsfähigkeit und Technologieführerschaft zu beobachten, der auch eine Folge von verzögerten Investitionen ist. Diese werden und wurden angesichts volatiler Umfelder immer weiter in die Zukunft verschoben. Transformation wird zudem zunehmend eher als Kostentreiber und zusätzlicher bürokratischer Aufwand denn als Wachstumschance begriffen.
Der industrielle Mittelstand sieht sich wachsender Konkurrenz ausgesetzt, etwa durch Importe aus dem Ausland – beispielsweise über Frachtkapazitäten aus China – und Fabriken ausländischer Unternehmen an kostengünstigeren EU-Standorten. Das innereuropäische Gefälle bei den Standortfaktoren (wie Energiekosten, Bürokratie, Steuer- und Abgabenlast, Verfügbarkeit von Arbeitskräften oder auch Druck durch globalisierte F&E-Arbeit) führt zu Auftragsverlusten und (schleichenden) Verlagerungen bei Großunternehmen und im Mittelstand. Im Zuge dessen lösen sich auch Wertschöpfungsverbünde zunehmend auf. Begleitet wird dies von häufig wechselnden Lieferanten und instabilen Kundenbeziehungen.
Mittelständler der Industrie gehen neue Wege
Als einen strategischen Ansatz in der Krise suchen einige industrielle Mittelständler gerade in strukturschwachen Regionen den Schulterschluss mit Kommunalpolitik und regionalen Akteuren, um lokale Standorte und Zivilgesellschaft zu stärken. Dadurch agieren sie oft ungewollt „politisch“, da sie zur Fachkräftegewinnung vermehrt öffentliche Aufgaben – etwa bei der Kinderbetreuung in Betriebskitas oder Pflegeangebote für Angehörige von Mitarbeitenden – übernehmen. Dabei füllen die mittelständischen Unternehmen unfreiwillig ein Vakuum, das durch die Unterfinanzierung bzw. Überlastung der Sozialsysteme entstanden ist. Auch setzen einige industrielle Mittelständler als Krisenansatz darauf, durch veränderte Geschäftsmodelle neue Nischen zu besetzen. Sie versuchen dabei, ihre „Metakompetenzen“ zu nutzen und an neue Wertschöpfungsverbünde (z. B. über Service-Angebote) und neue Business-Ökosysteme anzudocken. Diese finden sich etwa in den Bereichen New Space, der Biotechnologie oder der wassersensiblen Infrastrukturen.
Konsolidierung und Übernahmen
Vermehrt kommt es zu Konsolidierungen und Konzentrationen im deutschen Mittelstand, der dadurch ein Stück weit sein Gesicht verändert. Zudem nutzen ausländische Investoren aus Asien (insbesondere China und Südkorea), Nordamerika und den europäischen Nachbarländern die Gunst der Stunde, um im deutschen Mittelstand einzusteigen – was teilweise einen starken Kulturwandel oder Standortverlagerungen mit sich bringt.