Szenario 4: Deutschland in einer Weltunordnung mit Blockbildung
Der Weg in das Szenario: Treiber und Weichenstellungen
Eskalationsspirale zwischen China und USA führt zu Blockbildung und Entkopplung globaler Handelsaktivitäten
- De-Risking-Strategien der Politik und Unternehmen sind oftmals nicht auf die Situation eingestellt
- Langsame Anpassung von Lieferketten und Exportstrategien
- „Wirtschaften und Innovation mit Knappheiten“
Szenariowelt 2030
Die USA und China haben es nicht geschafft, ihren Wettstreit um Einfluss, Status und Technologien verantwortungsvoll zu gestalten. Stattdessen eskalieren Handelsstreitigkeiten, wechselseitige Eindämmungsstrategien und das Rennen um internationalen Einfluss immer wieder. Auf dem Weg in das Jahr 2030 münden die Eskalationsspiralen schließlich in einer abrupten Blockbildung entlang demokratischer Staaten und autoritärer Systeme. Blockfreie Staaten versuchen, von dieser Entwicklung zu profitieren. Die Folgewirkungen stellen den deutschen industriellen Mittelstand vor existentielle Herausforderungen – und blockieren auch im Jahr 2030 noch die Transformation in Richtung klimaneutraler Wirtschaft und Digitalisierung.
(Un-)Ordnung entlang von Blöcken
Die EU und ihre Mitgliedstaaten gehören dem „demokratischen Block“ an, wobei einzelne Mitglieder angesichts ihrer Abhängigkeiten von China mit einem Austritt drohen und wiederholt Sanktionen umgehen. Das transatlantische Verhältnis ist robust, aber dennoch in Teilbereichen angespannt: So machen die USA beispielsweise die Import- und Exportbedingungen von den Entscheidungen und Verteidigungsausgaben einzelner EU-Mitglieder abhängig. Neben den beiden Blöcken positionieren sich blockfreie Staaten. Diese sind auf der einen Seite zwar vom Handel mit den Blöcken und Unterstützung (z. B. Technologietransfer, Infrastrukturinvestitionen) abhängig. Auf der anderen Seite besitzen blockfreie Staaten – etwa in Südamerika oder Afrika – teilweise eine gute Verhandlungsbasis, etwa aufgrund ihrer geografischen Lage, ihrem Potenzial für Rohstoffe oder erneuerbarer Energien. Die Blockbildung geht nicht spurlos an China und den USA vorbei, durch die Entkopplung entstehen wirtschaftliche Kosten und die inneren Instabilitäten in beiden Ländern nehmen zu.
Wohlstandsverluste und Anpassungsfähigkeit an eine neue Realität
Der globale Wirtschaftsaustausch hat sich entlang der beiden Blöcke und blockfreien Staaten teilweise abrupt entkoppelt und ordnet sich neu. Handelsaktivitäten und Investitionen zwischen den Blöcken sind durch handelspolitische Maßnahmen praktisch zum Erliegen gekommen. Der Wegfall der direkten Handelsaktivitäten zwischen den Blöcken führt zum einen in Deutschland und weltweit zu ausgeweiteten Reshoring- und Friendshoring-Aktivitäten, wobei insbesondere als kritisch eingestufte Sektoren staatlich unterstützt werden. Zum anderen bieten sich Chancen für blockfreie Staaten. Bestehende und neu angesiedelte Unternehmen nutzen die dortigen Rohstoffe, importieren Zwischenprodukte und exportieren dann ins Ausland. Mittelständler in exportabhängigen Branchen oder mit weitreichenden ausländischen Direktinvestitionen im „chinesischen Block“ sind existentiell herausgefordert. Sie müssen ihr Geschäft entlang der Blocklogik und den blockfreien Staaten neu ausrichten.
Die Folgen der Entkopplung sind für Deutschland gravierend, aber langfristig handhabbar. Im Jahr 2030 wird der langfristige Wohlstandsverlust durch die Entkopplung diskutiert, gleichzeitig wird die Anpassungsfähigkeit der internationalen Handelsströme des industriellen Mittelstands betont. Handelsaktivitäten, Lieferketten und die Produktion passen sich zunehmend an neue Realitäten an. Dennoch kommt es zu Knappheiten bei kritischen Rohstoffen, Vorleistungen und Produkten.
Der Mittelstand vertieft fortlaufend den Handel und Auslandsinvestitionen im EU-Binnenmarkt, mit dem eigenen Block und auch mit blockfreien Staaten (z. B. Rohstoffe, Fabriken und Entwicklung von Dienstleistungen im Ausland). Durch handelspolitische Instrumente sinkt zudem der Wettbewerbs-druck im EU-Binnenmarkt, etwa durch wegfallende Konkurrenten aus China.
Versorgungssicherheit als Herausforderung und Treiber von (gemeinsamen) Innovationen
Der Inflationsdruck ist in Deutschland trotz des Anpassungsprozesses noch hoch. Die Versorgung mit Arbeits- und Fachkräften, Energie, Rohstoffen und Vorleistungen ist kostenintensiv. Unternehmen ohne klares Leistungsangebot und mit schwacher Verhandlungsposition können die Preissteigerungen nur schwer entlang der Wertschöpfungskette weitergeben. Ressourcen- und Energieeffizienz sowie Einsparungen sind daher wesentlich für Geschäftsalltag und Innovationsaktivitäten im industriellen Mittelstand. Dezentrale Versorgungskonzepte, die Erschließung lokaler Rohstoffvorkommen und Kreislaufwirtschaftsprinzipien werden zu Notwendigkeiten, eine echte Energie- und Rohstoff-Autarkie ist dennoch illusorisch. Unternehmensübergreifende, überregionale Wertschöpfungsverbünde schließen sich über digitale Plattformen in „B2B-Sharing-Netzwerken“ zusammen, um Kostenstrukturen, Investitionen, Auslastung und Verfügbarkeit von Arbeitskräften zu optimieren.
Folgen der Entkopplung als Katalysator für regionale Disparitäten
Regionale Disparitäten und Stadt-Land-Gegensätze in Deutschland verschärfen sich durch die wirtschaftlichen Folgen der Entkopplung und den damit verringerten finanziellen Spielräumen im öffentlichen Sektor. Verlagerungen oder Geschäftsaufgaben stellen vor allem Regionen vor Herausforderungen, die historisch von einem Mittelständler oder Großunternehmen abhängig waren. Sie sind als Gewerbesteuerzahler und Arbeitsplatzmotor weggefallen und haben eine bleibende Lücke hinterlassen. Die Menschen in diesen Regionen zeigen dennoch eine starke Heimatverbundenheit, sodass es zu keiner signifikanten Binnenmigration kommt.
Technologisches Wettrüsten wirkt bis in den Mittelstand
Ein technologisches Wettrüsten zwischen den Blöcken führt zu blockspezifischen Normen und Standards. Dies erzeugt hohe Komplexität für Mittelständler, die Produkte in blockfreie Staaten importieren oder exportieren. Das Wettrüsten äußert sich auch in staatlich getriebener Industriespionage und Cyberangriffen aus dem Ausland. Die Risiken und Kosten für den Mittelstand erreichen ein Rekordniveau. Dies betrifft insbesondere Innovationsführer und Mittelständler, die „kritische“ Produkte und Dienstleistungen anbieten. Das militärische und technologische Wettrüsten treibt staatliche Investitionen in F&E und begünstigt dadurch technologische Durchbrüche bei Schlüsseltechnologien (z. B. KI, Materialien, Gesundheitstechnologien). Diese Technologien können militärisch und auch zivil genutzt werden (Dual-Use-Charakter). Solche Technologien werden zeitversetzt in die Wirtschaft transferiert und von besonders innovationsfähigen Mittelständlern aufgegriffen. Dabei handelt es sich oft um Technologien, die zu Beginn der 2020er Jahre noch einen sehr niedrigen Reifegrad hatten und nun unerwartet schnell eingesetzt werden können.