Verkehrsinfrastruktur – Was ist zu tun?
Zuverlässige Verkehrsinfrastrukturen als Beitrag für einen klimaneutralen und wettbewerbsfähigen Industriestandort
In kaum einem anderen Land dürfte der Zusammenhang von Wohlstand einerseits und leistungsfähiger Verkehrsinfrastrukturen andererseits stärker ausgeprägt sein als in Deutschland, mit flächig verteilten Wertschöpfungszentren, einer starken außenwirtschaftlichen Verflechtung und der geographischen Lage als wichtigste Logistikdrehscheibe in Europa.
Die deutschen Verkehrswege sind seit Jahrzehnten dramatisch unterfinanziert. Daher ist unsere Infrastruktur zunehmend im Krisenmodus, wie marode Brücken, Schleusen, Autobahnen und Schienenwege zeigen. Deutschland lebt von der Substanz. Der Finanzierungsbedarf betrifft insbesondere die Kernnetze von Bundesfernstraßen, Bundesschienenwegen und Bundeswasserstraßen.
Um den Verfall unserer Straßen, Brücken, Schienen und Wasserstraßen noch in dieser Dekade zu stoppen und für eine neue wirtschaftliche Dynamik zu sorgen, ist nicht nur eine kollektive nationale Kraftanstrengung zur Revitalisierung unserer Verkehrsinfrastrukturen, sondern vor allem auch ein Überdenken des bisherigen Finanzierungssystems sowie seiner wenig effizienten Mechanismen erforderlich – Investitionen in den Erhalt und den Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen dürfen nicht nur nach Kassenlage getätigt werden. Gleiches gilt auch für den vorauslaufenden, bedarfsgerechten und flächendeckenden Aus- und Aufbau von Lade- und Tankinfrastrukturen für alle Verkehrsträger sowie alle alternativen Antriebe und Kraftstoffe.
Nachholbedarfe und Zukunftsinvestitionen über Sonderinvestitionsprogramme abwickeln
Mit dem Investitionsprogramm für Infrastruktur, Transformation und Resilienz zur Stärkung des Standorts Deutschland[1] hat der BDI bereits Lösungen für die über das nächste Jahrzehnt hinweg anstehenden Investitionen von u. a. ca. 160 Mrd. Euro für Verkehrsinfrastrukturen präsentiert. Unter der Voraussetzung, dass eine effizientere öffentliche Mittelverwendung sichergestellt, notwendige Strukturreformen insbesondere zum Bürokratieabbau und zur Erhöhung des Arbeitsangebots angegangen und investive Ausgaben im Rahmen einer Haushaltskonsolidierung stärker als bislang priorisiert werden, können der Deutsche Bundestag und der Bundesrat inhaltlich und zeitlich präzise definierte Sondervermögen mit verfassungsgebender Mehrheit einrichten. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sollte aus Sicht des BDI nicht abgeschafft oder aufgeweicht werden.
[1]BDI-Position: Standort D mit Investitionen stärken
Finanzierungsarchitektur neu ausrichten
Wir benötigen über- und mehrjährige sowie bedarfsgerecht ausgestattete Finanzierungsarchitekturen. Diese geben der Planungsbranche und der Bauindustrie nicht nur die für einen Kapazitätsaufbau notwendige Planungssicherheit, sondern tragen als strategisches Instrument auch zur Steigerung der Effizienz, Transparenz und Nachhaltigkeit von Investitionen in die Verkehrswege bei. Welche Rolle dabei ein verbessertes Infrastrukturzustandsmonitoring, Finanzierungsvereinbarungen und Infrastrukturentwicklungspläne spielen, wird im Folgenden erläutert.
Verbessertes Infrastrukturzustandsmonitoring als Grundlage für Investitionsentscheidungen
Um einer strukturellen Unterfinanzierung künftig entgegenzuwirken, müssen die Bedarfe zur Instandhaltung der Verkehrsinfrastrukturen regelmäßig analysiert, überprüft und transparent kommuniziert werden. Nur so kann ein ausreichendes Investitionsniveau dauerhaft erreicht und bedarfsgerecht fortgeschrieben und ggf. nachjustiert werden.
Der BDI regt hierzu an, den bestehenden Verkehrsinvestitionsbericht des Bundes deutlich weiterzuentwickeln, um die Transparenz für Politik und Gesellschaft zu erhöhen und eine bessere, sachliche Grundlage für notwendige Instandhaltungsinvestitionen zu schaffen. Das regelmäßige verkehrsträgerübergreifende Monitoring sollte zeitnaher als bisher erscheinen und stärker auf die Ziele „Erhalt der Bestandsnetze“ und „Ausbau der Kernnetze“ ausgerichtet werden. Dies könnte zu großen Teilen durch die Zusammenführung und Konsolidierung bereits heute erhobener Daten erreicht werden. Ein weiterentwickeltes Monitoring sollte insbesondere anhand aktueller Baupreisentwicklungen über den tatsächlichen Nachholbedarf in den Bestandsnetzen sowie bestehende und absehbare Kapazitätsengpässe der Infrastruktur informieren. Dabei ist auch je Verkehrsträger aufzuschlüsseln, wie viel dieses Nachholbedarfs jeweils auf das Kernnetz entfällt. Zudem sollte der 2023 ausgelaufene verkehrsträgerübergreifende Investitionsrahmenplan des Bundes (IRP) schnellstmöglich fortgeschrieben und veröffentlicht werden.
Die daraus abzuleitenden Infrastrukturmaßnahmen müssen sich zudem zwingend an klar definierten und volkswirtschaftlich vernünftigen Kriterien ausrichten. Die Auswahl individueller Maßnahmen sollte dabei stets anhand nachvollziehbarer Grundsätze wie z. B. die mit dem Deutschlandtakt für die Schiene erfolgende zielfahrplanbasierte Infrastrukturentwicklung erfolgen, damit die begrenzt verfügbaren Mittel möglichst effektiv eingesetzt werden und nicht beispielsweise regionalpolitischem Proporz unterliegen.
Stabile, verkehrsträgerbezogene Finanzierungsvereinbarungen sind das Idealbild
Die Deckung des Finanzierungsbedarfs für alle Verkehrsträger ist eine Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge. Die öffentliche Hand muss sicherstellen, dass diese Finanzierung bedarfsgerecht sichergestellt wird und Priorität vor einer ergänzenden Finanzierung durch Nutzungsentgelte hat.
Stabile über- und mehrjährige Finanzierungsvereinbarungen, in denen Nutzungsentgelte wie die Lkw-Maut oder die Gebühren für den Nord-Ostsee-Kanal zweckgebunden und verkehrsträgerspezifisch für die Verkehrsinfrastruktur verwendet werden und nicht dazu dienen können, Defizite des allgemeinen Haushalts auszugleichen oder sonstige Finanzierungslöcher zu stopfen, sind stufenweise herzustellen und langfristig abzuschließen. Der hohe Investitionsbedarf verbietet es, diese Mittel für andere Zwecke zu verwenden. Nur so kann die Akzeptanz und das Vertrauen für spezifische Nutzungsabgaben gewährleistet und ihr unmittelbarer Nutzen für Verkehrsinfrastrukturen erkennbar bleiben.
Für die Einrichtung stabiler, langfristiger und auch durch Überjährigkeit zugriffsfester Finanzierungsvereinbarungen empfehlen sich in der Regel klar umrissene, verkehrsträgerbezogene Lösungen, die sowohl bereits erhobene, dedizierte Nutzungsentgelte als auch ergänzende Haushaltsmittel zur Deckung des Finanzierungsbedarfs für die jeweilige Verkehrsinfrastruktur langfristig und zugleich zweckgebunden zusammenführen.
Mehrjährige Infrastrukturentwicklungspläne mit verbindlichen Finanzierungsverpflichtungen verknüpfen
Da Investitionsbedarfe und daraus resultierende Aufgaben in der Regel weit über ein Haushaltsjahr oder eine Legislaturperiode hinausreichen, muss mit Blick auf die strategische Planung und Finanzierung von Infrastrukturen eine Horizonterweiterung stattfinden. Die Vergangenheit und die Gegenwart lehren uns: Es ist ein Irrglaube, zu denken, dass allein mit einer jährlichen Bewilligung von Infrastrukturmitteln eine nachhaltige, verlässliche und gesamtnetzbezogene Infrastrukturentwicklung und Instandhaltung gelingen kann.
Der Erhalt, die Modernisierung sowie der Kapazitätszubau bei Verkehrsinfrastrukturen sollte daher anhand von mehrjährig angelegten, rollierenden Infrastrukturentwicklungsplänen abgestimmt, ausgestaltet sowie mit einer verbindlichen über- und mehrjährigen Finanzierungsperspektive unterlegt vollzogen werden. Für die Bundesschienenwege existiert mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) bereits ein sinnvolles Instrument, welches eine mehrjährige Verstetigung der Bundesmittel für Ersatzinvestitionen sichert. Diese LuFV sollte auch eine überjährige Mittelverwendung ermöglichen. Für den Erhalt der Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen sollten Vereinbarungen ähnlich der LuFV als mehr- und überjährige Finanzkreisläufe eingeführt werden, um eine langfristige und betriebswirtschaftlich optimierte Planung und Projektrealisierung zu gewährleisten. Da der Bund keine LuFV mit untergeordneten Behörden schließen kann, ist eine Strukturreform in der Verwaltung der Bundeswasserstraßen erforderlich. Die detaillierte Mittelbereitstellung und auch -verwendung ist dabei anhand klarer und verbindlicher strategischer Zielbilder für die Infrastrukturentwicklung auszugestalten (siehe Infrastrukturzustandsmonitoring), regelmäßig auf Basis von Kostenentwicklungen anzupassen und würde weiterhin der öffentlichen bzw. parlamentarischen Kontrolle unterliegen.
Die oft bereits bei Erhaltungsmaßnahmen zeitaufwendige Planung und Realisierung von Infrastrukturvorhaben (z.B. aufgrund von EU-Vorgaben in den Bereichen Sperrpausen und Artenschutz) würden von einer langfristigen und hinsichtlich ihres Bedarfs regelmäßig überprüften Finanzierungssicherheit sowie einer gesteigerten Transparenz bei der Bereitstellung und Verwendung von Mitteln in besonders hohem Maße profitieren. Denn zuverlässige, stabile und langfristig vereinbarte Planungs- und Finanzierungsrahmenbedingungen, die mit konkreten Umsetzungszielen und Finanzierungsschritten einhergehen, sind gleichermaßen für private wie öffentliche Investitionen unerlässlich, speziell beim Aufbau von Ressourcen und Kapazitäten aufseiten der mit der Umsetzung betrauten Unternehmen für beispielsweise Investitionen in Großmaschinen. Außerdem würde eine über- und mehrjährige Verstetigung von beispielsweise Bundesmitteln für Ersatzinvestitionen in Bestandsnetze nicht nur eine höhere Planungssicherheit schaffen, sondern auch eine flexiblere, eigenverantwortliche Mittelverwendung ermöglichen und hierüber zusätzlich zu einem effizienteren Mitteleinsatz beitragen. Ferner würde durch die Flexibilisierung die Bündelung von Baumaßnahmen erleichtert, was baubedingte Sperrpausen reduziert und die Verfügbarkeit der Infrastruktur entsprechend erhöht.
Voraussetzung: Neben mehr Kontinuität bei der Finanzierung auch mehr Tempo und Effizienz bei der Umsetzung
Während bei der Finanzierung mehr Kontinuität gefragt ist, gilt es gleichzeitig auch mehr Tempo bei der Umsetzung zu machen: Überlange Planungs- und Genehmigungsverfahren für Infrastrukturvorhaben und dafür notwendige Großraum- und Schwertransporte (GST) und der sich verschärfende Fachkräftemangel werden auch in Zukunft ein Hindernis darstellen, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel tatsächlich verbaut werden sollen. Stellschrauben wie bspw. Stichtagsregelungen oder Standards im Bereich Artenschutz sind hinlänglich bekannt, was bislang fehlt, ist mehr politischer Mut zur konsequenten und verkehrsträgerübergreifenden Umsetzung. Zudem existieren auch zahlreiche weitere, nicht-legislative Hebel.
So müssen insbesondere das IT-Budget z.B. zugunsten des Einsatzes von Building Information Modeling (BIM) und KI, aber auch das Personal in den staatlichen Planungs- und Genehmigungsbehörden aufgestockt und Planungs- und Genehmigungsprozesse konsequent digitalisiert werden. Das volle Effizienzsteigerungspotenzial von BIM und KI kann jedoch erst gehoben werden, wenn diese digitalen Methoden von Bund und Behörden schnell umgesetzt werden.
Auch daher müssen alternative Vergabe- und Vertragsmodelle, bei denen innovative bauliche Kompetenz frühzeitig in die Planung mit einbezogen wird, zur Beschleunigung und Effizienzsteigerung der Vorhaben eingesetzt werden. Dabei ist für unterschiedlich große und verschieden komplexe Projekte das jeweils geeignete Modell auszuwählen. Im Bereich Straße und Wasserstraße könnte insbesondere die Beschaffungsmethode der Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP) durch ihren lebenszyklusorientierten Ansatz und höhere Effizienzanreize sowohl mehr Kontinuität bei der Finanzierung als auch mehr Tempo bei der Umsetzung gewährleisten. Im Bereich Schiene sollten diese Effekte durch eine generelle haushaltsrechtliche Zulässigkeit des sich bisher nur in Pilotierung befindlichen Partnerschaftsmodells Schiene erzielt werden.