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Vorschläge zur Reform des Aktienrechts

Das Aktiengesetz wird im kommenden Jahr 60 Jahre alt. Nach überwiegender Ansicht in Literatur und Wissenschaft ist dies ein guter Anlass, das Aktienrecht auf den Prüfstand zu stellen – dies umso mehr, als das Personengesellschaftsrecht durch das MoPeG erst kürzlich umfassend reformiert wurde. Der Gesetzgeber hat, auf die schon seit langem geäußerte Forderung einer Aktienrechtsreform, bisher nur mit punktuellen Änderungen des Aktiengesetzes reagiert. Vorschläge zur Reform des Beschlussmängelrechts zur Belebung der Hauptversammlung oder zur Reform des Aufsichtsratsrechts wurden dagegen nicht in Angriff genommen.

Zur virtuellen Hauptversammlung

Im Juli 2022 verabschiedeten Bundestag und Bundesrat das „Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen bei Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften“. Seither können Gesellschaften in den Rechtsformen der AG, KGaA, VVaG und SE über das Auslaufen des sogenannten COVID-Gesetzes hinaus ihre Hauptversammlung nach § 118a AktG nicht nur als Präsenzveranstaltung, sondern auch als virtuelle Veranstaltung einberufen.

Eine virtuelle Hauptversammlung im Sinne des § 118a Abs. 1 S. 1 AktG liegt vor, wenn die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten am Ort der Hauptversammlung abgehalten wird. Für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung bedarf es einer Satzungsermächtigung, entweder unmittelbar in der Satzung oder als Ermächtigung des Vorstands. Die Ermächtigung ist jeweils auf höchstens fünf Jahre begrenzt.

Der BDI hatte das Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen grundsätzlich begrüßt, jedoch angemerkt, dass das Gesetz nicht die Erwartungen, die der BDI an den gesetzlichen Rahmen für eine moderne und praktikable Durchführung virtueller Hauptversammlungen gestellt hatte, erfülle.

Die virtuelle Hauptversammlung hat sich seither bewährt. Nach der Pressemitteilung der aktionärsforum service Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom 31. Juli 2023 haben 87 von 100 im DAX, MDAX und TecDAX gelisteten Gesellschaften eine Satzungsänderung nach § 118a Absatz 1 Satz 1 AktG beschlossen, die auch zukünftige virtuelle Hauptversammlungen ermöglicht (Pressemitteilung)

Zur Reform des Aufsichtsratsrechts

Die Herausforderungen, mit denen Aufsichtsräte konfrontiert sind, haben in den letzten Jahrzehnten stetig zugenommen. Ursache sind die zunehmende Komplexität der Geschäftstätigkeit sowie die vielfältigen zusätzlichen Aufgaben, die der deutsche und der europäische Gesetzgeber dem Aufsichtsrat nach und nach zugewiesen haben. In der Wahrnehmung des BDI hat sich die Rolle und Tätigkeit des Aufsichtsrats insbesondere bei größeren börsennotierten Unternehmen durch eine zunehmende Professionalisierung der Kontrollfunktion und eine größere Außenwirkung deutlich gewandelt. Trotz dieser Entwicklung sind die gesetzlichen Vorschriften über den Aufsichtsrat seit Inkrafttreten des Aktiengesetzes nur vereinzelt überarbeitet worden.

Im Jahr 2021 haben sich im „Arbeitskreis Recht des Aufsichtsrats“ daher Hochschullehrer und Anwälte mit Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern zusammengeschlossen, um Eckpunkte für eine Reform des Aufsichtsratsrechts zu erarbeiten (vgl. NZG 2021, 477 ff.).

Positive Bewertung der Initiative aus Sicht des BDI

Der BDI hält einen Großteil der Vorschläge zur Reform des Aufsichtsratsrechts für sachlich richtig oder zumindest für sinnvoll zur Erhöhung der Rechtssicherheit. Dies gilt insbesondere für die Eckpunkte zur Größe des Aufsichtsrats und zum Umgang mit Interessenkonflikten im Aufsichtsrat. Bei einer eventuellen Konkretisierung des Handlungsrahmens des Aufsichtsratsvorsitzenden sollte der Gesetzgeber jedoch generell berücksichtigen, dass je nach Unternehmens- und Eigentümerstruktur die Stellung des Aufsichtsratsvorsitzenden unterschiedlich geprägt sein kann. Eine evtl. gesetzliche Regelung sollte sich daher auf allgemeine Grundsätze beschränken, um den Unternehmen die notwendige Flexibilität zu belassen. Vor dem Hintergrund, dass die Bildung von Aufsichtsratsausschüssen in den vergangenen Jahren wesentlich zur Steigerung der Effektivität und Verbesserung der Qualität der Aufsichtsratsarbeit beigetragen hat, begrüßt der BDI auch die Eckpunkte zu den Aufsichtsratsausschüssen. Schließlich ist auch die gesetzliche Verankerung der wesentlichen Fragen des DCGK im Grunde sinnvoll. Insbesondere für Randbereiche des Aktienrechts oder bei nicht gefestigten Auffassungen ist der DCGK hingegen in der Praxis sehr wertvoll.

Einzelne Eckpunkte sind aus Sicht des BDI hingegen eher kritisch zu bewerten, da sie in sachlicher Hinsicht nicht für zielführend erachtet werden oder Details einzelner Sachverhalte besser dem Markt überlassen oder im Kodex geregelt werden sollten.

Kritische einzelne Eckpunkte

So wird im Hinblick auf die Konkretisierung der Aufgaben und Befugnisse des Aufsichtsrats eine Klarstellung, dass sich die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats nur auf Geschäftsführungsmaßnahmen von besonderer Bedeutung und grundlegende Fragen der Unternehmensorganisation bezieht (statt wie bisher pauschal auf „die Geschäftsführung“) für nicht zielführend erachtet. Dadurch könnten vielmehr neue Abgrenzungsfragen und Aufsichtslücken entstehen. Auch der Vorschlag zur gesetzlichen Regelung eines Direktinformationsrechts des Aufsichtsrats gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern wird unter den BDI-Mitgliedern weitgehend abgelehnt, da das Vertrauensverhältnis zum Vorstand und der „Betriebsfrieden“ Schaden nehmen könnten.

Aus Sicht des BDI besteht beispielsweise hinsichtlich der persönlichen Anforderungen an Aufsichtsratsmitglieder kein zwingendes gesetzliches Regelungsbedürfnis. Die entsprechenden Vorschläge sollten allenfalls im DCGK festgehalten werden.

Bisher wurden die Vorschläge aus dem Eckpunktepapier zur Reform des Aufsichtsratsrechts nicht vom Gesetzgeber aufgegriffen. Die Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht e. V. (VGR) hat sich des Themas jedoch im Juni 2024 erneut angenommen und im Rahmen einer umfassenden Reform des Aktiengesetzes aufgegriffen (nähere Informationen siehe unter 4.).

Zur Reform des Beschlussmängelrechts

Eine Reform des Beschlussmängelrechts wird seit Jahren von Experten und Expertinnen im Aktienrecht gefordert. Mit der Reform soll die Möglichkeit zum lebendigen Austausch in der Hauptversammlung geschaffen werden, ohne dass über der Aktiengesellschaft das Damoklesschwert der Anfechtung von mangelhaften Beschlüssen und die damit zwingende ex-tunc Nichtigkeit des Beschlusses hängt.

Der BDI unterstützt die Forderung nach einer Reform des Beschlussmängelrechts. Aus Sicht des BDI sollte die Reform zum Ziel haben, das rechtliche Risiko der Unternehmen für die Auskunftserteilung in der Hauptversammlung auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Die allseits geforderte offene und lebendige Debattenkultur in deutschen Hauptversammlungen ist nicht realistisch, wenn den Unternehmen bei der Auskunftserteilung weiterhin umfängliche prozessuale und haftungsrechtliche Risiken auferlegt werden, insbesondere in Hinblick auf die Wirksamkeit gefasster Beschlüsse. Eine Reform des Beschlussmängelrechts sollte jedoch mit Augenmaß erfolgen. Wichtige Elemente der derzeitigen Regelung – nicht zuletzt das mehrfach reformierte Freigabeverfahren – haben sich bewährt.

Vor diesem Hintergrund setzt sich die Industrie – in Anlehnung an Vorschläge des DJT und der VGR – für eine Reform des Beschlussmängelrechts ein und regt folgende punktuelle Änderungen des Beschlussmängelrechts an.

  1. Rechtsfolge der erfolgreichen Anfechtung eines fehlerhaften Beschlusses sollte nicht zwingend dessen Nichtigkeit mit ex-tunc Wirkung sein. Dem Gericht sollten alternative Rechtsfolgen zur Beschlusskassation wie die Nichtigkeit mit Wirkung ex-nunc, die Gewährung von Schadenersatz oder die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses zur Verfügung stehen. Die Rechtsfolge sollte durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung des Gerichts bestimmt werden. Es sollte ein Eilverfahren eingeführt werden, in dem das Gericht innerhalb von drei Monaten vorläufig darüber entscheidet, ob als Rechtsfolge eines fehlerhaften, eintragungsbedürftigen Beschlusses dessen Aufhebung mit Wirkung ex-tunc in Betracht kommt.
  2. Das Freigabeverfahren nach § 246a AktG sollte auf alle eintragungspflichtigen Beschlüsse erweitert werden.
  3. Der eigenständige Nichtigkeitstatbestand des § 241 AktG sollte erhalten bleiben, aber beschränkt und präzisiert werden, wobei insbesondere Verstöße gegen gläubiger- und gemeinwohlschützende Normen weiterhin erfasst sein sollten.
  4. Schadensersatz bei Klagemissbrauch: Kläger sollten der Gesellschaft gegenüber verantwortlich sein, wenn diese vorsätzlich oder grob fahrlässig unbegründete Anfechtungsklagen erhoben haben.

Im Mai 2024 wurde der Beschlussantrag „Für Rechtssicherheit und eine lebendige Hauptversammlung – Reformbedarf im Beschlussmängelrecht“ der CDU/CSU-Fraktion unter Federführung von Stephan Mayer, MdB, im Rechtsausschuss des Bundestages behandelt. Im Rahmen der Anhörung sprachen sich die Sachverständigen überwiegend für eine Reform des Beschlussmängelrechts aus. Allerdings wurden – wie erwartet – auch Stimmen laut, die die Reformbestrebungen mit der Begründung des Schutzes bestehender Aktionärsrechte ablehnten. Letztlich wurde der Beschlussantrag der CDU/CSU-Fraktion mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP abgelehnt.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erklärte jedoch man sei bereit, über notwendige Änderungen nachzudenken und arbeite an entsprechenden Vorschlägen. Die Bundesregierung wies dagegen darauf hin, dass aktuell nicht geplant sei, eigeninitiativ einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Ausblick

Eine Arbeitsgruppe aus 26 Expertinnen und Experten der Wissenschaftlichen Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht e. V. (VGR) hat im Juni 2024 umfassende Reformvorschläge für das Aktiengesetz vorgestellt (vgl. AG 2024, 377-393). Dabei wurden die Reformvorschläge zum Aufsichtsratsrecht und zum Beschlussmängelrecht aufgenommen und das gesamte Aktienrecht auf den Prüfstand gestellt.

Die Reformvorschläge der VGR befassen sich unter anderem mit folgenden Punkten:

  1. Vorschriften zur Verfolgung von Gemeinwohlbelangen (sogenannte „ESG“-Environmental Social Governance) sollen nicht Regelungsmaterie des Aktienrechts sein, sondern rechtsformunabhängig geregelt werden. 
  2. Ein beschränktes, gesetzliches Initiativrecht auf unverbindliche Say-on-Climate-Beschlüsse soll eingeführt werden.
  3. Gesellschaften soll eine Wahlmöglichkeit zwischen dualistischer und monistischer Verfassung eingeräumt werden.
  4. Digitalisierung und KI sollen nicht im Aktiengesetz geregelt werden.
  5. Mehrstimmrechtsaktien sollen zugelassen werden.
  6. Der Mindestnennbetrag des Grundkapitals soll angemessen erhöht werden.
  7. Das Aufsichtsratsrecht soll gemäß dem Eckpunktepapier (NZG 2021, 477) reformiert werden.
  8. Gesetzliche Vorgaben zugunsten einer Hybrid-Hauptversammlung sollen nicht vorgesehen werden.
  9. Es sollen Alternativen zur Beschlusskassation eingeführt werden. Die Rechtsfolge wird dabei nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung bestimmt. Ein Eilverfahren soll etabliert werden, um vorab darüber zu entscheiden, ob als Rechtsfolge eines fehlerhaften, eintragungsbedürftigen Beschlusses dessen Nichtigkeit mit ex-tunc Wirkung in Betracht kommt.
  10. Die zwingende Rechtsfolge der ex-tunc-Nichtigkeit bei bestimmten Mängeln im Jahresabschluss i.S.d § 256 AktG soll aufgegeben werden.
  11. Die Verjährungsfrist für börsennotierte Gesellschaften im Falle der Organhaftung, (§ 93 Abs. 6 AktG) soll verkürzt werden.
  12. § 118a AktG soll geändert werden, damit die Satzung ein Antragsrecht der Minderheitsaktionäre auf Durchführung einer Präsenzversammlung im Einzelfall vorsehen kann.
  13. Das Recht der Unternehmensfinanzierung im Aktiengesetz soll grundlegend reformiert werden.