Weißbuch zur Zukunft Europas: Fünf Szenarien
Im ersten Szenario „Weiter wie bisher“ konzentriert sich die EU darauf, die Gemeinschaft schrittweise weiter zu reformieren. Damit dürfte auch die Währungsunion nur in kleinen Schritten reformiert werden. Das zweite Szenario „Schwerpunkt Binnenmarkt“ sieht vor, dass sich die EU auf den gemeinsamen Binnenmarkt beschränkt. Als Konsequenz bliebe die Errichtung einer gemeinsamen wirtschaftspolitischen Governance wohl unvollendet und die Währungsunion damit weiterhin anfällig für Finanz- und Wirtschaftskrisen. Szenario drei „Wer mehr will, tut mehr“ bedeutet ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten, bei dem interessierte Mitgliedstaaten in ausgewählten Politikfeldern enger kooperieren. So könnten etwa die Eurostaaten die Integration des gemeinsamen Währungsgebietes weiter vorantreiben.
Die EU arbeitet im vierten Szenario „Weniger, aber effizienter“ in einer kleineren Zahl an Bereichen als bisher stärker zusammen. Die anderen Felder verbleiben in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Den Eurostaaten dürfte es jedoch schwerfallen, sich darauf zu verständigen, in welchen Feldern der Währungsunion sie über die Gewährleistung der Finanzstabilität hinaus zusammenarbeiten wollen. Im fünften und letzten Szenario „Viel mehr gemeinsames Handeln“ erhält die EU im Sinne eines europäischen Bundestaates deutlich mehr Kompetenzen und Finanzmittel. In der Folge könnte die Währungsunion zu einer echten Wirtschafts-, Finanz- und Fiskalunion mit einem eigenen Eurozonenhaushalt und einem eigenen Eurofinanzminister ausgebaut werden.
Gegenüber dem Fünf-Präsidenten-Bericht aus 2015 enthält das Weißbuch zur Zukunft Europas keine klare Richtungsentscheidung über die zukünftige Ausgestaltung der EU, sondern eine Hand voll Szenarien, wie sich die Europäische Union bis 2025 entwickeln könnte. Begriffe wie „immer engere Union“ oder „mehr Europa“ vermeidet es. Politik, Medien und Öffentlichkeit zeigten sich angesichts der Unbestimmtheit des Weißbuches gemischt. Viele erwarteten ein klareres Konzept seitens der Kommission, andere lobten hingegen den offenen Zugang zum Thema.
Das neutral gehaltene Weißbuch bietet nach Ansicht der Brüsseler Ökonomen einige Chancen. Denn jetzt sind die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, ihre Präferenzen zu äußern. Dies könnte eine offene und positive Debatte erzeugen. Ob und wie eines der Szenarien des Weißbuches letztlich umgesetzt wird, hängt voraussichtlich vom Ausgang der Wahlen in Frankreich und Deutschland und deren Bereitschaft ab, eine gemeinsame EU-Agenda zu verfolgen. Entscheidend ist, dass diese Agenda Strukturreformen in den Mittelpunkt rückt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu ermöglichen.