Klimaschutzpotenziale. © IStock / conceptualmotion

Wie Circular Economy das Klima schützt

Für die deutsche Industrie liegen Klimaschutz und Circular Economy in einer Hand. Dadurch entfalten sich zunehmend branchenübergreifend Potenziale für die Reduktion von Treibhausgasen. Warum es wichtig ist, für effektiven Klimaschutz Wertschöpfungskreisläufe unter die Lupe zu nehmen, erläutern die Experten Philipp Schlüter von TRIMET, Herwart Wilms von REMONDIS und Markus Steilemann von Covestro.

Sieben Tonnen CO2 pro 1000 Kilogramm Aluminium – so groß ist durchschnittlich das Einsparpotential im CO2-Fußabdruck zwischen Primär- und Sekundärmetall. Zum Vergleich: Knapp acht Tonnen CO2 wiegt auch der CO2-Rucksack, den die Bürger und Bürgerinnen in Deutschland durchschnittlich pro Kopf im Jahr 2019 angesammelt haben. Das CO2-Einsparpotential durch Sekundäraluminium ist längst bekannt. Für den Hersteller TRIMET Aluminium SE mit Hauptsitz in Essen ist die steigende Nachfrage nach Sekundäraluminium deutlich spürbar. Produkte mit Einsatz von „Aluminiumschrotten“ weisen bis zu 85 Prozent weniger CO2-Emissionen auf.

Entwicklung der Pro-Kopf-CO2-Emissionen in Deutschland in den Jahren 1990 bis 2019

Quelle: Statista

„Auch wenn es technisch möglich ist, 90 Prozent recyceltes Aluminium in der Produktion einzusetzen, muss erst einmal genug ‚Schrottmaterial‘ zur Verfügung stehen.“

Aluminium ist sehr langlebig. Laut Philipp Schlüter, Vorstandsmitglied der BDI-Initiative Circular Economy und Vorstandsvorsitzender der TRIMET Aluminium SE, ist dies Fluch und Segen zugleich. Für den Einsatz von Sekundäraluminium zum Wohle des Klimas muss das Material erst in den Kreislauf zurückgeführt werden. Das im Automobil verbaute Aluminium ist beispielsweise durchschnittlich erst wieder nach 15 Jahren verfügbar. Im Bausektor ist das Leichtmetall sogar bis zu 50 Jahre gebunden. Für die Erneuerbare-Energieanlagen, Speicher und Netze werden immer mehr Metalle und Mineralien benötigt, allen voran Aluminium. Solarpanels sind zwischen 30 und 50 Jahren in Gebrauch, bevor das Material zurückkommt.

Im Sinne der Circular Economy ist Langlebigkeit ein zurecht erwünschtes Produktmerkmal. Mit dem steigenden Bedarf nach Sekundäraluminium entstehen jedoch Zielkonflikte. „Auch wenn es technisch möglich ist, 90 Prozent recyceltes Aluminium in der Produktion einzusetzen, muss erst einmal genug ‚Schrottmaterial‘ verfügbar sein”, so Philipp Schlüter. Schon heute übersteigt der Bedarf an Aluminium die verfügbaren Schrottmengen deutlich und die Nachfrage wächst stetig weiter. Zur Vermeidung dieses Zielkonflikts kommt dem Produktdesign eine Schlüsselrolle zu. Schlüter betont: „Bei einer Recyclingquote von 90 Prozent für Aluminium müssen wir uns bereits von Anfang an überlegen, wie wir die letzten zehn Prozent erschließen“. Im Automobilsektor gibt es beispielsweise 50 verschiedene Aluminiumlegierungen für die Produktion. Sortierung und Einsatz der verbliebenen zehn Prozent werden aufgrund der hohen Materialanforderungen erheblich erschwert und können daher oft nur durch Zulegierung von Primäraluminium erreicht werden. 

„Wenn wir die ‚Circular Material Use Rate‘ in Deutschland verdoppeln würden, könnten wir 60 Millionen Tonnen CO2 einsparen.“

Circular material use rate in the EU, 2020

Quelle: ec.europa.eu/eurostat

Herwart Wilms ist ebenfalls Vorstandsmitglied der BDI-Initiative Circular Economy und Geschäftsführer von REMONDIS Assets & Services GmbH & Co. KG. Das Unternehmen ist einer der weltweit bedeutendsten Dienstleister für Recycling und Entsorgung, Logistik, Service und Wasser. Er denkt: „Die Einsatzquote von Recyclingrohstoffen in den Produktionsprozessen (Circular Material Use Rate) liegt für Europa derzeit bei etwa zwölf Prozent. Wenn wir allein in Deutschland die Einsatzquote verdoppeln würden, könnten wir 60 Millionen Tonnen CO2 einsparen".

Einen „Nachfrage-Booster“ können wir aus eigener Kraft gestalten, beispielsweise in der öffentlichen Hand. Einkäufer benötigen dafür jedoch einen Hinweis, wie die Produkte hergestellt wurden. Dies könnte in Anlehnung an die Ampelfarben beim Energielabel für Elektrogeräte erfolgen. „Wir könnten hier nicht nur fragen‚ wie grün das Produkt beim Energieverbrauch ist, sondern auch wie recycelbar und wie hoch der recycelte Anteil ist”, so Herwart Wilms. Ähnlich wie Schlüter sieht auch Wilms den Schlüssel im Produktdesign: „Jeder Stoff, der mit anderen Stoffen verbunden wird und nicht mehr zu trennen ist, ist für das Recycling heute verloren“. Er verdeutlicht dies am Beispiel von Windrädern: „Diese sind meist aus Verbundmetallen hergestellt, die sich nicht trennen oder verbrennen lassen.“

Für Wilms braucht es für eine Rohstoffschonung alle Verfahren des Recyclings. Letztendlich geht es darum, gute und wettbewerbsfähige Produkte für den internationalen Markt zu entwickeln. Er nennt hier die chemische Industrie ebenfalls als Impulsgeber für die Circular Economy. Diese begreife auch CO2 als wichtigen Rohstoff. 

„Durch effizientere Prozesse und eine CO2-ärmere Energieversorgung konnte die Chemie-Industrie von 1990 bis 2018 ihre Treibhausgasemissionen bereits halbieren, während die Produktion um drei Viertel zunahm.“

Sie stecken in Windrädern und Solaranlagen, sie bringen Elektroautos erst in Fahrt und helfen, Gebäude mit so wenig Energie wie möglich zu heizen und zu kühlen: Ohne chemische Produkte und insbesondere Kunststoffe ist eine wirklich nachhaltige Zukunft nicht möglich, meint Markus Steilemann, Vorstandsvorsitzender des Polymerherstellers Covestro und Vorstandsmitglied der BDI-Initiative Circular Economy: „Die Chemieindustrie steht bereit, Deutschland und die Welt auf dem Weg zur Klimaneutralität maßgeblich zu unterstützen.“ Doch auf der anderen Seite ist die drittgrößte Branche des Landes selbst nach wie vor recht energie- und klimaintensiv. Zwar wurden in den vergangenen Jahrzehnten große Erfolge erzielt: Durch effizientere Prozesse und eine CO2-ärmere Energieversorgung konnte die Chemie-Industrie von 1990 bis 2018 ihre Treibhausgasemissionen bereits halbieren, während die Produktion um drei Viertel zunahm. Doch steht der Sektor mit rund 56 Millionen Tonnen noch für etwa sieben Prozent des gesamten Ausstoßes an Treibhausgasen in Deutschland.  

„Das muss und das kann sich ändern“, sagt Steilemann. Der Sektor habe das ehrgeizige Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden. Dazu hat die Branche eine detaillierte Untersuchung vorgenommen. Das Ergebnis: Technologisch ist es absolut möglich. Aber dafür muss sich die Branche sehr stark wandeln, und hier wiederum sind unbedingt bessere Rahmenbedingungen nötig. Insbesondere brauchen wir riesige Mengen an erneuerbarem Strom zu einem sehr günstigen Preis – ab Mitte der 2030 Jahre etwa in dem Umfang der momentanen Stromproduktion in ganz Deutschland. Nur dann kommen die Investitionen in die neuen nötigen Technologien überhaupt zustande. Steilemann: „Beim Ausbau der erneuerbaren Energien herrschte viel zu lange Stillstand. Jetzt muss die neue Bundesregierung den Turbo zünden.“

Vor allem aber brauchen wir eine übergeordnete Idee, einen Rahmen, in dem die Transformation der Chemie- und Kunststoffindustrie stattfindet. „Das ist für mich das Konzept der Kreislaufwirtschaft, auf die sich Covestro komplett ausrichtet“, sagt CEO Steilemann. Um die Produktion klimaneutral zu machen, müsse die Chemie- und Kunststoffindustrie die fossile Basis verlassen und Rohstoffe und Energie aus anderen, umweltgerechten Quellen beziehen. „Das ABC der erneuerbaren Ressourcen lautet: Abfall, Biomasse und CO2. Wenn wir dieses neue Kapitel aufschlagen, wird es uns gelingen, Kohlenstoff im Kreislauf zu führen statt ihn zu verbrennen“, so Steilemann. Zirkularität heißt aber auch, Produkte so zu konzipieren, dass sie länger halten, einfach zu reparieren sind und am Ende ihres Lebens bestmöglich recycelt werden können. Hier ist aus Sicht des Covestro-Chefs noch viel zu tun. Insbesondere müsse das chemische Recycling vorangebracht werden.