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Zwischen europäischem Grünen Deal und einer Wirtschaft im Dienste der Menschen

Ende Februar 2022 hat die EU-Kommission einen Entwurf für eine Richtlinie für Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937 vorgelegt. Für die europäischen Unternehmen ergeben sich aus den geplanten EU-Vorschriften weitreichende Pflichten, inklusive finanzieller Sanktionen im Falle von Verstößen sowie einer zivilrechtlichen Haftung für entstandene Schäden, die ihre globale Wettbewerbsfähigkeit deutlich gefährden.

Ziel der EU-Kommission ist es, dass die geplante Richtlinie ein nachhaltiges und verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln im Bereich der Menschenrechte und der Umwelt in allen Wertschöpfungsketten innerhalb und außerhalb der EU fördert. Der Vorschlag steht im Kontext von zwei politischen Prioritäten der EU-Kommission unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Der europäische Grüne Deal sowie eine Wirtschaft im Dienste der Menschen. Der europäische Grüne Deal ist ein Konzept, das das Ziel verfolgt, bis 2050 in der EU die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent „klimaneutral“ zu werden. Eine Politik im Dienste des Menschen ist ein Konzept der EU-Kommission, wonach es den Menschen und Unternehmen der EU nur dann gut geht, wenn sich die Wirtschaft in ihren Dienst stellt.

Zur Verwirklichung dieser beiden politischen Ziele hat die EU-Kommission zahlreiche EU-Vorschläge erarbeitet. Neben dem Richtlinienvorschlag für Sorgfaltspflichten von Unternehmen in Bezug auf die Nachhaltigkeit gehören hierzu der Richtlinienvorschlag zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, die Taxonomie-Verordnung, die Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer, die Richtlinie über Sanktionen gegen Arbeitgeber, die Verordnung über Mineralien aus Konfliktgebieten sowie die aktuellen Vorschläge für eine EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten und eine Verordnung über das Verbot der Einfuhr von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, auf dem Unionsmarkt.

Eckpunkte des Kommissionsvorschlags

Gegenstand der Richtlinie sind nach Art. 1 Vorschriften über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Bezug auf tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt in Bezug auf ihre eigenen Geschäftstätigkeiten, die Geschäftstätigkeit ihrer Tochterunternehmen und die im Rahmen etablierter Geschäftsbeziehungen ausgeführten Tätigkeiten in der Wertschöpfungskette. Vom persönlichen Anwendungsbereich gilt die Richtlinie nach Art. 2 für Unternehmen, die nach den Vorschriften eines EU-Mitgliedstaates bzw. denen eines Drittstaates gegründet wurden und verschiedene Schwellenwerte bezüglich ihrer Mindestmitarbeiterzahl sowie Nettoumsatzzahlen erfüllen. 

Die Richtlinie enthält auch Haftungsvorschriften für Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten, Art. 1 b) i.V.m. Art. 22 sowie In Art. 3 des Vorschlags werden zahlreiche Begriffe der Richtlinie näher definiert. So bezeichnet laut Art. 3 g) der Begriff der Wertschöpfungskette im Allgemeinen Tätigkeiten in Zusammenhang mit der Produktion von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen durch ein Unternehmen, einschließlich der Entwicklung des Produkts oder der Dienstleistung und der Verwendung und Entsorgung des Produkts sowie der damit verbundenen Tätigkeiten im Rahmen vor- und nachgelagerter Geschäftsbeziehungen des Unternehmens. Für beaufsichtigte Finanzunternehmen sind bestimmte Modifizierungen hierzu vorgesehen. 

Gesellschaftsrechtliche Bestimmungen in Bezug auf die Sorgfaltspflichten der Geschäftsleitung eines Unternehmens sind in den Art. 15, 25 und 26 geregelt. Nach Art. 15 müssen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass bestimmte Unternehmen einen Plan festlegen, mit dem sie sicherstellen, dass das Geschäftsmodell und die Unternehmensstrategie mit der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad gemäß dem Pariser-Übereinkommen vereinbar sind. Art. 25 legt die Sorgfaltspflicht der Mitglieder der Unternehmensleitung dar. Art. 26 verpflichtet die Mitglieder der Unternehmensleitung von EU-Unternehmen, die Umsetzung von Verfahren und Maßnahmen zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und die Anpassung der Sorgfaltspflicht an die Unternehmensstrategie einzurichten und zu überwachen. 

Kritikpunkte und Forderungen des BDI

Die deutsche Industrie fordert von der Politik, sowohl national als auch auf europäischer Ebene, eine ausgewogene EU-Richtlinie zu erarbeiten, die für europäische Unternehmen in einer ohnehin schon sehr angespannten Lage praktikabel ist und insbesondere die nachfolgenden Bedenken berücksichtigt. 

1. Anpassung des Anwendungsbereichs erforderlich: 

Verpflichtungen müssen sich auf die Lieferkette, statt auf die Wertschöpfungskette und hier auf den direkten Zulieferer beschränken. Für Unternehmen ist es sehr schwierig, wenn nicht sogar praktisch unmöglich, die gesamte Wertschöpfungskette zu kontrollieren, und zwar sowohl auf der vorgelagerten – upstream – (Lieferantenseite) als auch auf der nachgelagerten -downstream - (z. B. Kunden, Einzelhändler, Produkt im Gebrauch) Seite. Ein solcher Ansatz ist sowohl vom Umfang als auch von der Zeit her unbegrenzt. Unternehmen können die Verwendung ihrer Produkte durch ihre Kunden nicht kontrollieren, auch wenn sie Anweisungen geben können. Auch die Sorgfaltspflichten korrespondieren eher mit Liefer- als mit Kundenbeziehungen. 

Wichtig ist daher, einen klar und rechtssicher abgegrenzten Lieferkettenbegriff einzuführen, der auf die direkten Zulieferer („tier 1“) beschränkt ist. Denn Unternehmen haben keine Kenntnisse über die (weiter entfernt liegenden) Glieder der Kette. Neben einer stark eingeschränkten Transparenz bei den indirekten Lieferanten ist die Einflussnahme auf diese auch nur sehr eingeschränkt möglich, zumal es keine direkten Vertragsbeziehungen gibt.

Zwingende gesetzliche und sanktionsbewehrte Anforderungen müssen daher auf direkte Lieferanten beschränkt werden, mit denen die Unternehmen direkte vertragliche Beziehungen und damit tatsächlich Einfluss haben. 

Eine „Geschäftsbeziehung“ kann es rechtlich nur zwischen (unmittelbaren) Vertragspartnern geben. Wenn man den Anwendungsbereich auf die unmittelbaren Lieferanten begrenzt, besteht auch keine Notwendigkeit mehr für das schwer zu handhabende Merkmal der „etablierten Geschäftsbeziehung“. Denn dieser Begriff der „etablierten Geschäftsbeziehung“ würde weitere Abgrenzungsprobleme und somit Rechtsunsicherheit bringen.

2. Zivilrechtliche Haftung, wie sie in Art. 22 des Vorschlags formuliert ist, sollte gestrichen werden.

Die von der Kommission vorgeschlagene Regelung würde zu umfassenden, unklaren und unverhältnismäßigen zivilrechtlichen Haftungsvorschriften führen. Eine neue Haftungsnorm darf durch den Kommissionsvorschlag nicht geschaffen werden. Unternehmen können nur für ihre eigenen Aktivitäten in der Lieferkette haften, nicht für die Aktivitäten ihrer direkten oder indirekten Geschäftspartner. Daher sehen auch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ebenso wie die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte keine zivilrechtliche Haftung vor. Sollte eine Streichung der Vorschrift nicht durchsetzbar sein, ist in jedem Falle eine Anpassung erforderlich.

Unternehmen können nur für eigene Aktivitäten haftbar sein, nicht jedoch für diejenigen ihrer Geschäftspartner oder deren Lieferanten. Jede zivilrechtliche Haftung muss dort enden, wo das Handeln eines rechtlich selbständig handelnden Dritten dazwischentritt. Eine Haftung knüpft nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen immer an ein schuldhaftes und für den Schaden kausales Pflichtversäumnis an. Es gibt keinen sachlichen Grund, hiervon abzuweichen. 

Die prioritäre Durchsetzung der Sorgfaltspflichten sollte vielmehr durch staatliche Sanktionen in Form von Bußgeldern erfolgen. 

3. „Safe harbour“ Regelungen müssen geschaffen werden: Innerhalb Europas sollte keine Risikoanalyse bzgl. Menschenrechtswidrigkeiten invorgenommen werden müssen.

Irritierend ist schließlich, dass die weitreichenden Verpflichtungen für Unternehmen auch innerhalb der Europäischen Union gelten sollen. Dabei sollte hier davon auszugehen sein, dass die im Anhang des Entwurfs aufgeführten Menschenrechts- und Umweltstandards von den Mitgliedsstaaten garantiert bzw. durchgesetzt werden. Es erscheint unverhältnismäßig, den Unternehmen dieselben Verpflichtungen für alle ihre Geschäfte innerhalb der EU aufzuerlegen. Daher sollte die Richtlinie eine sog. Safe Harbour Regelung enthalten, wonach Unternehmen in Ländern, in denen ein hohes Schutzniveau an gesetzlichen Standards bereits besteht, bereits von den Sorgfaltspflichten befreit werden, sodass ihnen klar ist, dass sie ihre Prüfpflichten erfüllen. Dies sollte etwa für die Länder des Europäischen Wirtschaftsraums gelten sowie für die USA, Kanada und Japan.

Darüber hinaus ist es wichtig, Industrieinitiativen iSv Art. 3j) anzuerkennen, wie bereits im Kommissionsvorschlag als Begleitmaßnahmen iSv Art. 14 Abs. 4 vorgesehen. Hier sollte eine weitergehende Anpassung dahingehend erfolgen, dass auch die Industriemaßnahmen ausdrücklich Safe Harbour-Regelungen im .g. Sinne darstellen, mit der Folge, dass die Erfüllung der Sorgfaltspflichten in diesen Fällen vermutet wird. Sofern Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung beibehalten werden, sollten Safe Harbour-Regelungen zu einer Haftungserleichterung für Unternehmen führen und die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken. Dies schafft auch Anreize für Unternehmen, passgenaue Lösungen zu entwickeln. 

Verfahrensstand Dezember 2022

Seit September hat das Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene mit rasantem Tempo Fahrt aufgenommen. Die drei EU-Institutionen, insbesondere die EU-Kommission, streben an, bereits Mitte 2023 in offizielle Trilog-Verhandlungen einzutreten.

Die Mitgliedstaaten haben im Rat unter Leitung der tschechischen Ratspräsidentschaft und auf Druck der EU-Kommission den Richtlinienentwurf seit September 2022 in einem etwa zweiwöchigem Rhythmus beraten und beim Wettbewerbsfähigkeitsrat am 1.12.2022 eine sog. Allgemeine Ausrichtung (politische Einigung) zu wesentlichen Eckpunkten des Kommissionsvorschlags beschlossen.

Auch im Europäischen Parlament hat die für das Dossier im federführenden Rechtsausschuss zuständige Berichterstatterin Lara Wolters von der S&D-Partei Mitte November ihren Entwurf für einen modifizierten Text des Kommissionsvorschlags vorgelegt. Bis Ende November können die EU-Parlamentarier Änderungsanträge einreichen. Im Januar 2023 wird hierüber im 
Rechtsausschuss beraten, im März 2023 dann im Rechtsausschuss abgestimmt werden sowie im Mai 2023 im Plenum des Europäischen Parlaments