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Net-Zero Industry Act – rüstet sich Europa so für die Energiewende?

Mit der Vorstellung des Net-Zero Industry Acts setzt die EU den Rahmen, der die industrielle Klimatransformation stärken und beschleunigen soll. Die EU-Kommission sieht die Verordnung sowohl als eine Reaktion auf die immensen Herausforderungen, die die Energiewende mit sich bringt, als auch als eine Antwort auf den Inflation Reduction Act der US-Regierung.

Europa steht vor riesigen Herausforderungen: Die Transformation unserer Wirtschaft hin zur Klimaneutralität erfordert rasche und immense Investitionen und wird Unternehmen auf das Äußerste fordern. Zugleich erschweren die multiplen Krisen und der harte globale Wettbewerb diesen Übergang. Die Kommission hat auf diese Herausforderungen und Initiativen wie den Inflation Reduction Act der US-Regierung reagiert. Als Teil des Green Deal Industrial Plan (GDIP) vom Februar hat sie Mitte März 2023 den „Net-Zero Industry Act“ (NZIA; deutsch: Netto-Null-Industrie-Verordnung) vorgestellt.

Produktion von europäischen Net-Zero-Technologien stärken

Mit dem Gesetzesvorschlag will die Kommission „die Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Produktion von emissionsfreien Technologien in der EU stärken und unser Energiesystem sicherer und nachhaltiger machen“. Ziel der Verordnung sei es, die Bedingungen für Net-Zero-Projekte in Europa zu verbessern und Investitionen zu erleichtern, so die Kommission in ihrem Vorschlag. Für acht Technologien, darunter Photovoltaik, Windenergie, Batterien, Wärmepumpen oder Netztechnologien, soll Europa zugleich seine Technologieführerschaft sichern beziehungsweise zurückgewinnen.

Doch wird der NZIA diesen sehr ehrgeizigen Ansprüchen und Wünschen gerecht?

Ein Schritt in die richtige Richtung, aber …

Die Initiative der Kommission ist grundsätzlich richtig, flankiert sie doch den bislang klima- und umweltpolitisch fokussierten Green Deal der EU durch eine dringend benötigte industriepolitische Perspektive. Mit der Definition der acht Net-Zero-Technologien adressiert die Kommission zu Recht die Notwendigkeit, ausreichende industrielle Kapazitäten für die Herstellung dieser Technologien zu gewährleisten, damit die Energie- und Klimawende gelingt. Wie dies konkret geschehen soll, bleibt jedoch vage.

Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass die EU-Kommission den Anwendungsbereich des Net-Zero Industry Acts um RFNBOs (Renewable fuels of non-biological origin) und Sustainable Alternative Fuels erweitert hat. Insbesondere der Verweis in der Fußnote auf ReFuelEU Aviation und FuelEU Maritime ist positiv zu bewerten. Um eine Gleichstellung aller Kraftstoffe zu erreichen, empfiehlt der BDI, den Verweis entsprechend ebenfalls um einen Hinweis auf die Renewable Energy Directive (RED) zu ergänzen.     

Beschleunigung von Genehmigungsverfahren

Der Vorschlag der Kommission sieht Maßnahmen vor, die Investitionen erleichtern sollen:

  • Verringerung des Verwaltungsaufwands für konkrete Projekte
  • Vereinfachung von Genehmigungsverfahren
  • Vorrang für strategische klimaneutrale Projekte  

Letzteres bezieht sich auf Vorhaben die für die Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie als wesentlich erachtet werden. Für diese Projekte sollen nach dem Wunsch der EU-Kommission noch kürzere Genehmigungsfristen und gestraffte Verfahren gelten. GDIP/NZIA/TCTF (Temporary Crisis and Transition Framework) ermöglichen wohl auch steuerliche Anreize, die Höhe ist aber unklar. Geschäftsmodelle sind also schwer zu kalkulieren, was hoch risikoreiche Investitionsentscheidungen eben nicht befördern dürfte.

Des Weiteren will die Kommission, dass die Mitgliedstaaten zwingend CO2-Speicherstätten ausweisen und deren Nutzung vorantreiben. Bis 2030 soll ingesamt eine jährliche Speicherkapazität von 50 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr erreicht werden. So soll der Abscheidung und Speicherung von CO2 als wirtschaftlich tragfähiger Lösung zum Durchbruch verholfen werden.

Als weitere Maßnahmen sieht der Net-Zero Industry Act zum einen die Verbesserung der Qualifikationen von Arbeitskräften vor, um die Produktion von Netto-Null-Technologien in der EU zu gewährleisten, zum anderen erhalten Mitgliedstaaten die Möglichkeit, durch spezielle flexible Regelungsrahmen („regulatory sandboxes“) Innovationen zu stimulieren. In solchen Reallaboren können die Staaten innovative Technologien beschleunigt testen und so schneller zur Marktreife bringen.

Genehmigungsverfahren als Hindernis für die Klimatransformation

Wichtigste Säule des NZIA ist die Straffung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Bislang verzögern Planungs- und Genehmigungsverfahren allzu häufig die Transformation der Industrieunternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität. Lange Verfahrensdauern, aufwändige Vorbereitungen für Genehmigungsanträge oder fehlendes Personal in Behörden beziehungsweise in den Unternehmen sind die Hauptursachen.

Ursache sind nicht nur strukturelle Probleme, etwa ein komplexes nationales Verfahrensrecht wie in Deutschland, sondern auch das Gemeinschaftsrecht. Europäisches Wasser-, Naturschutz- und Immissionschutzrecht enthält immer komplexere Umweltschutzanforderungen und umfangreichere Berichtspflichten für Unternehmen.

Es müssen noch viele Weichen richtiggestellt werden

Die deutsche und die europäische Wirtschaft, insbesondere das verarbeitende Gewerbe, stehen vor sehr großen Herausforderungen im globalen Wettbewerb. Die Energiekosten für Unternehmen sind deutlich höher als in Nordamerika oder China und die steuerliche Belastung der Erträge ist hoch. Die Alterung der Gesellschaft wird das Wachstumspotenzial in einigen Ländern der EU früher und deutlicher senken als in den USA. Der Technologiewettbewerb ist immer hart umkämpft, mit einem deutlich höheren Subventions- und Schutzniveau als früher.

Eine höhere militärische und wirtschaftliche Sicherheit (in der Verteidigungswirtschaft, beim Rohstoffbezug, dem Ausbau der Erneuerbaren, der Resilienz im Gesundheitswesen und vielen anderen Feldern) erfordert von Unternehmen und der öffentlichen Hand einen deutlich höheren Ressourceneinsatz. Dies führt dazu, dass der Standort EU in vielen Feldern unter ganz erheblichen Druck geraten ist. In diesen Zeiten wäre es daher umso wichtiger, kluge, balancierte politische Strategien zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen am Standort Europa zu verfolgen. In allen Feldern, von den Steuern und der Regulierung über den Klimaschutz bis hin zu Geschäftserfolg durch Innovation und Digitalisierung, existieren enorme Herausforderungen, die Europa nur durch hohe private und öffentliche Investitionen bewältigen kann. Damit diese realisiert werden (können), muss die Kommission sehr zügig noch viele politische Weichen stellen.

Die nächsten Schritte

Der Berichterstatter im federführenden EU-Industrieausschuss ITRE, Christian Ehler, EVP, hat seinen Berichtsentwurf Ende Mai vorgelegt. Er fordert weitreichende Änderungen im Gesetzesvorschlag. Dieser sei zwar angelegt als Antwort auf den US-Inflation Reduction Act, als solche könne der Vorschlag aber nicht gelten. Im Gesetzgebungsverfahren müssen jetzt Rat und Europäisches Parlament darüber befinden, wie der Net-Zero Industry Act so verbessert werden kann, dass er die dringend benötigte regulatorische Sicherheit schafft. Die Unternehmen, so viel ist klar, brauchen eine schnelle Perspektive, um die erforderlichen Investitionsentscheidungen rasch treffen zu können. Geplant ist, den NZIA im Herbst, jedenfalls noch vor Jahresende, zu verabschieden.