Das industrielle Metaverse – Chancen für die Industrie
Die digitale Transformation der Industrie schreitet voran und stellt einen entscheidenden Wendepunkt dar. Eine der Standardanwendungen in diesem Bereich ist Cloud Computing: Laut einer Studie des Branchenverbands Bitkom setzen fast 96 Prozent der deutschen Industrieunternehmen diese Technologie bereits ein – mehr als die Hälfte (56 Prozent) nutzt Automatisierungsverfahren. Das Schlagwort in diesem Zusammenhang lautet Industrie 4.0. Die die Vernetzung von Geräten und Maschinen macht es möglich, Daten in Echtzeit zu erfassen, zu analysieren und zu nutzen, um Effizienz, Produktivität und Kundenerfahrung zu verbessern. Das industrielle Metaverse ist die nächste Stufe der digitalen industriellen Revolution, die physische und die virtuelle Welt verschmelzen vollständig und interagieren miteinander. Zurzeit befindet sich das industrielle Metaverse noch in einer frühen Entwicklungsphase und entsteht aus dem Zusammenführen zahlreicher etablierter und neuer Technologien.
Die drei Bereiche des Metaverse
Obwohl das Metaverse oft als eine einzige, allumfassende digitale Welt dargestellt wird, gibt es im Wesentlichen drei verschiedene Bereiche: das kommerzielle Metaverse, das Verbraucher-Metaverse und das industrielle Metaverse. Alle drei unterscheiden sich in Bezug auf die Nutzerinnen und Nutzer und den Zweck. Das kommerzielle und das Verbraucher Metaverse sind virtuelle Welten, die vor allem auf Endverbraucherinnen und -verbraucher ausgerichtet sind. Sie ermöglichen es Benutzerinnen und Benutzern digitale Avatare zu erstellen und mit anderen in einer gemeinsamen virtuellen Umgebung zu interagieren. Von virtuellen Konferenzen und Konzerten bis hin zu Shopping-Erlebnissen – die Möglichkeiten sind vielfältig.
Das industrielle Metaverse ist die Vision einer erweiterten Realität für die Industrie, die virtuelle und die reale Welt miteinander verbindet. Das Ziel: Produktentwicklung, Herstellung, Wartung und Betrieb von Produkten und Anlagen durch den Einsatz von Virtual- und Augmented-Reality-Technologien zu revolutionieren und dadurch zu höherer Effizienz, Produktivität und Qualität in der Industrie zu führen. Das Herzstück des industriellen Metaverse werden digitale Zwillinge sein: virtuelle Repräsentationen von physischen Objekten, Prozessen oder Systemen, die in Echtzeit mit ihrem realen Gegenstück interagieren. Sie werden in der Industrie eingesetzt, um die Effizienz und Qualität von Produkten und Prozessen zu verbessern. Bereits jetzt reduzieren erste Unternehmen ihre Kapital- und Betriebskosten durch den Einsatz von digitalen Zwillingen um zehn Prozent.
Funktionsweise des industriellen Metaverse
Das industrielle Metaverse ist das Metaverse für industrielle, sogenannte Business-to-Business-Einsatzbereiche. Es entsteht durch die Kombination der digitalen mit der realen Welt, indem komplexe Systeme wie Maschinen, Fabriken und Städte originalgetreu abgebildet und simuliert werden. Dadurch können Nutzerinnen und Nutzer in einer genauen virtuellen Darstellung der Realität interagieren und reale Probleme lösen. Die Funktionsweise basiert auf der Verwendung von fortschrittlichen Technologien wie digitalen Zwillingen, Künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen, Augmented Reality (AR), Cybersicherheit und Blockchain sowie Cloud- und Edge-Computing. Die Konvergenz dieser Technologien wird zu einer leistungsfähigen Schnittstelle führen, die über die Fähigkeiten jeder einzelnen Technologie hinausgeht und die Kluft zwischen der physischen und digitalen Welt überbrückt.
Potenziale des Industriellen Metaverse
Das industrielle Metaverse hat das Potenzial einen entscheidenden Beitrag zu Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und der Lösung gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen zu leisten. Durch die genaue Abstimmung der Technologie auf die jeweiligen Anwendungsfälle ist es möglich, die Nachhaltigkeit in der Industrie zu verbessern. Digitale Zwillinge realisieren virtuelle Tests in allen Lebenszyklus-Phasen ohne Ressourcen zu verschwenden. Bereits jetzt ist es durch den Einsatz von digitalen Zwillingen bei Gebäuden möglich, die CO2-Emmissionen um 50 Prozent zu reduzieren. Zudem kann die Produktion durch Feedbackschleifen kontinuierlich optimiert und angepasst werden, um Energie zu sparen und Emissionen zu reduzieren. Neben der Verbesserung der Nachhaltigkeit industrieller Prozesse kann das Industrielle Metaverse auch einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit leisten, indem es Kosten einspart und die Produktivität steigert. Es ist jedoch nicht nur die Industrie, die profitiert. Durch den ständigen Austausch von Daten und Informationen wird es möglich sein, hochkomplexe Probleme digital zu lösen – ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft, indem das industrielle Metaverse eine Plattform für die Entwicklung und Testung umweltfreundlicher Technologien und Verhaltensweisen bietet, könnte es beispielsweise Katalysator neuer Lösungsansätze für den Klimawandel sein.
Kein europäischer Alleingang
Anfang April 2023 hat die Europäische Kommission eine explorative Konsultation zu virtuellen Welten initiiert. Angesichts der rapiden Weiterentwicklung virtueller Welten und des Web 4.0 erachtet es die EU-Kommission als erforderlich, die Notwendigkeit zur Regulierung virtueller Welten zu evaluieren. Mit dem AI Act, der Datenschutzgrundverordnung und diverser anderer Richtlinien und Verordnungen hat die EU bereits einen starken Rechtsrahmen geschaffen, der potenzielle Bereiche des industriellen Metaverse abdeckt. Aktuell und prüft die EU-Kommission weitere Regulierungsbedarfe.
Während digitale Zwillinge und viele andere Bausteine des Metaversums bereits existieren, gibt es einige große Herausforderungen, wie z. B. die Bereitstellung einer angemessenen Konnektivität (5G und 6G) sowie von Datenverarbeitungsinfrastrukturen. Das industrielle Metaverse steckt somit in einer frühen Entwicklungsphase. Europäische Unternehmen betreiben derzeit viel Forschung und Entwicklung, um bestehende Technologien, wie digitale Zwillinge und Blockchains, zu einem vollwertigen industriellen Metaverse verschmelzen zu lassen. Daher ist es aus Sicht der deutschen Industrie essenziell, dass die EU in dieser Phase auf eine Regulierung verzichtet, um Innovation nicht im Keim zu ersticken. Die deutsche Industrie begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, einen proaktiven Ansatz zu verfolgen und die Entwicklung des Ökosystems der virtuellen Welten auf der Grundlage europäischer Werte zu gestalten. Ein unilateraler europäischer Verstoß ist jedoch nicht angemessen. Stattdessen fordern wir die Europäische Kommission auf, gemeinsam mit der europäischen Industrie zu internationalen Normungs- und Standardisierungsbemühungen beizutragen. Zudem ist eine Unterscheidung zwischen B2B- und B2C-Anwendungsfeldern unerlässlich.