Die Besteuerung internationaler Digitalkonzerne wird seit langem diskutiert. Steht der Durchbruch für eine weltweite Steuerreform bevor? Webtalk vom 21.10.20 mit Martin Kreienbaum (BMF), Prof. Wolfgang Schön (Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen), Oliver Nußbaum (BASF), Tim Zech (Daimler) und Dr. Monika Wünnemann (BDI).

Digitalsteuer oder globale Mindestbesteuerung – Durchbruch für eine weltweite Steuerreform?

Wie sollen global agierende Digitalkonzerne besteuert werden? Eine große internationale Steuerreform soll auf Betreiben der OECD den Umgang mit multinationalen Konzernen regeln, die Geschäfte mit immateriellen Wirtschaftsgütern tätigen. Anfang Oktober trafen sich die G20-Finanzminister, um über die Steuerreform zu beraten. Kommt es nun zum Durchbruch? Was würde diese Steuerrevolution für Deutschland bedeuten?

Anfang Oktober einigten sich die Finanzminister der G20 darauf, der Steuerreform der OECD eine weitere Chance zu geben. Die Zeit für Verhandlungen wurde bis Mitte 2021 verlängert. Kurz zuvor hatten sich die 137 an der Verhandlung beteiligten Länder auf ein Grundgerüst für eine globale Steuerreform geeinigt, an welchem die OECD seit Monaten arbeitet. 

Dass es trotz der zunehmenden Tendenz zu unilateralen Handlungen gelingt, „mit mehr als 130 Staaten eine gemeinsame Position zu formulieren“ sei sehr erfreulich, unterstreicht Prof. Wolfgang Schön, Direktor am Max-Planck-Institut München für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, beim BDI Steuer-Webtalk am 21. Oktober. „Das ist eine große intellektuelle und diplomatische Leistung.“

Zwei-Säulen-Konzept

Das OECD-Konzept baut auf zwei Säulen auf: Erstens einer globalen Mindeststeuer und zweitens einer neuen Verteilung der Besteuerungsrechte auf digitale Dienstleistungen. Letztere sieht vor, dass die Körperschaftssteuer nicht mehr nur am Firmensitz bzw. an Orten mit Betriebsstätten gezahlt werden, sondern teilweise auch in den jeweiligen Marktstaaten – also dort, wo die Kunden sitzen und die Umsätze erzielt werden. Ein Mindeststeuersatz wiederum soll verhindern, dass Unternehmen ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer verlagern, während sie ihre Kosten in Hochsteuerländern wie Deutschland anrechnen. Der Löwenanteil der erwartenden zusätzlichen Steuereinnahmen von rund 85 Milliarden Euro infolge der Reform soll durch diesen Mindeststeuersatz generiert werden.

Globaler Konsens statt nationale Alleingänge

Die Suche nach einem globalen Konsens im Rahmen der OECD ist aus Sicht der deutschen Industrie zu begrüßen. Alleingänge der EU oder einzelner EU-Mitgliedstaaten dürften die Belastungsunterschiede und die internationale Steuerarbitrage nur weiter verschärfen. „Deutschland wird alles dafür tun, den internationalen Prozess zum Erfolg zu bringen. Jegliche alternative Lösung, jeglicher Druck in einzelnen Staaten auf nicht abgestimmte Lösungen führt am Ende zu einer Fragmentierung der Rechtslandschaft und zu Doppel- und Mehrfachbesteuerungsrisiken, die wir unbedingt vermeiden sollten“, so Martin Kreienbaum, Unterabteilungsleiter BMF und Vorsitzender des OECD-Steuerausschusses.

Aus Sicht des BDI sollte jedoch ein umfassender, weltweit koordinierter Ansatz die grundlegenden Prinzipien des internationalen Steuerrechts (Betriebsstättenprinzip, Besteuerung am Ort der Wertschöpfung, Fremdvergleichsgrundsatz etc.) beibehalten und mit Blick auf die Digitalisierung von Geschäftsmodellen lediglich modifiziert werden.

Bürokratiekosten beachten

Nachdem die „ehrgeizigste internationale Steuerreform dieses Jahrhunderts“ fast gescheitert wäre, erhielt sie durch die Verlängerung der Verhandlungen bis Mitte 2021 eine weitere Chance. Das Konzept sei zwar noch nicht ganz, aber doch fast fertig, hieß es aus dem Kreis der G20-Finanzminister. Diese Sichtweise teilen jedoch nicht alle Experten. Für Tim Zech, Head of Tax bei Daimler, sind noch viele Fragezeichen offen: „Der Teufel steckt im Detail und es wird ein erheblicher Aufwand auf uns zukommen.“

Die Teilnehmer des BDI Steuer-Webtalks waren sich einig, dass bei der Reformierung des internationalen Steuersystems die Frage der bürokratischen Belastungen zentral sei. Man müsse offener über die Frage diskutieren, „wie viel Komplexität in Kauf genommen werden sollte, um die gesetzten Ziele zu erreichen“, fordert Oliver Nußbaum, Head of Tax bei BASF. „Hinsichtlich des Compliance-Aufwands und der Administrierbarkeit für Unternehmen sind beide Säulen in Kombination ein Dokumentationsmonster, das zu erheblichem Verwaltungs- und Dokumentationsaufwand führen wird.“  Es sei deshalb unklar, ob der mögliche Ertrag in ausreichendem Verhältnis zum absehbaren Aufwand stehe.

Risiken für Deutschland

Insgesamt steht auch der BDI den Vorschlägen der OECD skeptisch gegenüber. Zwar zielen diese in erster Linie auf große Digitalunternehmen, die vornehmlich in den USA ihren Sitz haben. Doch die zunehmende Digitalisierung der gesamten Wirtschaft macht eine Begrenzung der Vorschläge auf die Digitalwirtschaft schwer. Dass Deutschland von der Reform profitiert, ist deshalb alles andere als sicher. 

„Die Reformvorschläge der OECD betreffen nicht nur Internetunternehmen, sondern werden auch tiefgreifende Folgen für den Industriestandort Deutschland sowie den deutschen Fiskus haben: Deutschen Unternehmen drohen Wettbewerbsnachteile, Doppelbesteuerung und administrative Zusatzbelastungen“, so Dr. Monika Wünnemann, Leiterin der Abteilung Steuern und Finanzen im BDI.

Wünnemann sieht die Gefahr, dass sich das deutsche Steueraufkommen durch die Reform sogar verringern wird. Die Neuverteilung der Besteuerungsrechte an Unternehmensgewinnen zugunsten der Markstaaten führt zwangsläufig zu einer Schwächung der Position der Ansässigkeitsstaaten. Diese Umverteilung könnte zu Steuereinbußen führen, die nicht vollständig durch die globale Mindestbesteuerung ausgeglichen werden könnten. Die Bundesregierung müsse daher die Folgen der OECD-Vorschläge ernst nehmen und dafür Sorge tragen, dass diese nicht zu einer Benachteiligung der deutschen Unternehmen gegenüber anderen Industriestandorten führten.