Eine Neuausrichtung der deutschen Energiepolitik? Wirtschaftsministerin Reiche legt Energiewende-Monitoring und 10-Punkte-Plan vor

Der mit Spannung erwartete Energiewende-Monitoringbericht wurde in der vergangenen Woche vom BMWE vorgelegt. Hierauf basierend stellte Wirtschaftsministerin Reiche ihren „10-Punkte-Plan“ vor, der die Leitlinien für eine Neuausrichtung der Energiepolitik skizzieren soll. Beide Papiere greifen viele der Forderungen auf, die auch der BDI im Rahmen seiner Studie „Energiewende auf Kurs bringen“ vom März 2025 erhoben hatte.

 

Die Ministerin hielt ausdrücklich an den Klimazielen fest, stellte daneben aber die finanzielle Tragfähigkeit der Energiewende und Versorgungssicherheit in den Mittelpunkt. Nur wenn die Energiepolitik finanzierbar sei, werde Klimaschutz gelingen. Kosteneffizienz sei also damit oberstes Gebot und hierfür gebe es auch zahlreiche Hebel, die genutzt werden könnten. 

Der zukünftige Strombedarf wird geringer ausfallen als bislang politisch prognostiziert.

Die beauftragten Institute BET und EWI nehmen für das Jahr 2030 einen Strombedarf von 600 bis 700 TWh an, was signifikant unter den bisherigen politischen Erwartungen liegt. Eine solche gesenkte Strombedarfsprognose begründet sich neben dem nur langsam voranschreitenden Zuwachs von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen vor allem durch die schleppende Elektrifizierung der Industrie, dem krisenbedingten Rückgang industriellen Stromverbrauchs, sowie dem mangelnden Zubau von Elektrolyseuren. Die prognostizierte Bandbreite des zukünftigen Strombedarfs bildet die Aussagen der BDI-Analyse hierzu gut ab.

Auch die BDI-Empfehlung einer Anpassung des Wind-Offshore-Ausbaus als ein wichtiger Hebel für einen kosteneffizienteren Netzausbau findet sich im Monitoring an mehreren Stellen wieder. Der BDI plädiert schon lange dafür, den Netzausbau nicht auf die letzte kWh auszulegen, sondern auf eine sinnvolle Auslastung und Kosteneffizienz zu achten.

Erneuerbare Energien sollen in Zukunft markt- und systemdienlicher gefördert werden.

Um eine kosteneffiziente Systemplanung zu ermöglichen, sieht Reiche zudem eine markt- und systemdienliche Förderung Erneuerbarer Energien vor. Konkret bedeutet dies unter anderem eine Abschaffung der fixen Einspeisevergütung für Erneuerbare, die Beendigung der Vergütung bei Negativpreisen, sowie die Anwendung differenzierter Finanzierungsmodelle wie z.B. zweiseitiger Contracts for Difference (CfDs) und Stromliefer- und Strombezugsverträge (PPAs).

Neben der gezielten Überbauung der Netzverknüpfungspunkte soll auch eine „Co-Location“, also die gemeinsame Installation von Stromerzeugungsanlagen und Energiespeichern am selben Standort, den Ausbau der Erneuerbaren räumlich steuern und damit den Netzausbau bedarfsgerecht optimieren. Da dies allerdings Auswirkungen auf die Gestehungskosten des erneuerbaren Stroms haben wird, bedarf es hier weiterer Analysen der dadurch senkbaren Netzkosten.

Versorgungssicherheit und Dunkelflauten – wie schnell kommen die neuen regelbaren Kraftwerke?

Um die Versorgungssicherheit auch in Dunkelflauten garantieren zu können, soll zudem ein technologieoffener Kapazitätsmarkt implementiert werden; insbesondere Gaskraftwerke mit der Möglichkeit zur Umstellung auf Wasserstoff sollen hier eine Schlüsselrolle spielen. Die ersten Ausschreibungen sollen noch bis Ende des Jahres erfolgen, ein Kapazitätsmarkt wird Reiches Plan zufolge bis 2027 eingeführt. Der BDI begrüßt die angekündigte Vereinfachung der Kraftwerksausschreibungen, weist aber auf die Notwendigkeit einer sehr schnellen Implementierung hin. Investitionen müssen nun rasch ausgelöst werden und Ausschreibungen müssen so dimensioniert sein, dass Hochpreisphasen in Dunkelflauten effizient ausgeglichen werden können.

Der Wasserstoffhochlauf soll nachfrageorientiert und technologieoffen vorangetrieben werden.

Der Monitoring-Bericht zeigt, dass es beim Thema Wasserstoff große Unterschiede bei den Nachfrageszenarien gibt und am Markt aktuell kaum Nachfrage vorhanden ist. Dies liegt insbesondere an der Differenz zwischen Bereitstellungskosten und Zahlungsbereitschaft. Auch das 10-GW-Ziel wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erreicht. Angesichts hoher Produktionskosten in Deutschland wird von einem erheblichen Importbedarf ausgegangen. Für die Diversifizierung der Wasserstoffversorgung und die Erschließung günstigerer Quellen plädiert auch der BDI.

Ministerin Reiche plant, in der EU für eine Vereinfachung der komplexen Wasserstoff-Regulierung zu werben und grünen und kohlenstoffarmen Wasserstoff gleichzustellen. Zudem sollen die Ausbauziele für Elektrolyse, Kernnetz und Importe künftig flexibler an die Nachfrageentwicklung angepasst werden.

Auch der BDI empfiehlt, Nachfrageszenarien und Infrastrukturplanung stärker an ökonomischen Realitäten auszurichten. Nichtsdestotrotz ist die Industrie dringend auf einen schnellen Ausbau des Kernnetzes angewiesen.

Reicht der 10-Punkte-Plan aus, um den deutschen Industriestandort wieder wettbewerbsfähig zu machen?

Offen lässt Reiches Neuausrichtung der Energiewende, wie die im internationalen Vergleich sehr hohen Energiekosten kurzfristig gesenkt werden können. Hierzu regt das Monitoring weitere detaillierte Analysen an.

Insgesamt liefert das Energiewende-Monitoring sowie der daraus abgeleitete 10-Punkte-Plan eine aus Sicht des BDI notwendige, vorbehaltlose Bestandsaufnahme, um die Energiewende im Sinne von Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit auf Kurs zu bringen. Nun liegt es an der konkreten Umsetzung, ob und wie schnell eine solche Neuausrichtung gelingen kann. Die Bundesregierung verspricht einen „Herbst der Reformen“. Dieser ist wohl besonders in der Energiepolitik dringend nötig, um das energiepolitische Zieldreieck aus Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Klimaschutz wieder auszubalancieren.